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Big Brother Awards

Die schlimmsten Datensammler

Gläserne Bahnfahrer, Autofahrerüberwachung, Daten sammelnde Hotelketten, lebenslange Steuernummern: Der Negativpreis Big Brother Awards hat die Datenschutzskandale des Jahres ausgezeichnet.

Im vergangenen Jahr traf es unter anderem den IT-Hersteller Philips, die Kultusministerkonferenz und Otto Schily: Insgesamt sieben Organisationen vergeben seit 2000 die Big Brother Awards – einen Antipreis für die gröbsten Verstöße gegen den Datenschutz. Initiator ist der Bielefelder Datenschutzverein Foebud.

Auch 2007 erhielten durchgehend Vertreter aus Politik und Wirtschaft die unerwünschte Auszeichnung für die größten Datenschutzskandale des Jahres. Ausgezeichnet wurde dabei unter anderem die Generalbundesanwältin Monika Harms für ihre Antiterrormaßnahmen gegen Gegner des G8-Gipfels. Auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD), der eine lebenslange Steueridentifikationsnummer für alle Bürger einführen will, erhielt den „Negativpreis für Datenkraken“. Weitere Preisträger: die Deutsche Bahn und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD).

Insgesamt wurde die kritische Auszeichnung in acht Kategorien vergeben. FOCUS Online stellt die Datenschutzfälle vor. Deutsche Bahn AG: Funkchips in der Bahncard

Preisträger in der Kategorie „Wirtschaft“ ist die Deutsche Bahn AG. Für die Initiatoren der Big Brother Awards hat das Unternehmen systematisch anonymes Reisen auf vielfältige Art und Weise unmöglich gemacht: Weil immer mehr Fahrkartenschalter aufgelöst und dafür Automaten ohne Bargeldannahme installiert werden, so die Begründung der Jury, erschwert sie anonymes Reisen.

Außerdem fördere die Bahn den personalisierten Kauf im Internet. Für die Bahncard verlangt sie nicht nur die Angabe des Geburtsdatums, sondern fordert zwingend auch die Abgabe eines Bildes.

RFID-Chip angeblich inaktiv

In der Bahncard 100 implementierte sie außerdem einen RFID-Chip, ohne die Kunden darüber zu informieren. Preisinitiator padeluun (Künstlername) vom Bielefelder Datenschutzverein Foebud: „Ich habe extra noch einmal alle Newsletter der Deutschen Bahn AG seitdem durchgesehen. Bis heute kein Wort. Gar nichts.“

Im Gegenteil: Der betriebliche Datenschutzbeauftragte der Bahn habe einem Kunden, der eine Bahncard 100 ohne Chip wollte, mitgeteilt, dass der Chip nicht aktiviert sei. Der Verein Foebud will jedoch festgestellt haben, dass sich der Chip an jedem Lesegerät meldet, das nach dem gleichen Standard arbeitet.

Zentrale Auswertung der Videoüberwachung

Schließlich, so die weitere Begründung für die Auszeichnung, sei die Bahn dabei, auf ihren Bahnhöfen eine flächendeckende und vernetzte Videoüberwachung einzuführen. Die Bilder der Videokameras werden online zusammengeführt und von der Bundespolizei und dem Bundesgrenzschutz ausgewertet. In der Region Aachen etwa werden so 23 Bahnhöfe zentral überwacht.

Ab November soll außerdem ein neues Abrechnungssystem in den Pilotversuch gehen. Die Testpersonen bekommen spezielle neue Handys, die zu Beginn und Ende einer Fahrt die Daten ihrer Mobilfunk-Funkzellen an die Bahn funken. „Bessere Bewegungsprofile“, so padeluun, „kann es kaum noch geben.“ Gläserner Bürger: Steuer-ID und Vorratsdatenspeicherung

Die Einführung einer lebenslangen Steuer-Identifikationsnummer (Steuer-ID) für alle Bürger brachte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück den Big Brother Award in der Kategorie „Politik“ ein. Der Minister hatte das Projekt mit der Notwendigkeit begründet, “eine eindeutige Identifizierung des Steuerpflichtigen in Besteuerungsverfahren“ zu ermöglichen.

