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Big Brother Awards 2007 - Datenschutz und Privatsphäre

Die alljährliche Verleihung der "Oscars für Datenkraken" fand gestern im Rahmen einer Veranstaltung in Bielefeld statt. Seit 2000 werden die ungeliebten Auszeichnungen an Unternehmen, Organisationen oder Personen verliehen, die aus Sicht der Jury, durch einen besonders mangelhaften Umgang mit persönlichen Daten Dritter und dem Datenschutz auffällig geworden sind. Die Jury setzte sich in diesem Jahr aus Mitgliedern von FoeBuD e.V. (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V.), dem FIfF (Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V.), dem Chaos Computer Club (CCC), der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD), der Humanistischen Union (HU), der Internationalen Liga für Menschenrechte (ILMR) und dem FITUG e.V. (Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft) zusammen.

Vor 300 Zuschauern wurden in den Kategorien Arbeitswelt, Regional, Wirtschaft, Verbraucherschutz, Technik, Politik, Kommunikation und Behörden & Verwaltung die Negativpreise verliehen. Die Preisträger im Einzelnen:

In der Kategorie "Arbeitswelt" wurde das Unternehmen Novartis Pharma GmbH, vertreten durch den CEO Dr. Peter Maag, ausgezeichnet. In der Begründung dazu heißt es: Das Pharma-Unternehmen erhalte den Preis "für die Bespitzelung ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die damit verbundene Verletzung grundlegender Persönlichkeitsrechte." (...) "Man erwartet jedenfalls nicht, dass es zum Standard gehört, Mitarbeitern im Außendienst in großem Stil Detektive hinterherzuschicken, um minutiös deren Arzt- und Apothekenbesuche zu protokollieren. Man erwartet auch nicht, dass die Ergebnisse von Erhebungen am Arbeitsplatz, für die ausdrücklich Anonymität zugesichert wurde, dem einzelnen Mitarbeiter von der Personalabteilung bewertet zurückgegeben werden. Genauso wenig erwartet man, dass die mit der Durchführung beauftragte Agentur entsprechende Beschwerden mit dem Satz kommentiert „So naiv kann man doch nicht sein!“ (nämlich zu denken, dass der Auftraggeber die Ergebnisse nicht erhielte)."

Preisträgerin in der Kategorie "Regional" war die Behörde für Bildung und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg, vertreten durch die zuständige Senatorin Alexandra Dinges-Dierig. In der Begründung wird die Einrichtung eines Schülerzentralregisters genannt. Durch dieses sei es möglich und üblich, ausländische Familien ohne Aufenthaltserlaubnis aufzuspüren. Den Preis in der Kategorie "Wirtschaft" erhielt die Deutsche Bahn AG, vertreten durch ihren Vorstandsvorsitzenden Hartmut Mehdorn, für Datensammlungen über ihre Kunden. Dabei betonte der Laudator, dass es keineswegs in erster Linie um einen mangelnden Service des ehemaligen Staatsunternehmens gehe, sondern die allgegenwärtige Registrierung von Daten, sei es beim Kauf eines Brötchens oder am Fahrkartenautomat, gehe.

Der "Negativ-Oskar" in der Kategorie "Verbraucherschutz" geht gleich an eine ganze Branche. Für "das Sammeln und zentrale Speichern höchstpersönlicher Informationen über ihre Gäste ohne deren Wissen" werden die "internationalen Hotelketten in Deutschland Marriott, Hyatt und Intercontinental (stellvertretend für viele weitere)" ausgezeichnet. In der Begründung heißt es: "Gespeichert werden unter anderem private und berufliche Kontaktadressen, Telefonnummern, Kreditkartendaten, Geburtsdatum, Nationalität, Passnummer, komplette Rechnungen, Pay-TV-Benutzung und Telefonate. Das Hotelpersonal wird dazu angehalten, weitere Details über seine Gäste im System zu notieren wie Familienkonstellation, Trink- und Essgewohnheiten, Allergien, Hobbys, Sonderwünsche, Beschwerden, Vorlieben und so weiter. Einmal erfasst, bleiben all diese Informationen auch nach der Abreise des Gastes gespeichert – und zwar auf unbestimmte Zeit. Dieses Vorgehen bewegt sich am Rande und zum Teil auch schon jenseits der Legalität."

In der Kategorie "Technik" erhielt die PTV Planung Transport Verkehr AG den Big Brother Award 2007. Der Laudator Frank Rosengart vom CCC begründete die Entscheidung damit, dass das Unternehmen ein so genanntes "Pay-as-you-drive"-System entwickelt habe. Dieses dient zur individuellen Berechnung der KFZ-Versicherung, bei dem die Fahrtroute und das Fahrverhalten aufgezeichnet und an die Versicherung übermittelt werde. Das größte Problem dabei sei die zentrale Datenverarbeitung des Systems: "Um stets mit aktuellen Kartenmaterial zu arbeiten und um die Komplexität der Pay-as-you-drive-Black-Box überschaubar zu halten, sollen die Fahrdaten per Mobilfunk (GSM) an die Versicherungszentrale übermittelt werden. Die Fahrdaten werden dann nicht in der Black-Box dezentral und sicher vor neugierigen Blicken gespeichert, sondern die Box übermittelt ihr Wissen über den Fahrer regelmäßig an die Versicherungszentrale. Dort werden diese Daten mit aktuellem Kartenmaterial verglichen und es wird kontrolliert, ob die in der Versicherungspolice vorgegebenen „Selbstbeschränkungen“ und gesetzlich angeordnete Verbote eingehalten werden. Und gleichzeitig können sich Behörden und andere Bedürftige bei der Versicherungszentrale oder einem beauftragtem Dienstleister jederzeit an diesen Daten bedienen."

