Ausspionierte Journalisten, weitergegebene Patientendaten: Mit einem Negativpreis sind die Datenschutzskandale des Jahres ausgezeichnet worden.
Das Datenschutzrecht gilt bisher als recht zahnlos. Konzerne können die Bußgelder meist aus der Portokasse bezahlen, Amtsträger werden kaum zur Verantwortung gezogen. Deshalb bedienen sich Bürgerrechtsorganisationen des Spottes: Sie verleihen jedes Jahr einen Anti-Preis an die Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft, die sich gegen den Datenschutz versündigt haben. Federführend ist der Bielefelder FoeBuD – der „Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs“. Der Preis Big Brother Awards wird am Freitagabend in Bielefeld verliehen.
Die Deutsche Telekom war in diesem Jahr – wieder einmal – ein Favorit für den Anti-Oskar der Datenschützer: In den letzten Monaten verging kaum eine Woche, in der nicht neue Details über die Spitzelaktionen des Konzerns gegen Journalisten und den eigenen Aufsichtsrat bekannt wurde. Anfang Oktober tauchte eine Datei mit 17 Millionen Datensätzen von T-Mobile-Kunden auf.
Und in der Tat erhielt das Unternehmen einen der Preise: „Hier hat ein Konzern, der per Gesetz verpflichtet ist, das Telekommunikationsgeheimnis zu wahren, dieses aus purem Eigeninteresse gebrochen“, heißt es in der Erklärung der Jury. Dies habe Auswirkungen über die Telekom hinaus: Wegen der Vorratsdatenspeicherung werden in Zukunft noch mehr Daten als bisher bei den Telekommunikationsanbietern gespeichert. Da man diesen nicht vertrauen könne, müsse man die gesamte Vorratsdatenspeicherung kippen.
Die Datenschützer wollen aber nicht erst tätig werden, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Stromanbieter Yello erhielt einen „präventiven Big Brother Award“, weil er bei seinen Kunden digitale Stromzähler installiert. Diese übermitteln jede Viertelstunde die genauen Verbrauchsdaten an den Stromanbieter. Mit solchen „intelligenten Stromzählern“ soll der Energieverbrauch optimiert werden, die Wirtschaft spricht von Ersparnissen bis zu 40 Prozent. Der Staat hat gar die flexible Stromabrechnung zur Pflicht für Energieunternehmen gemacht.
Doch den Datenschützern geht das Konzept von Yello viel zu weit. Mit speziellen Chips können Elektrogeräte gezielt angesteuert werden. Auf diese Weise sollen Wäschetrockner und Elektrospeicherheizungen sich in Zukunft selbst einschalten, wenn der Strom besonders billig ist. Gleichzeitig erfährt der Stromversorger aber auch, wann ein Kunde welche Geräte benutzt. Datenschutzaktivistin Rena Tangens begründet den Preis so: „Er ist eine Aufforderung an Yello, ein schlüssiges Datenschutzkonzept für die neue Technik zu entwickeln und offenzulegen.“ Auch die anderen deutschen Energieunternehmen seien gefordert.
Doch nicht nur Unternehmen sind für Datenschutzvergehen verantwortlich – regelmäßig werden auch Politiker als Datensünder ausgezeichnet. In diesem Jahr erhielt der Deutsche Bundestag einen der Big Brother Awards. Grund: Gesetze zur Überwachung von Reisenden. So hat die EU-Kommission eine Fluggastdatei beschlossen, in der alle Details von Kreditkartennummer bis zur Sitzplatznummer jedes Fluggastes für 15 Jahre abgespeichert werden. Weniger bekannt: Ähnliche Gesetze gelten auch für die Passagiere von Fähren und Kreuzfahrtschiffen, die Daten sollen bald auch weiteren Staaten zur Verfügung gestellt werden.
Preiswürdig erschien den Juroren auch der elektronische Einkommensnachweis (Elena), den die Bundesregierung im Juni auf den Weg gebracht hat. Die Datenschützer billigen dem Verfahren zwar gewisse Vorteile zu: So erfahren Arbeitgeber nicht mehr automatisch, wenn ein Angestellter Sozialleistungen beantragt. Doch in der Gesamtbilanz erscheint ihnen das Projekt zu wenig durchdacht, die Gesetze lüden zum Missbrauch ein.
Besonders kritikwürdig sei die Chipkarte, mit denen die Bürger in Zukunft amtliche Anträge elektronisch unterschreiben müssen. Stellvertretend für die Bundesregierung erhielt Bundeswirtschaftsminister Michael Glos den Anti-Preis.
