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Der gläserne Surfer

Nichts bleibt verborgen: Durch Scoring erstellen Unternehmen Kundenprofile - Datenschützer sind alarmiert

Von Christiane Schulzki-Haddouti

Der typische Festnetzkunde ist ein verheirateter Mann, älter als 45 Jahre. Er wohnt in gepflegten Wohnlagen in kleineren Orten in Bayern, Baden- Württemberg und Brandenburg. Obwohl er über eine hohe Bonität verfügt, generiert er nur niedrige Umsätze. Ein Kundenprofil, wie sie die Pforzheimer Informa Unternehmensberatung tagtäglich erstellt. Jetzt aber ist sie ins Visier von Datenschützern gerückt. Die Cyber-Vereinigung Foebud verlieh der Informa den Big-Brother-Preis in der Sparte «Business».

Ursprünglich wurde das Scoring für den Versandhandel entwickelt und ermittelt für jede Anschrift in Deutschland ein Score bzw. einen Wert zwischen 350, das ist ein sehr unattraktiver Kunde, und 750, ein sehr attraktiver Kunde. Auch für Internet-Portale und -shops sind solche Profile natürlich wertvoll. Nicht nur Informa setzt auf Scoring, auch die Schufa übermittelt Score-Werte an ihre Vertragspartner. Ob ein Kredit gewährt oder abgelehnt, ob ein Kauf im Internet über die Bühne geht oder nicht, hängt vom Score des Kunden ab. Das Verfahren berechnet die Wahrscheinlichkeit, mit der jeder einzelne Kunde ein bestimmtes gewünschtes Verhalten zeigen wird: Produkte kauft, Dienstleistungen nutzt, im Mahnfalle bezahlt.

Dass es beim Scoring nicht nur um gruppenbezogene Kundenprofile geht, ist für den Bundesdatenschutzbeauftragten klar. Für ihn ist der Score-Wert ein personenbezogener Wert, weil der Wert einer Vergleichsgruppe einer einzelnen Person zugeordnet wird. Um diese Einschätzungen möglichst exakt treffen zu können, verarbeitet Informa eine Menge Daten. Dabei handelt es sich neben den Kundendaten um etwa zwei Milliarden Zusatzdaten: soziodemographische, regionale und statistische, Markt- und Konsumdaten, Auskunftei- und Marketingdaten sowie Lifestyle-Daten.

Zu den Lifestyle-Daten gehören Angaben über Urlaub und Reisen, Freizeitaktivitäten, Autos, Investitionen, Haus und Heim, Einkaufen, ja selbst die Spendenbereitschaft und der Gesundheitszustand. Es gibt Kooperationen mit Quelle, Neckermann und der InfoScore Consumer Data GmbH. Informa wurde 1996 als Tochterfirma des Managementsystem-Anbieters Fair, Isaac International, des Adresshändlers Schober Information Group sowie der Inkasso-Firma Infoscore Management AG gegründet und gilt heute als international führend. Informa- Geschäftsführer Paul Triggs zeigt sich optimistisch: «Wir können für jeden Bürger einen Score ermitteln. Selbst wenn es über die Einzelperson einmal keine Daten gibt, hilft uns hier die Beurteilung des Nachbarn rechts oder links.»

Schon jetzt, so wirbt Informa bei der Telekommunikationsfirma Debitel, dass 90 Prozent aller Festnetzkunden mit 75 Prozent gescorter Adressen erreicht werden können. Den Big- Brother-Preis erhielt Informa, weil das Scoring- Verfahren auf Verbraucher angewandt und von einigen Web-Shops sogar automatisiert benutzt wird. Außerdem würden die Daten aus den unterschiedlichsten Quellen zusammengeführt, ohne darüber die Verbraucher jedoch ausreichend zu informieren.

Mit der Transparenz hapert es übrigens auch bei der Schufa: Erkundigt sich ein Betroffener nach seinem Score-Wert, verschlechtert dieser sich automatisch. Für die Datenschützer ist das «rechtlich äußerst bedenklich». Als ebenso bedenklich stufen die Datenexperten im deutschsprachigen Raum die Praktiken der österreichischen Post AG ein, die beim Adresshändler Schober Großhändler und auch Kunde ist. Beide haben eine gemeinsame Tochter, die Postadress Austria GmbH. Die Post AG bietet ihren Kunden auf Basis der Schober-Datenbanken ein Direktmarketing-Paket an. Zudem gibt sie sogar Auskünfte über ihre Kunden, wenn Dritte wie etwa Inkassobüros anfragen. Die Jury zeigte sich erstaunt darüber, dass «Auskünfte über geleerte oder auch nicht geleerte Brief- und Hauspostfächer und anderes bereitwillig und einfach zu erhalten» sind.

Berliner Morgenpost, 23. November 2001

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