Die Politik streitet noch – der Bielefelder Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD) hat bereits entschieden: Die Privatsphäre des deutschen Bürgers darf nicht beschnitten werden. Wer das nicht respektiert, muss mit dem Gewinn des BigBrotherAwards rechnen.
Seit 2000 vergibt der FoeBuD seine Auszeichnung für deutsche Datenkraken, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder Dritten persönliche Daten zugänglich machen. Bei der 2007er Wahl am letzten Freitag ganz vorne mit dabei: Bundesminister Peer Steinbrück und der Pharmakonzern Novartis.
Die Überraschung der Wahl vorweg: Traumkandidat Wolfgang Schäuble bekam keinen Preis. Die Begründung der Jury: Zwar setze er mit seiner Panikmache und Drohpolitik die Bevölkerung wie kein Anderer in Angst und Schrecken. Aber es wäre falsch, ihn zu dämonisieren und die Terrordebatte auf diese Weise zu verengen.
Der als "Gegenterrorist" bezeichnete Schäuble könnte die Verleihung des BigBrotherAwards außerdem als Ansporn verstehen, seinen Sicherheitsextremismus noch zu verstärken. Womöglich, resümierten die Veranstalter, könne Schäuble in Zukunft einmal mit der Verleihung des BigBrother-Lifetime-Awards rechnen. Diesen "Ehrenpreis" bekam 2005 bereits Otto Schily.
"Besser" als Schäuble machte es der Pharmakonzern Novartis. Das Unternehmen und sein CEO Dr. Peter Maag erhielten den BigBrotherAward in der Kategorie Arbeitswelt. Das Siegerkonzept laut Jury: Die Bespitzelung der Arbeitnehmer und die damit verbundene Verletzung grundlegender Persönlichkeitsrechte.
Trotz Kodex-Verpflichtung bei der "Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie“ schaffe es Novartis, im Außendienst eine Art Kriegszustand zu beschwören: Mitarbeitern im Außendienst sollen laut FoeBuD Detektive hinter geschickt und die Arzt- und Apothekenbesuche minutiös protokolliert worden sein.
Zu dem Vorgehen passe auch die selbst auferlegte Parole für den Außendienst: "Kill To Win – No Prisoners“. Das solle zu Höchstleistungen motivieren. Dahinter scheine aber eher der Druck zu stehen, die hohen Vorgaben für den täglichen Besuchsschnitt von Ärzten und Apotheken zu erreichen.
Der Betriebsrat habe zwar auf die Verletzung der Persönlichkeitsrechte hingewiesen. Schützen könne er die Mitarbeiter allerdings nicht. So verwundere es nicht, dass die Mitarbeiter die Ergebnisse einer "Selbsteinschätzung“ trotz zugesicherter Vertraulichkeit zurückgeschickt bekamen – personalisiert und mit Bewertung / Verbesserungsvorschlägen aus der Personalabteilung versehen.
Bei Geld hört die Freundschaft auf. Das nimmt sich Bundesfinanzminister Peer Steinbrück wohl zu Herzen und will deshalb eine lebenslange Steuer-Identifikationsnummer (Steuer-ID) einführen – für alle Einwohner der Bundesrepublik Deutschland. Dafür gab es den BigBrotherAward in der Kategorie Politik.
Die geplante Steuer-ID gilt über den Tod hinaus, im wahrsten Sinne des Wortes. Egal ob geheiratet, Name geändert, Geschlecht umgewandelt oder gestorben: Die Steuer-ID bleibe bis 20 Jahre nach dem eigenen Tod erhalten.
Auch vor Neugeborenen mache die Schlinge des Finanzministers nicht halt. Das begründet das Bundesfinanzministerium laut FoeBuD wie folgt: "Nach dem Einkommensteuergesetz sind natürliche Personen […] bereits mit der Geburt einkommensteuerpflichtig. Zwar werden diese Steuerpflichtigen im Regelfall noch keine Einkommensteuer schulden, dennoch kommen derartige Konstellationen vor […]. Ohne die IdNr. wären solche Fälle nur schwer feststellbar, da die Finanzämter auf Grund der fehlenden steuerlichen Erfassung keine Informationen über den Steuerschuldner hätten."
Die Jury bemängelt besonders, dass mit der Steuer-ID “eine eindeutige Identifizierung des Steuerpflichtigen in Besteuerungsverfahren“ ermöglicht werden soll. Genau dies sei aber die Funktion eines verfassungswidrigen Personenkennzeichens (PKZ). Und das sei laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1969 mit der Menschenwürde nicht zu vereinbaren.
Auch die restlichen Preisträger sollen nicht vergessen werden. Aus Mangel an Platz hier in Kurzform die weiteren Kategoriesieger:
Kommunikation: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries Sie erhält den BigBrotherAward für ihren Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung.
Regional: Behörde für Bildung und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg Preis für die Einrichtung eines Schülerzentralregisters mit dem (Neben-)Zweck, ausländische Familien ohne Aufenthaltserlaubnis aufzuspüren.
Wirtschaft: Deutsche Bahn AG Die Bahn macht laut Jury anonymes Reisen mit den Mitteln des faktischen Zwangs unmöglich: Auflösen von Fahrkartenschaltern, Automaten ohne Bargeldannahme, Abfrage des Geburtsdatums, Zwangsabgabe eines Bildes bei Bahncards u.v.m.
Verbraucherschutz: Hotelketten Marriott, Hyatt und Intercontinental (stellvertretend für viele weitere) Preis für das Erfassen und zentrale Speichern persönlicher Daten – ohne das Wissen der Gäste: Dazu gehören unter anderem Trink- und Essgewohnheiten, Allergien sowie private und berufliche Kontaktadressen.
Technik: PTV Planung Transport Verkehr AG Die AG bekommt den Preis für das so genannte "Pay as you drive"-System. Ein Gerät, das Fahrtroute und Fahrverhalten individuell aufzeichnet und der KfZ-Versicherung meldet.
Behörden und Verwaltung sowie Publikumspreis: Generalbundesanwältin Monika Harms Preis für ihre Antiterror-Maßnahmen gegen Gegner des G8-Gipfels im Mai dieses Jahres – insbesondere für die Briefkontrollen in Hamburg und die angeordneten Körpergeruchsproben.
Aus 500 Nominierungen musste die BigBrotherAward-Jury in diesem Jahr die besten "Datengeier" aussuchen. Auch für das nächste Jahr können bereits BigBrother-Kandidaten nominiert werden.
Bis zum 15. Juli 2008 haben Sie Zeit, Organisationen, Institutionen, Verbände oder Personen vorzuschlagen. Benötigt werden dazu: Name der/des Nominierten; eine aussagekräftige Begründung; Ihr Name und Ihre E-Mail-Adresse. Ein anonymer Vorschlag ist auch möglich, erschwert laut den Veranstaltern aber die Recherche.
Die Nominierungen können über bba@foebud.org oder per Post eingesandt werden
Mehr Informationen zu den Preisträgern und zur neuen Nominierung gibt es unter www.bigbrotherawards.de
biz-awards, Berlin, 16. Oktober 2007
Original: http://www.biz-awards.de/personaler/nachrichten/602/politische-datenkraken-ausgezeichnet.htm