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Glaeserne Leistungsempfaenger

Die Bundesagentur für Arbeit verstößt mit ihren Fragebögen zum Arbeitslosengeld II massiv gegen den Sozialdatenschutz

Die behördliche Neugier kennt keine Grenzen: Mit der Fragebögen zum neuen Arbeitslosengeldwerden nach Ansicht von Datenschützern die Persönlichkeitsrechte von Millionen Bürgern ausgehöhlt. Deshalb verleihen Bürgerrechtsorganisationen in diesem Jahr der Bundesagentur für Arbeit einen BigBrotherAward.

Der BigBrotherAward in der Kategorie „Behörden und Verwaltung" wird verliehen an die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden Frank-Jürgen Weise für die Ausgabe eines 16seitigen Antragsformulars an Langzeitarbeitslose, mit dem hochsensible Daten teils unzulässig abgefragt werden und Informationen auch unbefugten Stellen zugänglich werden können. Damit verstößt die Bundesagentur massiv gegen den Sozialdatenschutz, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und den Grundsatz der Datensparsamkeit.

„Haben... die mit Ihnen im Haushalt lebenden Angehörigen Vermögen? Bank- und Sparguthaben, Bargeld ..., Kraftfahrzeug, Wertpapiere ..., Kapitallebensversicherungen, Bausparverträge ..., Wertsachen, Gemälde?" oder „Kann [Ihr Angehöriger] ... Ihrer Einschätzung nach mindestens drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit ... nachgehen?" oder „Name, Anschrift und Bankverbindung des Vermieters".

Dies sind nur wenige Zitate aus dem umfangreichen Antragsbogen für das kommende Arbeitslosengeld II (ALG II). Die Antragsteller müssen auf diesen Formularen entblößende Auskünfte über Einkommens-, Vermögens-, Wohn- und Familienverhältnisse offenbaren. Das betrifft Millionen Arbeitslose, denen seit Juli 2004 entsprechende Formulare zugesandt worden sind.

Hartz IV und ALG II stellen einen Generalangriff auf den Sozialstaat dar, der zu massiven sozialen Verwerfungen führen kann. Doch allein schon die datenschutzrechtlichen Probleme sind einen BigBrotherAward wert. Mit dem Antragsbogen sind gravierende Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung, die Persönlichkeitsrechte, die Privat- und Intimsphäre der Antragsteller verbunden.

Fünf Beispiele

Auf diese Weise werden Antragsteller hinters Licht geführt und zu Informationen verleitet, die sie weder machen müssen, noch eigentlich machen dürfen.(Das Bundesverfassungsgericht hat in einem am Freitag bekannt gewordenen Beschluss klargestellt, dass Langzeitarbeitslose keine persönlichen Angaben über Mitbewohner ihrer Wohngemeinschaft oder Untermieter machen müssen, wenn diese keine Lebenspartner sind, d.Red.)

Normalerweise braucht aber niemand seinem Arbeitgeber zu offenbaren, was er sonst noch für Einnahmen hat, dass er ALG II beantragen muss oder dass er mit einem ALG-II-Empfänger zusammenlebt. Das wäre mit dem Sozialgeheimnis und dem Persönlichkeitsrecht nicht vereinbar und könnte sich im Einzelfall nachteilig auswirken.

Alles über Vermieter

Angesichts der massiven Kritik an den Antragsbögen lud Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) Arbeitslose ein, sich doch an ihn persönlich zu wenden, falls Probleme beim Ausfüllen auftreten sollten: „Wer nicht zurecht kommt, soll mich anrufen", lautet sein saloppes Angebot. Das Ausfüllen dauere höchstens eine halbe bis dreiviertel Stunde. Ein - vielleicht willkommener - Nebeneffekt des flotten Ausfüllens ist: Wer so schnell ausfüllt, übersieht am ehesten die Tücken, auch die datenschutzrechtlichen. Dieser Beschwichtigungsversuch ist also so populistisch wie zynisch - denn die gravierenden Mängel der Fragebögen sind auch nach berechtigter Fachkritik nicht behoben worden.

Seit Juli 2004 wurden die Antragsbögen verschickt, im August gab es ein dringendes Gespräch mit dem Bundesbeauftragten für Datenschutz, Peter Schaar, wegen erheblicher rechtlicher Bedenken. Das Ergebnis: Die Bundesanstalt für Arbeit hat die Kritik weitgehend eingesehen. Zukünftig sollen datenschutzrechtliche Antragsbögen verwendet werden. Das ist die gute Nachricht – die schlechte: Vor Februar 2005 seien diese neuen Bögen aber nicht einsetzbar. Millionen von Menschen müssen also, wenn sie im Januar Geld zum Leben erhalten wollen, die, alten, datenschutzwidrigen Formulare verwenden. Zwar hat die Bundesagentur im September neue Ausfüllhinweise (Stand 16.9.04) herausgegeben und darin etliche Fehler eingestanden und zu korrigieren versucht; aber die kamen für manche Antragsteller zu spät, sind vielen noch immer nicht bekannt.