Der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück, konnte sich in der Kategorie "Politik" über die Auszeichnung "freuen". Er erhielt die Auszeichnung für die geplante Einführung einer lebenslangen Steuer-Identifikationsnummer (Steuer-ID). In der Begründung heißt es: "Die Schlinge des Staates um den Bürger zieht sich immer weiter zu, wenn zusätzlich zur Identifikation per Biometrie und Kameras auch noch die finanziellen Transaktionen direkt mit einer Person verknüpft werden können. Diese technischen Verknüpfungsmöglichkeiten wecken sicherlich Begehrlichkeiten, die über kurz oder lang dazu führen werden, dass die Liste der zulässigen Zwecke, zu denen die Steuer-ID genutzt werden darf, lang und länger werden wird."

Die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries erhält für ihren Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung den Big Brother Award 2007 in der Kategorie "Kommunikation" . In der ausführlichen Begründung wird dabei auch die grundsätzliche Problematik mit dem europäischen Recht, hinsichtlich der Verpflichtung zur Umsetzung einer EU-Richtlinie in ein nationales Gesetz, berücksichtigt. Allerdings hätte sich die Ministerin nach Ansicht der Jury auch anders bzw. differenzierter verhalten können: "Aus den folgenden Gründen hätten wir von Ihnen, Frau Zypries, erwartet, dass Sie die EU-Richtlinie nicht in einen deutschen Gesetzentwurf formulieren, selbst wenn Sie damit das Risiko eines Vertragsverletzungsverfahrens eingehen: Die Information, wer zu welcher Zeit mit wem wie lange und von wo aus kommuniziert hat, ist in einer freien Kommunikations-Gesellschaft viel zu wichtig, als dass man diese Daten anlassunabhängig über jedermann speichern dürfte. Schließlich ist damit unvermeidbar der über die gesamte Bevölkerung ausgesprochene Verdacht verbunden, dass die Daten zu einem späteren Zeitpunkt einmal für Zwecke der Strafverfolgung benötigt werden könnten. Immerhin könnte sich jede und jeder einzelne von uns irgendwann einmal zum Gesetzesbrecher entwickeln."

Generalbundesanwältin Monika Harms war die Gewinnerin des Abends. Neben dem Preis in der Kategorie "Behörden und Verwaltung" räumte sie gleich noch den Publikumspreis mit ab. Die Jury sah als preisgekrönte Leistung der obersten Ermittlerin der Bundesanwaltschaft einerseits die Anordnung von "systematischen Briefkontrollen" in Hamburg zur Auffindung von Bekennerschreiben militanter G8-Gegner und andererseits die Abnahme von Geruchsproben von G8-Kritikern.

Neben der Verleihung der Big Brother Awards 2007 weist die Jury zudem immer noch auf aktuelle problematische Entwicklungen hin. Beispielsweise sind dies: Bundesfinanzministerium gewährt Google Einblicke in die Daten der Besucher der Website oder auch die Speicherung der Personendaten von Studenten, die in Baden-Württemberg gegen die Studiengebühren klagten. Nach der Intervention des Datenschutzbeauftragten mussten die Daten allerdings wieder gelöscht werden. Als gefährlichsten Trend für das nächste Jahr, sehen die Veranstalter die zunehmende biometrische Erfassung von persönlichen Daten durch staatliche aber auch private Stellen.

Zum Erstaunen vieler, ging Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble in diesem Jahr (fast) leer aus. In der Kategorie "Außer Konkurrenz" wurde von der Jury trotzdem deutlich auf die datenschutzrechtlich problematischen Aktivitäten Schäubles hingewiesen. Sarkastisch heißt es in der Begründung: "Auf der anderen Seite müssen wir jedoch dankbar konstatieren, dass der Innenminister sich durchaus beachtliche Verdienste um das Datenschutzbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger erworben hat, die inzwischen zu Tausenden auf die Straße gehen, Internet-Demos organisieren und Massenbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht ankündigen, um sich gegen seine Horrorpläne zur Wehr zu setzen. Wegen dieser verdienstvollen, wenn auch unfreiwilligen Mobilisierung oppositioneller Kräfte ist ihm gar die Ehrenmitgliedschaft in der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD) angetragen worden."

Fazit: Die seit dem Jahr 2000 auch in Deutschland stattfindende Verleihung der Big Brother Awards, ist eine wichtige Veranstaltung. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf den Umgang und die Belange des Datenschutzes. Allzu oft wird die Bedeutung persönlicher Daten unterschätzt, bewusst ignoriert oder der Umgang mit ihnen bis zum Äußersten ausgereizt. Die Veranstalter und Laudatoren schaffen mit ihren pointierten Begründungen und wohl formulierter Kritik eine große und notwendige Öffentlichkeit.

Phillip Otto

e-recht24, Berlin, 13. Oktober 2007
Original: http://www.e-recht24.de/news/datenschutz/660.html

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