Das war eine Preisverleihung der besonderen Art: sechs Preisträger und keiner davon nahm die Ehrung entgegen. Aus gutem Grund, zeichnen doch die Big-Brother-Awards besondere Datenkraken und rüden Umgang mit persönlichen Informationen aus.
Unmittelbar vor der siebten Verleihung der Negativpreise, der Big-Brother-Awards, demonstrierten in Bielefeld mehr als 300 Menschen mit einem bewusst zweideutigen Slogan gegen die zunehmende Überwachung. Für Dr. Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und Laudator des Bielefelder Negativpreises, der in der Kategorie "Politik" diesmal der Innenministerkonferenz verliehen wurde - das ist nur eine, von insgesamt sechs Kategorien - für Rolf Gössner steht fest, dass die Anschläge auf das World-Trade-Center heute noch Argumentationshilfe seien, den Datenschutz auszuhebeln:
Seit dem 11.9.2001, seitdem leiden doch die Bürger-Menschenrechte erheblich - weltweit, aber auch der Bundesrepublik. Wir haben die umfangreichsten Sicherheitsgesetze in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik erlebt, mit den so genannten Antiterrorgesetzen und diese Entwicklung hin zu mehr staatlicher Überwachung. Die soll offenbar auch weiter gehen, denn gerade wird ein Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz verhandelt und eine so genannte Antiterrordatei und das lässt nichts Gutes ahnen.
Nichts Gutes bekommen neben den Innenministern auch die Kultusminister aus Bielefeld: ebenfalls einen der sechs Negativpreise. Hier ist es die Planung einer Schülerdatenbank. Noch Jahre nach Schulabschluss wären die Leistungen und Schwächen jedes Schülers abrufbar, wenn nicht im Vorfeld strengster Datenschutz und öffentliche Kontrolle gewährleistet würde. Ernsthaft könne man daran zweifeln, seitdem der nächste Preisträger, der Landtag Mecklenburg-Vorpommern beschließen durfte, so genannte "verdachtsunabhängige Ton- und Videoaufzeichnungen an allen öffentlichen Plätzen" zu gestatten. Nach Ansicht der Big-Brother-Jury seien damit in Mecklenburg-Vorpommern - Zitat: "die Hürden für eine solche Überwachungsanordnung ähnlich niedrig wie zu DDR Zeiten".
Ganz zu diesem Trend passe das Verhalten der Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication, kurz SWIFT: Nicht nur die Übermittlung von Bankdaten an US-amerikanische Behörden sei illegal, sondern auch die treuherzige Entscheidung der SWIFT-Manager, die Bankdaten aller europäischen Kunden auf in den USA stationierten Servern zu spiegeln. Preiswert für die Kategorie "Wirtschaft", befand die Jury. Unrühmlich verhalten im Verbraucherschutz würde sich die gesamte deutsche Versicherungswirtschaft, weil deren Kunden bereits dann in einer Schwarzen Liste, der so genannten "Uniwagnis-Datei" erscheinen, wenn sie beispielsweise mehrfach innerhalb eines halben Jahres ihre Rechtsschutzversicherung nur fragen würden, ob eventuell ein Rechtsstreit finanziert werden könne. Selbst Zeugen von Verkehrsunfällen würden in dieser Schwarzen Liste erfasst. Die Geheimniskrämerei der Versicherer um ihre "Uniwagnis-Datei", so die Big-Brother-Jury, sei preiswürdig. Den Preis der Kategorie "Technik" widmeten die Bielefelder stellvertretend der Firma "Philips", deren CD- und DVD-Brenner jedem Rohling einen so genannten "Recorder Identification-Code" verpassen. Angeblich sollte diese Markierung mal helfen, Raubkopierer zu ermitteln. Den Mut, den Preis in Empfang zu nehmen, hatte niemand, bedauert Rena Tangens, Vorstandsmitglied des Bielefelder Vereins FoeBuD:
In den Anfangsjahren war es so, dass Firmen oder auch Politiker oft dachten, dass sich das am ehesten legt, wenn sie die Big-Brother-Awards einfach ignorieren. Mittlerweile wissen Preisträger, dass das nicht ratsam ist. Die meisten nehmen dann auch Stellung. Und wir haben auch in diesem Jahr Rückmeldungen erhalten, zumindest die Meldung, dass sie nicht kommen werden oder dass die ihr Tun richtig halten, aber die Firma Philips beispielsweise, die deutsche Vertretung, zeigte sich in Unwissen, dass sie die Seriennummern bei ihren CD-Brennern auf jede CD-ROM schreiben und das lässt ja hoffen, dass vielleicht auch dort irgendwann Taten folgen, dieses tatsächlich auch wieder zu ändern. Ansonsten, Microsoft Deutschland hat tatsächlich das Standing gehabt, und hat - 2003 war das, glaube ich - den Konzern-Datenschutzbeauftragten aus München eingeflogen, der den Preis persönlich entgegengenommen hat, alle Achtung, muss ich sagen! Und Sie haben dann auch gelobt, in Zukunft mehr auf Datenschutz und Privatsphäre acht zugeben. Wie weit sie das tun, das sollten wir weiter im Auge behalten.
Wolfgang Noelke
Deutschlandfunk, Köln, 21. Oktober 2006
Original: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/computer/555994/