Neue Begehrlichkeiten der Politik

Nach Auffassung der Jury des Big Brother Awards hat die Steuer-ID die Funktion eines verfassungswidrigen Personenkennzeichens. 1969 hatte das Bundesverfassungsgericht im Mikrozensusurteil erklärt: „Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren.“

Werner Hülsmann vom alternativen Informatikerverband Fiff fürchtet, dass nun „nach der Identifikation per Biometrie und Kameras auch noch die finanziellen Transaktionen direkt mit einer Person verknüpft werden“. Denn „über kurz oder lang“ würde die Liste der zulässigen Zwecke, zu denen die Steuer-ID genutzt werden darf, immer länger werden.

Vorratsdatenspeicherung und Volkszählung

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries wurde in der Kategorie „Kommunikation“ für den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung ausgezeichnet. Er sieht die Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verbindungsdaten vor und ignoriert damit die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht hatte bereits 1983 im Volkszählungsurteil festgelegt, dass die Sammlung von nicht anonymisierten Daten zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken mit dem Grundgesetz unvereinbar ist.

Nationale Rechtsprechung und europäische Gesetzgebung seien hier offenbar im Widerstreit, sagt Fredrik Roggan, Jurist der Humanistischen Union. Es gebe daher keinen Grund, eine unkritische Umsetzung der Richtlinie zu betreiben. Zypries hätte deshalb auf einen Beitritt Deutschlands zur irischen Klage hinwirken können, meint der Preispate für den Kommunikations-Award. Sie hätte aber auch das Gesetzgebungsverfahren bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zurückstellen können. Da Zypries weder das eine noch das andere getan habe, sei sie nicht entlastet. Hyatt, Marriott & Co.: Datenprofile der Hotelgäste

Internationale Hotelketten in Deutschland wie Hyatt, Marriott und Intercontinental erfassen viele persönliche Daten ihrer Gäste ohne deren Wissen und speichern diese auf unbestimmte Zeit in einem sogenannten Kundenbeziehungs-Management-System.

Zu den Daten gehören Trink- und Essgewohnheiten, Pay-TV-Nutzung, Allergien, alle privaten und beruflichen Kontaktadressen, Kreditkartendaten, Sonderwünsche und Beschwerden. Die Hotels wollen damit Kunden noch besser an sich binden können.

Buchungssystem wirbt mit Datenprofilen

Für Rena Tangens vom Datenschutzverein Foebud steht fest: „Dieses Vorgehen bewegt sich am Rande und zum Teil auch schon jenseits der Legalität.“ Besonders kritisch sieht Tangens, wenn Hotels an internationale Online-Buchungssysteme wie Amadeus oder Sabre angeschlossen sind.

So wirbt etwa Amadeus mit einem Service, der es Reisebüros ermöglicht, die komplette Buchungshistorie samt Kundendetails und Hobbys mit einem Klick zu übernehmen: „Bereits existierende Kundeninformationen aus Amadeus Customer Profiles (Air/Car/Hotel) stehen jederzeit aktuell zur Verfügung. Außerdem sind die Kundendaten lange Zeit aktiv – egal wie alt die letzte Buchung ist.“

Antiterrorkampf gegen Hotelgäste

Bei den amerikanischen Hotelketten werden die Kundendaten auf Servern in den USA gespeichert. Der „USA Patriot Act“ erlaubt jedoch auch Geheimdiensten unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung den Zugriff auf Daten der Wirtschaft – und zwar ohne richterlichen Beschluss. Doch was passiert, wenn Gäste nicht wollen, dass Informationen über sie gespeichert werden?

