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Bundesregierung räumt bei BigBrotherAwards 2004 ab

Mittlerweile zum fünften Mal wurden am heutigen 29. Oktober 2004 in Deutschland die BigBrotherAwards verliehen, um auf Missstände in den Bereichen Überwachung, Datenschutz oder Bürgerrechte hinzuweisen. Neben dem Bundesjustizministerium, der Bundesgesundeitsministerin sowie dem Leiter der Bundesagentur für Arbeit, wurden auch eine Reihe von Unternehmen wie Canon, Lidl und Tchibo mit einem Preis bedacht.

Justizministerin Brigitte Zypries erhält den BigBrotherAward in der Kategorie "Politik". Anstatt das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes am 3. März 2004 zum Anlass zu nehmen, auf den Großen Lauschangriff zu verzichten, halte sie weiter am Großen Lauschangriff als Instrument der Strafverfolgung fest. Tatsächlich diene der Große Lauschangriff weniger der realen Verbrechensbekämpfung, als vielmehr der Einschüchterung von Menschen.

Ministerin Ulla Schmidt erhält den BigBrotherAward in der Kategorie "Gesundheit und Soziales" für das GKV-Modernisierungsgesetz. Durch die versichertenbezogenen Datenverarbeitung komme es zu einer massiven Verschlechterung des Datenschutzes für die Patienten. Diese datenschutzrechtlichen Risiken hätten durch die Verwendung moderner und datenschutzfreundlicher Technik einschließlich der Pseudonymisierung vermieden werden können, heißt es in der Laudatio. Diese Möglichkeiten habe sie jedoch nicht berücksichtigt.

Die Bundesagentur für Arbeit zog sich gleich mehrfach den Groll der Jury vom BigBrotherAward zu und überreichte den Preis an den Vorstandsvorsitzenden Frank Jürgen Weise. Der Preis in der Kategorie "Behörden und Verwaltung" würdigt zum einen die inquisitorischen Fragebögen zu Arbeitslosengeld II sowie die Unwilligkeit der Behörde, die Fragebögen vor 2005 datenschutzgerecht zu überarbeiten. Als dritter Punkt wird bemängelt, dass vermutlich sämtliche Arbeitsagenturen bundesweit auf alle Daten der Arbeitssuchenden zugreifen können.

Im Bereich Technik erhielt die Firma Canon einen BigBrotherAward, weil diese in ihren Farbkopierern eine Technik verwendet, womit die Herkunft jeder gemachten Kopie ermittelt werden kann. Der Hersteller begründet diesen Schritt damit, das Fälschen von Banknoten, Schecks und anderen Dingen verhindern zu wollen. Eine im Kopierer gespeicherte Kennnummer wird dazu unsichtbar auf allen Kopien aufgetragen, so dass sich von jeder Kopie ermitteln lässt, mit welchem Kopierer diese gemacht wurde, da jeder Canon-Kopierer eine individuelle Barcode-Kennung besitzt.

Canon soll diese Technik bereits seit mehreren Jahren einsetzen, aber erst jetzt konnte dies bewiesen werden. Einen Hinweis über die Kennzeichnung fehlt auf den Canon-Kopierern, so dass weder Käufer noch Nutzer darüber informiert werden, kritisiert die Jury. Der Technik-Award wurde auch für den grundsätzlichen Trend vergeben, dass technische Maßnahmen menschliche Entscheidungen ersetzen. So wird befürchtet, dass künftig auch technische Barrikaden zur Verfolgung von Urheberrechtsverstößen weiter entwickelt werden.

In der Kategorie "Verbraucherschutz" konnte Tchibo direct GmbH punkten und einen BigBrotherAward einheimsen, indem zugesicherter Datenschutz nicht eingehalten wurde. Die Tchibo direct GmbH habe in Prospekten und im Internet beteuert, persönliche Daten vertraulich zu behandeln, verkaufte diese aber statt dessen über die Firma AZ direct auf dem Adressenmarkt weiter, wird die Preisverlöeihung begründet. Die AZ Direct GmbH gehört zum Bertelsmann-Konzern und verkauft die von Tchibo direct gesammelten Kundenadressen angereichert um demografische und geografische Angaben. So erhalten Adressenkäufer auch Daten zu den Wohnverhältnissen und der Kaufkraft der Adressaten sowie deren Neigung im Versandhandel einzukaufen.

Der BigBrotherAward in der Kategorie "Kommunikation" ging in diesem Jahr an Dirk Teubner von der Armex GmbH. Damit wird seine Leistung gewürdigt, bei Eltern mit seinem Produkt "Track Your Kid" diffuse Ängste geschürt zu haben. Nach Auffassung der Jury werden Kinder mit "Track Your Kid" zu willigen Untertanen einer Kontrollgesellschaft statt zu mündigen Bürgern erzogen. Stellvertretend gilt der Preis auch für andere Anbieter, die Überwachungsdienste für Eltern anbieten. Mit dem von Armex angebotenen Dienst "Track Your Kid" erhalten Eltern die Möglichkeit, ihren mit Handy ausgestatteten Nachwuchs mit einer Standortbestimmung jederzeit orten können. Dieser Dienst wäre vergleichbar dazu, den Kindern einfach eine Leine umzubinden und so den Bewegungsradius einzugrenzen.

In der Kategorie Arbeitswelt habe der Lidl-Gründer und die "Graue Eminenz" der Discounter-Kette, Dieter Schwarz, die Jury durch einen "nahezu sklavenhalterischen Umgang mit Mitarbeitern" überzeugen können. So erhielt Lidl den BigBrotherAward für die heimliche Videoüberwachung der Lidl-Angestellten in einigen deutschen Filialen. Der Jury war ebenfalls ein Dorn im Auge, dass menstruierende Mitarbeiterinnen in Lidl-Filialen in Tschechien zum Tragen eines Stirnbands verpflichtet wurden, damit diese die Toiletten auch außerhalb der Pausen aufsuchen durften. Für die Jury waren die Berichte aus dem Innenleben des Lidl-Imperiums einfach unglaublich: Sie wirken mittelalterlich, zumindest vorindustriell und unzivilisiert. Die Jury wies darauf hin, dass man als Kunde nicht vergessen dürfe, dass Lidl die Preise mit menschenverachtenden Methoden drückt.

In der Kategorie Regional erhält der Rektor der Universität Paderborn, Prof. Dr. rer. nat. Nikolaus Risch, den BigBrotherAward, weil er Hörsäle und Rechnerräume der Universität mit Videokameras überwachen lässt. Nach Ansicht der Jury, manifestiere Dr. Risch mit seinen Videokameras den Irrglauben unserer Zeit, dass Überwachung mit Sicherheit gleichzusetzen sei. (ip)

3sat Online, Mainz , 29. Oktober 2004
Original: http://www.golem.de/0410/34467.html

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