Der EU-Ministerrat erhielt einen der Big Brother Awards für eine Anti-Terror-Liste, die in geheimer Abstimmung beschlossen wurde. Für öffentliches Aufsehen sorgte zuletzt die Entscheidung eine iranische Oppositionsgruppe auf der Liste zu belassen, die schon lange von der Gewalt abgeschworen hatte.
Die Liste bezeichnen die Datenschützern als eine „zivile Hinrichtung“. Rolf Gössner schildert die Auswirkungen so: „Es gibt keine Anklage, keine offizielle Benachrichtigung, kein rechtliches Gehör, keine zeitliche Begrenzung und keine Rechtsmittel gegen diese Maßnahme. Wer einmal auf der Liste steht, hat kaum mehr eine Chance auf ein normales Leben.“ Davon seien auch viele Unschuldige betroffen: Eine Namensverwechslung reicht zur Kontosperrung, kein Gericht kontrolliert, wie die Einträge auf der Liste zustande kommen.
Gesundheitsdaten verlangen besonderen Schutz. Doch im August wurde bekannt, dass die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) Informationen über chronisch Kranke an ein externes Unternehmen weitergegeben hatte. Zwar war das Programm dazu gedacht, die Lebensbedingungen der Patienten zu verbessern – die DAK hatte es aber nicht für nötig befunden die Betroffenen erst um Einverständnis zu fragen. Für die Datenschützer ist dies ein klarer Fall: Die DAK habe gegen das Sozialgeheimnis verstoßen – und damit einen der Big Brother Awards verdient.
Ein weiterer Preisträger aus der Wirtschaft ist der Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute. Die Organisation vertritt die größten und umsatzstärksten Markt- und Sozialforschungsinstitute und hat sich eigentlich auch den Datenschutz auf die Fahnen geschrieben.
Verbraucher I:
Der Big Brother Award 2008 in der Kategorie „Verbraucher“ geht an die Mitglieder des 16. Deutschen Bundestages für das Durchwinken mehrerer Gesetze, die eine Erhebung, langfristige Speicherung und Weitergabe von detaillierten Daten über Reisende erzwingen.
Europa/EU:
Der Big Brother Award 2008 in der Kategorie „Europa/EU“ geht an den Rat der Europäischen Union (EU-Ministerrat) in Brüssel für die demokratisch nicht legitimierte EU-Terrorliste, in der Organisationen und Einzelpersonen als „terroristisch“ eingestuft und gravierenden Sanktionen unterworfen werden.
Arbeitswelt und Kommunikation:
Der Big Brother Award 2008 in den Kategorien „Arbeitswelt“ und „Kommunikation“ geht an die Deutsche Telekom AG für die illegale Nutzung von Telefonverbindungsdaten zur Bespitzelung von Telekom-Aufsichtsräten und Journalisten. Dies ist ein beispielloser Vertrauensbruch gegenüber ihren Mitarbeitern, Kunden und der gesamten Öffentlichkeit.
Technik:
Den Big Brother Award 2008 in der Kategorie „Technik“ erhält die Yello Strom GmbH für ihre Vorreiterrolle bei der Einführung der Digitalstromtechnik für Privatkunden. Diese Technik ermöglicht eine sekundengenaue Verbrauchserfassung jeder Wohnung und sogar einzelner Geräte und könnte damit in Zukunft zu einer detaillierten Aktivitätsüberwachung im häuslichen Bereich genutzt werden.
Verbraucher II:
Der Big Brother Award 2008 in der Kategorie „Verbraucher“ geht an den Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V. (ADM) für die rechtswidrige Richtlinienempfehlung, Telefoninterviews im Bedarfsfalle auch ohne Kenntnis von Interviewern und Interviewten heimlich mitzuhören.
Politik:
Den Big Brother Award 2008 in der Kategorie „Politik“ erhält das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie für die Verabschiedung des Gesetzes über das Elena-Verfahren, ehemals „Jobcard“ genannt. Dieses Verfahren setzt eine zentrale Datensammlung der Einkommensdaten aller Arbeitnehmer voraus und ist verbunden mit der Zwangseinführung der elektronischen Signatur.
Gesundheit und Soziales:
Der Big Brother Award 2008 in der Kategorie „Gesundheit und Soziales“ geht an die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) für die Weitergabe von Patientendaten von 200 000 chronisch kranken Versicherten an eine Privatfirma, ohne die Versicherten über die Weitergabe zu informieren oder ihre Zustimmung einzuholen.
Torsten Kleinz
Focus, München, 24. Oktober 2008
Original: http://www.focus.de/digital/multimedia/tid-12281/big-brother-awards-anti-preis-fuer-die-telekom_aid_343160.html