Ein Mitarbeiter des Hyatt habe Rena Tangens diesbezüglich gesagt, dass dies nicht vorkäme – da die Gäste über die Datenspeicherung ja nicht Bescheid wüssten. Wenn doch, so die Antwort, „dann wird im Bemerkungsfeld eingetragen, dass der Gast gesagt hat, dass er das nicht will“. Pay as you drive: Lauschangriff der KFZ-Versicherung

Ein innovatives Versicherungskonzept brachte die PTV Planung Transport Verkehr AG in die Kritik der Preisinitiatoren: Das in der Kategorie „Technik“ ausgezeichnete Unternehmen entwickelte ein System zur individuellen Berechnung der Kfz-Versicherung mittels eines sogenannten Pay-as-you-drive-Systems. Dabei handelt es sich um ein Gerät, das Fahrtroute und Fahrverhalten aufzeichnet und an die Versicherung meldet. Diese kann so maßgeschneiderte Versicherungspakete anbieten.

Attraktiv wäre so ein Angebot zum Beispiel für Fahranfänger, die normalerweise hohe Tarifsätze zahlen müssen. Frank Rosengart vom Chaos Computer Club kritisiert jedoch: „Obwohl immer betont werden wird, dass Pay-as-you-drive-Tarife selbstverständlich freiwillig sind, werden die Kunden gewissermaßen doch gezwungen, sich eine Black-Box ins Auto einzubauen: mit Geld.“

Datenschutz ist möglich

Die Initiatoren des Big Brother Awards erwähnten allerdings nicht, dass seit Kurzem auch datenschutzkonforme Pay-as-you-drive-Versicherungsangebote auf dem Markt sind – und die Kunden damit durchaus die Wahl hätten. So bieten etwa die WGV-Versicherungen in Stuttgart als eine der ersten deutschen Versicherungen zwei Dienste an, die von Datenschützern akzeptiert wurden. Hier wird mittels GPS die Fahrstrecke festgestellt. Einmal im Monat erfolgt die Übertragung der gefahrenen Kilometer an die Versicherung, die darauf die Prämie berechnet. Die einzelnen Daten werden dabei so verschlüsselt, dass die Versicherung keinen Zugriff auf sie hat. Weitere Pilotprojekte in den USA, in UK, in Südafrika, in der Schweiz laufen derzeit an. Weitere Datensammler: Novartis, Generalbundesanwältin, Hamburg

Die Jury zeichnete schließlich drei weitere Datenschutzfälle aus. In der Kategorie „Arbeitswelt“ ging die Auszeichnung an die Novartis Pharma GmbH für die intensive Beobachtung ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die damit verbundene Verletzung grundlegender Persönlichkeitsrechte.

Und auch Generalbundesanwältin Monika Harms gehört zu den diesjährigen Trägern des Negativpreises. Der Anlass: die Antiterrormaßnahmen gegen Gegner des G8-Gipfels – insbesondere systematische Briefkontrollen in Hamburg und die Anordnung, bei Gipfelgegnern Körpergeruchsproben aufzunehmen und zu konservieren.

Die Behörde für Bildung und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg schließlich wurde für die Einrichtung eines Schülerzentralregisters gewürdigt. Dieses, so die Begründung der Jury, verfolge nämlich unter anderem auch den Zweck, ausländische Familien ohne Aufenthaltserlaubnis aufzuspüren.

Ehrenmitgliedschaft für den Innenminister

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble wurde übrigens ausdrücklich nicht ausgezeichnet – er lief „außer Konkurrenz“, wie Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, feststellt. Ihm sei es gelungen, dass Bürger zu Tausenden auf die Straße gehen, Internetdemos organisieren und Massenbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht ankündigen.

„Wegen dieser verdienstvollen, wenn auch unfreiwilligen Mobilisierung oppositioneller Kräfte“, so Gössner, sei ihm inzwischen sogar die Ehrenmitgliedschaft in der Deutschen Vereinigung für Datenschutz angetragen worden.

Christiane Schulzki-Haddouti

Focus, München, 12. Oktober 2007
Original: http://www.focus.de/digital/multimedia/tid-7650/big-brother-awards_aid_135686.html

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