Eine Identitätsnummer, die Schüler vom Kindergarten bis zum Studium begleitet? Alle Bildungskarrieren gespeichert in einer bundesweiten Datenbank? Was sich anhört wie eine Idee aus George Orwells Science Fiction-Roman 1984, wollen die Kultusminister verwirklichen. Datenschützer haben ihnen dafür schon im Vorfeld den Anti-Preis "BigBrotherAward 2006" verpasst.
Wenn es nach der Kultusministerkonferenz (KMK) geht, soll jeder Schüler in Deutschland künftig eine eigene Identitätsnummer erhalten, die er auch bei Schul- und Wohnortwechseln behält. Die Daten von insgesamt zwölf Millionen Kindern sollen anonym in ein geplantes nationales Bildungsregister einfließen. Dort sollen sie unter anderem Aufschluss über soziale und nationale Herkunft der Kinder sowie über ihren Bildungserfolg geben. Die KMK bastelt offenbar schon seit mehreren Jahren an dieser Idee - bekannt wurden die Pläne aber erst Anfang Oktober. Jetzt haben die Kultusminister in Berlin weiter über die Einführung der Schülerdatei beraten, allerdings noch ohne endgültigen Beschluss.
Es wäre eine der größten Datenansammlungs-Aktionen der jüngeren deutschen Geschichte: Nach dem Willen der KMK soll die individuelle Datenerfassung möglichst schon vor der Einschulung beginnen und sich bis in das spätere Studium hinein ziehen. Registriert werden soll die ganze Bildungskarriere - zum Beispiel besuchte Schulform, Fächerwahl, Berufswünsche, Schulwechsel und ob beziehungsweise wie oft ein Schüler sitzen geblieben ist. Auch persönliche Daten wie das Geburtsland des Schülers, sein sozialer Hintergrund und die zu Hause gesprochene Sprache sollen erfasst werden.
Zunächst sollen die Daten auf Landesebene gespeichert werden, später bundesweit. Die Schul-Amtschefs der 16 Länderministerien haben sich bereits weitgehend auf das Vorhaben verständigt. Man wolle über die Daten "Steuerungswissen" erhalten, um genügend Bildungsangebote zur Verfügung zu stellen oder Vergleichsstudien über den Schulerfolg zu machen, so die Begründung.
Die KMK verspricht sich durch die Daten mehr Qualität in der Bildung sowie eine bessere nationale und internationale Vergleichbarkeit. Noch ist das Projekt aber nicht verabschiedet: Im Januar erst soll es öffentlich diskutiert werden. Die KMK-Präsidentin Ute Erdsiek-Rave versicherte schon jetzt, dass alle Datenschutz-Bestimmungen eingehalten würden und betonte: " Wir wollen nicht den gläsernen Schüler, sondern die gläserne Schule." Das bayerische Kultusministerium argumentiert ähnlich: Man könne mit Hilfe der geplanten Datei gezielt Schüler aus benachteiligten Familien fördern.
Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) ist für eine zentrale Schülerdatei. Sie verweist dabei auf Skandinavien, wo man mit solchen Erhebungen bereits sehr gute Erfahrungen gemacht hätte. Peter Schaar, der Bundesdatenschutzbeauftragte, lehnt das Vorhaben hingegen ab: Er befürchtet, dass die Schüler-IDs mit bereits bestehenden Registrierungen zusammengefasst werden könnten, etwa der Krankenversicherungs- und der Sozialversicherungsnummer.
Die Datenschutzbeauftragten der Länder greifen das Vorhaben teilweise scharf an. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk ätzte etwa der bayerische Landesbeauftragte für Datenschutz, Karl Michael Betzl: "Was wir an Datenmengen über einzelne Bürger in der Antiterror-Datei haben, ist absolut nichts gegenüber dem, was in die Schülerdatei hinein soll." Er habe den Eindruck, die Statistiker der KMK wollten auf Vorrat interessante Daten sammeln. Dies sei aber "verfassungsrechtlich unzulässig", so Betzl weiter. Ähnlich hatte sich bereits Christian Schnoor geäußert, Referatsleiter beim sächsischen Datenschutzbeauftragten.
Kritik kommt auch von den Betroffenen: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sowie der Deutsche Lehrerverband (DL) sind strikt gegen den Vorstoß. DL-Präsident Josef Kraus beschimpfte das Bildungsregister als "Einstieg in die Orwell'sche Big-Brother-Schule." Auch Eltern lehnen die Schülerdatei ab: So befürchtet die Landeselternvereinigung der Gymnasien in Bayern, dass die Daten nicht anonymisiert bleiben und missbraucht werden könnten.
Jetzt hat die KMK auch noch eine Auszeichung für ihren Vorstoß eingesackt: den BigBrotherAward 2006. Mit diesem Anti-Preis zeichnet eine Jury aus verschiedenen Datenschützerorganisationen jedes Jahr Deutschlands unverfrorenste Datensammler aus. In der Kategorie Verwaltung hat diesmal die KMK alle Konkurrenten ausgestochen: Die Jury ehrte die Kultusministerkonferenz "für das Vorhaben, lebenslange Schüler-IDs einzuführen, ohne die individuellen Bildungsdaten an feste Zwecke zu binden und vor Missbrauch und unberechtigtem Zugriff zu schützen." Na dann - herzlichen Glückwunsch!
Bayrischer Rundfunk, München, 22. Oktober 2006
Original: http://www.br2.de/wissen-bildung/artikel/0609/29-bildungsregister/index.xml