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Schäuble hat ungeheure Angst

Rena Tangens, Mitorganisatorin der Big-Brother-Awards, über das Lebenswerk von Preisträger Schäuble und die Tricks der Datendiebe.

Einmal im Jahr wird Bielefeld zur Hauptstadt der Datenschützer: Wenn der Bürgerrechtsverein FoeBuD die Big Brother Awards Deutschland verleiht, ist mediale Aufmerksamkeit gewiss, werden doch Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die "nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen", wie es auf der Seite des Vereins heißt. Am Freitag gehörten mit Ursula von der Leyen und Wolfgang Schäuble zwei prominente CDU-Politiker zu den Preisträgern.

sueddeutsche.de: Wolfgang Schäuble und Ursula von der Leyen erhalten einen Big Brother Award, weil sie nach Meinung der Jury den Datenschutz missachten. Ist das jetzt provokant oder schon zu vorhersehbar?

Rena Tangens: Bei Herrn Schäuble haben wir uns vergangenes Jahr zurückgehalten, weil wir dachten, er ist schon oft genug wegen seinen Ideen in der Presse. Dieses Mal verbinden wir den Preis mit der Hoffnung, dass es das war und die Rente mit 67 auch für Herrn Schäuble gilt. Der Umbau unseres Rechtsstaates in einen präventiv-autoritären Staat ist sein großes Projekt, das verdient den Preis für das Lebenswerk.

sueddeutsche.de: Sie verleihen die Big Brother Awards zum zehnten Mal. Wie haben sich die Methoden der Datenerfassung verändert?

Tangens: Die Werkzeuge werden immer besser. Ein Beispiel: Mobilfunkbetreiber werten heute aus, wer wen anruft und wie lange das dauert. Damit wird ermittelt, wer in einem Freundeskreis wichtig ist und dort Einfluss besitzt. Bei diesen Personen hüten sich die Firmen, sie zu verprellen, sie kommen früher bei der Hotline durch, bei Problemen können sie mit Kulanz rechnen. Denn wenn ein Meinungsführer das Mobilfunknetz wechselt, würden auch die Freunde gehen.

Dazu kommt der rasante Fortschritt bei der Ortung durch GPS. Inzwischen werden in einige Autos Geräte eingebaut, die das Fahrverhalten minutiös aufzeichnen. So kommen Menschen dann auf die Idee, den Versicherungstarif vom Fahrstil abhängig zu machen. Da sind inzwischen der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

sueddeutsche.de: Die Auswahl der Preisträger soll auch Trends in Sachen Datenmissbrauch aufzeigen. Was ist dieses Jahr besonders auffällig?

Tangens: Bei uns kamen so viele Fälle von Arbeitnehmerüberwachung an, dass wir dieses Jahr mehrere Unternehmen auszeichnen. Da ist ein riesiger Wildwuchs, wir brauchen unbedingt ein Gesetz, das die Daten von Arbeitnehmern schützt und Verstöße entsprechend bestraft. Was viele vergessen: Wo ein klares Machtverhältnis wie zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer besteht, ist die Verlockung groß, Datenmissbrauch zu betreiben. Und das verstärkt wiederum solche Strukturen, das sehen wir auch beim Verbraucher, der einem Unternehmen gegenüber immer im Nachteil ist, weil es meistens viel mehr über den Kunden weiß als umgekehrt.

sueddeutsche.de: Wie gehen die Gewinner mit der Auszeichnung um? Erwarten Sie, dass Frau von der Leyen und Herr Schäuble einen Kurier senden, um den Preis abzuholen?

Tangens: Politiker kommen eigentlich nie zu der Preisverleihung, obwohl wir sie natürlich immer einladen. Die Firma Microsoft hat einmal den Preis für das Lebenswerk bekommen und deshalb extra ihren Datenschutzbeauftragten eingeflogen, auch die Telekom hat jemanden geschickt. Wir bekommen von vielen Firmen auch Antworten, Rechtfertigungen, zum Teil werden Tatsachen einfach bestritten.

sueddeutsche.de: Ging schon einmal ein Preisträger vor Gericht?

Tangens: Als Lidl gewann, schickte das Unternehmen am Tag der Preisverleihung per Einschreiben eine verklausulierte Klagedrohung. Sie haben den Preis natürlich trotzdem bekommen, denn wir recherchieren ordentlich.

sueddeutsche.de: Wie würden Sie reagieren, wenn Herr Schäuble sagen würde "Lassen Sie uns an einen Tisch setzen und über das Thema reden"?

Tangens: Wir vom Bürgerrechtsverein FoeBuD haben bereits mit ihm geredet, beim Kirchentag. Als es ernst wurde, er gemerkt hat, dass wir Kompetenz in diesen Fragen besitzen, ist er ausgewichen. Ich glaube nicht, dass ein ernsthaftes Gespräch möglich wäre. Bei ihm ist auch ein gerüttelt Maß an ideologischer Verbohrtheit dabei, da steckt eine ungeheuere Angst dahinter.

sueddeutsche.de: Die CDU hat jetzt die FDP an ihrer Seite: Erwarten Sie, dass Ihre Anliegen wieder ernster genommen werden?

Tangens: Absolut. Wir nehmen Menschen gerne beim Wort, auch die FDP und ihr Versprechen, die Überwachungsgesetze der Großen Koalition zurückzunehmen. Wir werden der Regierung genau auf die Finger gucken, was davon eingelöst wird.

sueddeutsche.de: Haben Auszeichnungen wie die Big Brother Awards Folgen?

Tangens: Ja, durchaus: Bei der ersten Preisverleihung gewann die Payback-Kundenkarte, das hat viel dazu beigetragen, dass die Menschen begriffen haben, dass Unternehmen nicht aus Selbstlosigkeit solche Rabattkarten verteilen, sondern weil sie das Verhalten der Besitzer auswerten möchten. Der Verbraucherschutzverein hat das Unternehmen anschließend verklagt und gewonnen, Payback musste danach sämtliche Teilnahmeformulare aus dem Verkehr ziehen und ändern.

sueddeutsche.de: Wie wird sich der Datenschutz in Deutschland entwickeln?

Tangens: Wir alle hinterlassen Datenspuren, das ist nicht rückgängig zu machen. Was wir endlich brauchen, sind gesetzliche Leitplanken. Warum muss ich als Kunde aktiv widersprechen, wenn ich nicht möchte, dass meine Daten weitergegeben werden? Warum können wir nicht auf Software verzichten, die "nach Hause telefoniert", also ungefragt Daten von uns an die Herstellerfirma übermittelt? Mit dem Real Player hatten wir ein solches Programm vor etlichen Jahren als Preisträger. Den Menschen ist es keineswegs gleichgültig, was mit ihren Daten passiert. Wenn der Staat zur Datenkrake wird und seine Bürger auf Schritt und Tritt überwachen will, wenn die Firmen sie ausforschen, kategorisieren und über den Tisch ziehen wollen - dann braucht es eine Institution, die diese Dinge aufdeckt und beim Namen nennt. Deshalb wird es die Big Brother Awards weiter geben.

Johannes Kuhn

sueddeutsche.de, München, 17. Oktober 2009
Original: http://www.sueddeutsche.de/computer/761/491131/text/

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