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Überwachen und bespitzeln

"Big Brother Award" für die Verletzung des Datenschutzes geht an Berlins Innensenator Werthebach

von Tilman Baumgärtel

Über diesen Preis dürfte sich der Berliner Innensenator Eckart Werthebach nicht freuen: den Big Brother Award, der ihm gestern in Abwesenheit verliehen worden ist, erhalten Menschen, Institutionen und Firmen, die sich auf besondere Weise um die Verletzung der Privatsphäre Dritter verdient gemacht haben. Oder, anders gesagt: die ihre Mitbürger überwachen, bespitzeln und Daten über sie speichern, die sie nichts angehen.

Die Begründung für die Auszeichnung: Werthebach habe im September dieses Jahres die Beschaffung von neuen Geräten für Telefonüberwachung im Wert von drei Millionen Mark beim Berliner Abgeordnetenhaus beantragt. Dafür sollen 75 Aufzeichnungs- und 55 Auswertungsgeräte angeschafft werden. Bis 2003 soll neue Abhörausstattung für weitere 4,7 Millionen Mark angeschafft werden. Die Jury schreibt zur Begründung: "Die undifferenzierte Forderung nach immer mehr Telefonüberwachung stellt eine massive Gefährdung des Fernmeldegeheimnisses dar."

Die Auszeichnung werde Werthebach "exemplarisch" verliehen, heißt es in der Erklärung der Jury weiter. Auch in anderen Bundesländern gäbe es Bestrebungen, die Möglichkeiten der polizeilichen Telekommunikationsüberwachung "massiv auszubauen."

Nicht nur Verdächtige

Werthebachs Vorhaben gehe jedoch weiter. Er will in der Bundeshauptstadt auch so genannte IMSI-Catcher einsetzten, mit denen Handytelefonate abgehört werden können. Dabei "catchen" die Geräte nicht nur die Telefongespräche von Verdächtigen, sondern auch die Handynummer von Unbeteiligten, die sich zufällig gerade in der Nähe befinden. Werthebach hat für die Anschaffung von IMSI-Catchern für das kommende Jahr eine halbe Million Mark beantragt.

In anderen Bundesländern gibt es die IMSI-Catchern nicht - unter anderen deswegen, weil die Geräte auch eine Störung des Mobilfunkverkehrs verursachen. Die Legalisierung des Einsatz von IMSI-Catchern wurde 1997 vom Gesetzgeber abgelehnt. Der Bundesbeauftrage für den Datenschutz nannte die Technologie damals einen "eklatanten Verstoß gegen das Recht auf unbeobachtete Kommunikation".

Hanns-Wilhelm Heibey, Stellvertreter des Berliner Datenschutzbeauftragten, war über die IMSI-Überwachung in Berlin, durch die er erst durch den Big Brother Award erfahren hatte, "sehr überrascht" und kündigt an, dass seine Behörde deswegen tätig werden wolle: "Der Innensenator hat sicherlich andere Prioritäten als den Schutz der informellen Selbstbestimmung."

Werthebachs Kommentar zum Big Brother Award fiel indes knapp aus: "Nicht jeden Preis, den man verliehen bekommt, hat man auch verdient." Die Einladung zu der Preisverleihung in Bielefeld schlug er aus.

Dabei hätte er sich dort in prominenter Gesellschaft wiedergefunden: Hartmut Mehdorn wurde für das "Sicherheitskonzept" der Deutschen Bahn AG ausgezeichnet, das unter anderem eine flächendeckende Videoüberwachung von 42 Bahnhöfen in ganz Deutschland vorsieht. Die Fahrgäste der Deutschen Bahn wüssten in der Regeln nicht, dass sie auf dem Bahnhof gefilmt würden, begründete die Jury ihre Entscheidung, da die Kameras versteckt angebracht seien. Außerdem sei für die Betroffenen undurchschaubar, wer für die Überwachung zuständig sei: die Bahn, der Bundesgrenzschutz oder der Sicherheitsdienst der Deutschen Bahn.

Den Big Brother Award in der Kategorie "Business und Finanzen" holte sich das Stuttgarter Unternehmen Payback, das ein Bonuspunktesammelsystem anbietet. Das funktioniert ähnlich wie früher die Rabattmarkenheftchen: Wer bei einem der Unternehmen, das mit Payback kooperiert, einkauft, erhält "Payback-Punkte", die auf einer Art Kreditkarte gespeichert werden. Ab einer bestimmten Summe kann man sich dieses Geld aufs eigene Konto überweisen lassen. Zu den Firmen, die sich an dem System beteiligen, gehören unter anderem AOL, Consors, DEA, Europcar, der Kaufhof, die UFA-Kinos und DM-Drogeriemärkte.

Unerwünschte Werbepost

Was wie ein Dienst am Käufer wirkt, ist jedoch eine Methode, um Informationen über Kunden zu erheben, an die man sonst nicht kommen würde. Payback würde Daten sammeln, die "zu einer Rabattgewährung nicht nötig, aber zum Erstellen von Konsum- und Persönlichkeitsprofilen geeignet sind", heißt es in der Begründung der Preis-Jury.

Die beteiligten Unternehmen könnten die so gewonnen Daten für unerwünschte Werbesendungen und für ihre Marktforschung nutzen. Den meisten Nutzern sei nicht bekannt, dass ihre Daten zu kommerziellen Zwecken verwertet würden.

Für sein "Lebenswerk" wurde das Bundesverwaltungsamt in Köln ausgezeichnet. Der Grund: die Behörde führt seit 1953 ein "Ausländerzentralregister", in dem Angaben zu mehr als zehn Millionen Personen gespeichert sind, obwohl die Erfassung von nichtdeutschen EU-Staatsangehörigen gegen geltendes Europarecht verstößt.

Berliner Zeitung, 27. Oktober 2000

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