FoeBuD e.V.  ·  Marktstraße 18  ·  D-33602 Bielefeld
http(s)://www.foebud.org  ·  foebud@bionic.zerberus.de

RFID-Lobby trommelt für regulierungsfreien Einsatz von Funk-Chips

Mit einem glühenden Bekenntnis zur Funkidentifikations-Technik eröffnete Michael ten Hompel, Leiter des Fraunhofer Instituts für Materialfluss und Logistik, am Donnerstagabend in der Berliner Akademie der Wissenschaften die Auftaktveranstaltung des Informationsforums RFID. Die 2005 gegründete Plattform, der Konzerne wie DHL, Gillette, Henkel, IBM, die Metro, Oracle, Philips, SAP, Siemens oder Volkswagen angehören, will die Chancen der künftigen "Schlüsseltechnik" gegenüber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kommunizieren. "Ich bin freudig erregt, dass wir ein tolles Thema haben, an dem wir hier in Deutschland arbeiten können", unterstrich ten Hompel die Bedeutung von RFID für den hiesigen Standort. "Deutschland und Europa sind weltweit führend in der RFID-Technik", ergänzte die Geschäftsführerin des Forums, Andrea Huber. Die ehemalige Microsoft-Lobbyistin beklagte, dass die öffentliche Debatte über die Funkchips "leider oft von Risiken geprägt ist". Ten Hompel ließ keinen Zweifel daran, dass RFID "im wahrsten Sinne des Wortes die Welt bewegen wird." Das Informatikjahr 2006 ist für den Vorstandsvorsitzenden des Vereins die Zeit, in der "das Internet seinen Platz unter unseren Schreibtischen verlassen und zum Internet der Dinge wird". Damit stehe die "erste große physische Umsetzung künstlicher Intelligenz" bevor. Als visionäre Einsatzpunkte nannte ten Hompel den viel beschworenen intelligenten Kühlschrank, die elektronische Haustür mit RFID-Zutrittskontrolle oder die "elektronische Katzenklappe", die Ein- und Auslass für den Heimtiger steuert. Letztlich "träumen wir von dem Auto, das sich selbst zusammenbaut", schwärmte der Techniker. Er goutierte, dass auch bei staatlich vorangetriebenen IT-Großprojekten wie dem biometrisch aufgerüsteten Reisepass oder der Lkw-Maut die Funkchips zum Einsatz kommen. Gleichzeitig forderte er, dass beim Setzen der Rahmenbedingungen "die Innovation wirklich Vorfahrt" haben müsste.

Rechtliche Änderungen, die RFID-Anbietern und -Anwendern zusätzliche Pflichten auferlegen, lehnen die Vertreter der Plattform ab. Sie setzen auf Selbstregulierung: "Transparenz und Information haben für uns oberste Priorität", betonte ten Hompel. Da die Technik auch über die Logistik hinaus "in den persönlichen Bereich ziele", müssten "der Schutz der privaten Daten und eine sichere Informationsübertragung zum zentralen Gegenstand dieser Entwicklung" avancieren. Auch im Rahmen des Gremiums EPC Global, das eine eindeutige Kennzeichnung aller weltweit produzierten Artikel über die Tags anstrebt, versuche man Standards zu definieren, die von den Menschen akzeptiert würden. Konkret kann sich ten Hompel vorstellen, sensible Daten in einem passwortgeschützten Bereich auf den Chips unterzubringen. Gleichzeitig verwies er aber darauf, dass auch die Verbraucher "die Rückverfolgbarkeit wollen", also etwa gern bei einem Milchprodukt wüssten, "was die Kühe gefressen haben". Insgesamt verspricht sich ten Hompel "viel Sicherheit für unseren Alltag" durch die Kontrollmöglichkeiten durch RFID.

Prinzipiell wiesen Vertreter des Forums darauf hin, dass man zwischen Wirtschaft und Datenschützern Verbindungen herstellen und auch die Vorbehalte gegen die Technik ernst nehme. Etwa ein Dutzend Demonstranten vor dem Gebäude, die mit Schildern wie "Stop RFID" bewaffnet waren, sahen dies anders und fühlten sich aufgrund ausgebliebener Einladungen zu dem Lobbyabend ausgegrenzt. "Mit immensem Kostenaufwand versucht die RFID-Industrie die Einführung dieser Kontroll- und Überwachungstechnik durchzudrücken. Gesprächsangebote wie das Expertenforum zu RFID beim Bundeswirtschaftsministerium werden dagegen blockiert – Kritik soll offenbar mit PR erstickt werden", bewertete Rena Tangens vom FoeBuD die Aktivität der RFID-Befürworter.

Sönke Hilbrans, Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD), sorgte sich in einer vorab verbreiteten Mitteilung ebenfalls über die Umtriebe: Die Verbreitung von RFID in Konsumgütern als elektronischer Produktcode birgt seiner Ansicht nach erhebliche Datenschutzprobleme, die für die Bürger nicht beherrschbar sind. Die RFID-Lobby weigere sich dennoch überhaupt anzuerkennen, dass RFID-Kennungen in Konsumgütern personenbezogene Daten sind. Hilbrans wirft daher die Frage auf, "ob die Industrie an einer Einigung mit Daten- und Verbraucherschützern überhaupt noch interessiert ist". Die Gegner der "Schnüffel-Chips" bemängeln, dass es von Seiten der Unternehmen "noch nicht einmal eine ernstzunehmende Selbstverpflichtungserklärung zum Verbraucherschutz gibt". Offensichtlich wolle die Industrie Zeit gewinnen und durch RFID-Einsatz Fakten schaffen. Mit dieser Hinhaltetaktik versuche man zu verhindern, dass wirksame gesetzliche Regelungen für die RFID-Nutzung zum Schutz der Bürger erlassen werden.

Huber konstatierte dagegen, dass es sich "verbietet, pauschal über Regulierung im Zusammenhang mit RFID zu sprechen." Es handle sich um eine Basistechnologie, sodass der Gesetzgeber nur konkret die Vielzahl der darauf laufenden Anwendungen in den Blick nehmen dürfte. Auch Wolf-Dieter Lukas, Ministerialdirigent im Bundesforschungsministerium, warnte vor raschen Einschränkungen. Er appellierte unter dem "Hinweis auf die Leute, die vor der Tür stehen", dazu, mit den "Smart Labels" auch smart umzugehen. Seine Hoffnung richtet sich darauf, dank RFID strukturelle Probleme der globalen Rohstoffverteilung in den Griff zu bekommen. Es komme nun darauf an, "unsere technologische Stärke zu nutzen, um in Europa und weltweit Standards zu setzen". Besonders wichtig seien innovative technologische Lösungen für den Datenschutz.

Stefan Krempl

Heise Online, Hannover, 20. Januar 2006
Original: http://www.heise.de/newsticker/meldung/68567

© WWW-Administration, 08 Mar 06