Unter Generalverdacht

Mit den Melde- und Nachweispflichten werden zukünftige Empfänger von Arbeitslosengeld praktisch unter den Generalverdacht des potentiellen Leistungsmissbrauchs gestellt - Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat es klar und deutlich ausgedrückt, als er von der „Mitnahme-Mentalität" bei staatlichen Sozialleistungen bis weit in die Mittelschicht hinein gesprochen hat. Auch nach Antragstellung müssen Leitungs-Empfänger damit rechnen, weiter durchleuchtet zu werden. Außerdem sind ihre personenbezogenen Daten nicht ausreichend geschützt. Hierfür 3 Beispiele:

Schnüffeln bei Hausbesuchen

Fazit: Der Umgang der Bundesagentur mit sensiblen personenbezogenen Daten ist erschreckend. Die behördliche Neugier macht vor kaum einem Lebensbereich der Millionen von Betroffenen halt. Mit den Erfassungsbögen und der weiteren Datenverarbeitung werden die Persönlichkeitsrechte von Langzeitarbeitslosen ausgehöhlt, sie mutieren zu gläsernen Leistungsempfängern.

Die Datenerhebung ist in weiten Teilen rechtlich unzulässig, weil mehr personenbezogene Daten abgefragt werden, als für die Feststellung des Leistungsanspruchs unabdingbar sind. Zwar versicherte die Bundesregierung, nur die erforderlichen Daten würden gespeichert und überflüssige gelöscht (PM vom 24.08.2004). Doch sie hat nicht mitgeteilt, wie sie dafür sorgen will, dass die unzulässig erhobenen Informationen aus den Hunderttausenden von Akten wieder entfernt werden sollen.

Herzlichen Glückwunsch zu diesem datenschutzrechtlichen Desaster der Bundesagentur für Arbeit, Herr Weise!

HINTERGRUND

BigBrotherAwards

Mit dem BigBrotherAward werden Firmal, Organisationen und Personen „ausgezeichnet“, die nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen.

Justizministerin Brigitte Zypries erhält den BigBrotherAward in der Kategorie „Politik". Obwohl das Bundesverfassungsgericht im März 2004 den Großen Lauschangriff mit elektronischen Wanzen in und aus Wohnungen für weitgehend verfassungswidrig erklärt hatte, verabschiedete sich die Ministerin nicht etwa von diesem einschneidenden Überwachungsinstrument, sondern wollte es sogar noch ausweiten auf Berufsgeheimnisträger. Nach heftiger öffentlicher Kritik an diesen Ausweitungsplänen hält sie jedoch nach wie vor grundsätzlich am Großen Lauschangriff als Instrument der Strafverfolgung fest. Tatsächlich dient dieser weniger der realen Verbrechensbekämpfung, als vielmehr der Einschüchterung von Menschen und der Unterhöhlung von Grundrechten.

Ministerin Ulla Schmidt erhält den BigBrotherAward in der Kategorie „Gesundheit und Soziales" für das GKV-Modernisierungsgesetz. Durch die versichertenbezogenen Datenverarbeitung kommt es zu einer massiven Verschlechterung des Datenschutzes für die Patienten. Diese datenschutzrechtlichen Risiken hätten durch die Verwendung moderner, datenschutzfreundlicher Technik einschließlich der Pseudonymisierung vermieden werden können. Diese Möglichkeiten sind von ihr nicht berücksichtigt worden.

Der Preis in der Kategorie Technik geht an die Firma Canon. Eine im Kopierer gespeicherte Kennummer (Identifikationsnummer) wird unsichtbar auf allen Kopien mitausgegeben. Da jeder Kopierer eine individuelle Barcode-Kennung hat, läßt sich die Herkunft einer Kopie ermitteln. Wird als Funktion verkauft, die das Fälschen von Banknoten, Schecks etc. unterbinden soll. Da jeder Kopierer eine individuelle Barcode-Kennung hat, läßt sich die Herkunft einer Kopie ermitteln.

Die Firma Lidl erhält den BigBrotherAward in der Kategorie „Arbeitswelt". Da; für gibt es eine Vielzahl von Gründen. Besonders auszeichnungswürdig erschien der Jury die heimliche Videoüberwachung in einigen der deutschen Filialen und dass menstruierende Mitarbeiterinnen in Filialen in Tschechien zum Tragen eines Stirnbands verpflichtet worden sind, damit sie die Toilette auch außerhalb der Pausen aufsuchen durften.

Die Armex GmbH erhält den BigBrotherAward in der Kategorie „Kommunikation". Um ihr Produkt „Track Your Kid" zu verkaufen, nutzt sie diffuse Ängste von Eltern aus und gibt ihnen ein Instrument in die Hand, das Kinder nicht zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern, sondern zu willigen Untertanen einer Kontrollgesellschaft erzieht.

Die Tschibo direct GmbH erhält den BigBrotherAward in der Kategorie „Verbraucherschutz". Sie beteuert in ihren Prospekten und im Internet „Alle persönlichen Daten werden vertraulich behandelt". Tatsächlich aber werden angereicherte Adressen der Tchibo-direct-Kundinnen und -Kunden über die Arvarto / AZ direct auf dem Adressenmarkt angeboten.

Der Rektor der Universität Paderborn, Prof. Dr. rer. nat. Nikolaus Risch, erhält in diesem Jahr den Regionalpreis der BigBrotherAwards, weil Hörsäle und Uni-Rechnerräume mit Videokameras überwacht werden.

Rolf Goessner

Frankfurter Rundschau, 30. Oktober 2004
Original: Nicht bekannt

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