Wofgang Noelke
Am vergangenen Freitag war es wieder so weit. Im Ost-Westfälischen Bielefeld wurden die "begehrtesten Preise für Datenkraken", so die Preisstifter, vergeben. Der Big-Brother-Award wurde auch in diesem Jahr wieder an "Firmen, Organisationen und Personen" verliehen, "die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen." Die Laureaten bemühten sich indes um Schadensbegrenzung.
Es war zu erwarten, dass unter den diesjährigen Preisträgern auch Institutionen zu finden sind, die im Sinne der amerikanischen Bush-Regierung fast jeglichen Datenschutz abgebaut haben, wie die Regierung der USA selbst, die die Fluggesellschaften dazu zwingt, ihre Kundendaten den US-Geheimdienten unkontrolliert zur Verfügung zu stellen. Der kleine Bielefelder Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V. FoeBuD wächst so langsam zu einer Instanz zur Wahrung des Datenschutzes. Wer hier den Big Brother Award verliehen bekommt - eine in hässlich braunem Stein modellierte, stramm stehende Figur mit Händen an der Hosennaht, mit viel zu kleinen Kopf zwischen den hochgezogenen Schultern - wer diesen Preis verliehen bekommt, steht bereits unter so starkem Rechtfertigungsdruck, dass die Preisträger wenigstens schriftlich dazu Stellung nehmen - und gegebenenfalls ihr Verhalten ändern, wie die Deutsche Post- AG etwa umstrittene Arbeitsverträge, die die Arbeitnehmer der Postfilialen dazu verpflichtete, nach zweiwöchiger Erkrankung unverhältnismässig viele persönliche Daten preiszugeben. Den Big-Brother-Award gabs dafür aber trotzdem.
Meistens versuchen die Preisträger jedoch, ihre Praxis der Datenschnüffelei zu rechtfertigen, wie die Innenministerien Thüringen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Berlin, die für ihre präventiven Überwachungsmethoden ausgezeichnet wurden, nach denen offensichtlich alle Bürger - auch die, die sich nichts zu Schulden kommen lassen - als potentiell Verdächtige gesehen werden. Wie anders könnte beispielsweise die stille SMS, die den Standort jedes Handybesitzers an die Behörden melden kann, aus Sicht des Vereins gewürdigt werden, als reif für den Big Brother Award. Die stille SMS verstoße gegen Artikel 10, Absatz 1 des Grundgesetzes, so der Berliner Rechtsanwalt Dr. Fredrik Roggan:
Dies schützt nicht nur die unmittelbare Kommunikation, sondern auch die Kommunikationsbereitschaft. Die Privatheit des Gedankenaustausches ist nämlich auch dann schon gefährdet, wenn die Menschen davon ausgehen müssen, dass ihr angeschaltetes, aber nicht benutztes Handy zum Anknüpfungspunkt werden kann. Für Eingriffe in das Telekommunikationsgeheimnis bedarf es daher einer klaren Rechtsgrundlage, aus der sich die Vorausssetzungen und der Umfang der Ermächtigung an die Polizei für die Bürger erkennbar ergeben. Und das Bemerkenswerte: ein solches Gesetz existiert ganz offensichtlich nicht, was offenbar auch vom Preisträger anerkannt wird.
So oder ähnlich suchen alle Preisträger aus Sicht des Vereins Schlupflöcher im Datenschutz: die Metro- AG mit dem Future-Store, in dem jede Ware mit einem Funkchip ausgestattet ist, die Rundfunk-Gebühreneinzugszentrale GEZ, mit ihrer Praxis unzulässig Daten der Einwohnermeldeämter auf Vorrat zu speichern und der Internetserviceprovider T-Online, der die IP- Nummern seiner DSL-Flatrate-Kunden speichert, obwohl niemand zur Abrechnung einer Flat-Rate IP-Adressen benötigt. Ob dies aus Gedankenlosigkeit oder absichtlich geschieht war nicht zu erfahren: Schamhaft mieden diesmal alle Preisträger Bielefeld.
Deutschlandfunk, 25. Oktober 2003
Original: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/computer/195962/