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Big-Brother-Award

CD-Brenner überwacht Benutzer

CD-Brenner versehen Rohlinge mit einer Nummer, um Raubkopierer zu jagen. Behörden lauschen per Videokamera, was Bürger auf Parkbänken, Behördenfluren, Bussen und Bahnen reden. Für solche und andere Datenschutzskandale erhielten Behörden und Unternehmen heute den Big-Brother-Award.

Mit einer technischen Leistung besonderer Art, dem gläsernen CD-Brenner, machte der Elektronikkonzern Philips auf sich aufmerksam. Er entwickelte einen Standard, mit dem CD-Brenner eine eindeutige Seriennummer auf den CD-Rohling schreiben. Mithilfe der Nummer können die Datenträger zum Brenn-Gerät zurückverfolgt und somit etwaige Raubkopierer überführt werden. Der Benutzer des Brenners wird darüber nicht informiert.

„Es ist in Deutschland nicht strafbar, Musik-CDs oder Filme für den privaten Gebrauch zu brennen“, sagt Frank Rosengart vom Chaos Computer Club. Trotzdem überwache das Verfahren von Philipps vor allem den privaten Nutzer. Denn die in Osteuropa oder Asien in großem Stil hergestellten Kopien von Musik, Filmen und Software stammten meist aus richtigen Presswerken. „Selbstverständlich ohne Seriennummer des Gerätes“, sagt Rosengart.

350 Datensammler-Vorschläge für die Jury

Mehrere Organisationen verleihen jährlich im Oktober den Big-Brother-Award für die gröbsten Verstöße gegen den Datenschutz. Der Negativ-Preis jährt sich in diesem Jahr zum achten Mal. In der Jury des deutschen Big-Brother-Awards sind neben dem vom Bielefelder Verein Foebud unter anderem die Humanistische Union, die Deutsche Vereinigung für Datenschutz, der Chaos Computer Club und die Internationale Liga für Menschenrechte vertreten.

Der Bedarf nach einer kritischen Auseinandersetzung mit den Methoden besonders eifriger Datensammler ist offensichtlich vorhanden: Über 350 Vorschläge landeten auf dem Tisch der Jury, 1700 Seiten mit Recherche- und Hintergrundmaterial musste jedes Jurymitglied vor der Entscheidung durcharbeiten.

Lauschangriff auf die Bürger

Vergeben wurde der Big-Brother-Award 2006 in den Kategorien „Behörden und Verwaltung“, „Politik“, „Verbraucher“, „Wirtschaft“ und „Technik“. Einen Preis erhielten dabei auch die Mitglieder des Landtags Mecklenburg-Vorpommern – für die Kopplung von Video- und Audioüberwachung. Die Politiker hatten im Juli ein Gesetz verabschiedet, mit dem Menschen in öffentlichen Gebäuden, Plätzen und Verkehrsmitteln nicht nur per Videokamera beobachtet, sondern auch belauscht werden dürfen.

Die Ordnungsbehörden dürfen den Lauschangriff per Videokamera anordnen, sobald „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Straftaten begangen werden sollen“. Laudator Alvar Freude verwies auf die Leistungsfähigkeit heutiger Mikrofone: „Selbst bei Billiggeräten bleibt im Bus, auf der Parkbank oder in Behördenfluren kein Wort ungehört.“

Versicherungen tauschen Daten aus

Erstmals erhielten auch die deutschen Versicherungsunternehmen die Negativ-Auszeichnung. Rund 10 Millionen Einträge hegt und pflegt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft in einer Datei namens „Uniwagnis“. In der gemeinsamen Warn- und Hinweisdatei der Versicherungswirtschaft landen nicht nur Versicherungsnehmer, sondern alle Bürger, die den Versicherungen verdächtig erscheinen. Die Kriterien für die Warn- und Wagnisdatei halten die Versicherungen geheim. Eine ausreichende rechtliche Grundlage gibt es nicht.

Die Betroffenen haben keine Ahnung, dass etwas über sie gespeichert wird. Für einen Eintrag genüge es, so Jurymitglied Rena Tanges, den Hergang eines Unfalls zu bezeugen. „Die Warndatei tritt aber auch jedes Mal in Aktion, wenn jemand eine neue Versicherung abschließen will und sich nach den Konditionen erkundigt“, kritisiert Tangens. Sie warnt: „Ein Eintrag in der Warndatei kann zum Beispiel dazu führen, dass der Betroffene erhöhte Prämien zahlen muss oder keine Versicherung mehr erhält.“

Datenschutz-Gau Schüler-ID

Ausgezeichnet wurden schließlich drei weitere Datenschutzskandale, die bereits in den Medien für Aufruhr gesorgt hatten. Die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder bekam den Preis für das Vorhaben zugesprochen, lebenslang gültige Schüler-IDs einzuführen. Dabei sollen die Nutzung der Bildungsdaten weder an einen bestimmten Zweck gebunden, noch vor Missbrauch und unberechtigtem Zugriff geschützt werden. Für Jury-Mitglied Karin Schuler ein „Datenschutz-GAU“.

Die Innenminister von Bund und Ländern bekamen den Big-Brother-Award für ihren Beschluss, eine zentrale Anti-Terror-Datei zu errichten. Der Bürgerrechtler Rolf Gössner kritisiert, dass die Anti-Terror-Datei auf elektronischem Wege zu einer sicherheitspolitischen Wiedervereinigung von Polizei und Geheimdiensten führe.

Unter dem Vorzeichen des Anti-Terror-Kampfs stand auch die Auszeichnung der internationalen Genossenschaft der Geldinstitute SWIFT für ihre Übermittlung von Überweisungsdaten an US-Behörden. So stellt SWIFT-Europa den US-amerikanischen Behörden seit fast fünf Jahren die Daten internationaler Banktransaktionen zur Verfügung.

Christiane Schulzki-Haddouti

Focus, München, 20. Oktober 2006
Original: http://focus.msn.de/digital/pc/big-brother-award_nid_37799.html

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