Überwachung der Bürger und Zensur im Internet, Sicherheitsprüfung für Journalisten: Die Datenschutzskandale des Jahres sind mit einem Negativpreis ausgezeichnet worden.
Gleich zwei Politiker werden in diesem Jahr mit einem Negativpreis für ihre „Verdienste“ ausgezeichnet. Die beiden CDU-Politiker Ursula von der Leyen und Wolfgang Schäuble bekommen jeweils einen von fünf Big Brother Awards, weil sie sich nach Meinung von Bürgerrechtlern gegen den Datenschutz versündigt haben. Im Mittelpunkt stehen dabei Themen, die vor allem die Internetgemeinde in den letzten Monaten stark beschäftigt haben: Online-Durchsuchung, Vorratsdatenspeicherung und die Netzsperren zur Bekämpfung von Kinderpornografie.
Vergeben wird der Anti-Preis jedes Jahr vom Bielefelder FoeBuD – dem „Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs“. Die Big Brother Awards werden in diesem Jahr zum zehnten Mal verliehen. In den vergangenen Jahren wurden unter anderem Rabattkarten, Mautkameras, Anti-Terror-Gesetze und Handy-Überwachung angeprangert. Die Big Brother Awards werden am Freitagabend in Bielefeld verliehen.
In den Begründungen für die beiden Auszeichnungen werden die Preisträger aus der Politik bei aller ernsten Kritik auch spöttisch aufs Korn genommen.
So ehrt der Verein Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gleich für sein Lebenswerk – unter anderem, weil er das BKA in seiner Amtszeit „in ein zentrales deutsches FBI mit geheimpolizeilichen Befugnissen zur präventiven Vorfeldausforschung“ umgebaut habe. Geehrt wird er auch „für die Legalisierung der heimlichen Online-Durchsuchung von Computern, für die Errichtung einer gemeinsamen Anti-Terror-Datei sowie einer neuen Abhörzentrale für alle Sicherheitsbehörden“, wie es in der Begründung der Jury heißt.
Besonders „preiswürdig“ seien Schäubles obsessive Bestrebungen, den demokratischen Rechtsstaat in einen präventiv-autoritären Sicherheitsstaat umzubauen.
Schäuble habe den Preis „für seinen obsessiven Anti-Terror-Kampf Jahr für Jahr verdient gehabt“, meint der FoeBuD. In Schäubles Sicherheitskonzeption mutiere der Mensch zum Sicherheitsrisiko und die „Sicherheit“ zum Supergrundrecht, das die eigentlichen Grundrechte als Abwehrrechte gegen Eingriffe des Staates in den Schatten stellt“, sagte Laudator Dr. Rolf Gössner.
Schäubles Parteikollegin Ursula von der Leyen kommt nicht viel besser weg. Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erhält den Anti-Preis in der Kategorie Politik. Sie habe „innerhalb der letzten zwölf Monate ein System zur Inhaltskontrolle im Internet vorangetrieben, das zu einer Technik von orwellschen Ausmaßen heranwachsen kann“, begründet die Jury.
Gemeint ist von der Leyens umstrittener Vorstoß zur Sperrung bestimmter Internetinhalte, um Kinderpornografie zu bekämpfen. „Dazu und für ihren persönlichen Wahlkampf benutzte sie sexuell missbrauchte Kinder, ohne tatsächlich irgendetwas gegen Missbrauch zu unternehmen“, heißt es bei der Jury.
In der Kategorie Arbeitswelt prangert der FoeBuD alle Firmen an, „die dem Wahn erliegen, man erhielte produktive und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wenn man sie nur möglichst flächendeckend und umfassend überwachte und ihre Leistung in Zahlen vermeintlich messbar machte“. Stellvertretend für zwölf genannte Unternehmen erhält die Firma „Claas Landmaschinen“ den Award. Grund: Sie hat ihre Mähdrescher mit einem satellitengestützten Überwachungssystem ausgestattet.
Aber auch große Konzerne sind in den vergangenen Monaten unter Beschuss geraten, weil sie ihre Mitarbeiter auf die eine oder andere Weise überwachten. „Die Deutsche Bahn versucht, die Rasterfahndung in ihrer Belegschaft als Korruptionsbekämpfungsmaßnahme zu verkaufen“, heißt es in der Laudatio. Die Deutsche Post und Lidl würden die Krankenakten der Angestellten „lieber gleich selbst führen“. Die Deutsche Telekom hat den Award eigentlich schon letztes Jahr erhalten – viel zu früh, wie der Verein meint: „Da waren die Massen-Screenings von Bankdaten der Beschäftigten und deren Angehörigen noch gar nicht bekannt geworden.“
Mit dem Thema Überwachung hat auch der Preis in der Kategorie Wirtschaft zu tun. Die Bundesregierung habe mit der Vorratsdatenspeicherung der Telefonverbindungsdaten oder Online-Durchsuchung von Heimcomputern die Überwachungspflichten von Telekommunikationsanbietern „enorm ausgeweitet“. Daraus habe sich ein „lukrativer Markt für technische Lösungen“ entwickelt. Den Big Brother Award bekommen dementsprechend „die besonders eifrigen Lösungsanbieter in diesem Schnüffelbereich“. In der Laudatio heißt es: „Technologien, die die Überwachung ganzer Gesellschaften ermöglichen, führen zu einem Klima des Misstrauens und der Angst.“
Preiswürdig erschien der Jury auch der Umgang des Organisationskomitees der Leichtathletik-WM mit Journalisten. Um eine Akkreditierung zu bekommen, sollten sie demnach schriftlich zustimmen, dass der Polizeipräsident von Berlin Auskünfte über sie aus Datenbanken der Landeskriminalämter erteilen und die Personalien auch dem Verfassungsschutz und dem Bundesnachrichtendienst weiterleiten dürfe. „Damit wurde schlicht so getan, als habe man es bei Sportjournalisten sämtlich mit potenziell Kriminellen, zumindest aber mit Verfassungsfeinden zu tun, die innere oder äußere Belange der Bundesrepublik gefährden könnten“, kritisiert die Jury in der Laudatio.
Politik: Der Big Brother Award 2009 in der Kategorie „Politik“ geht an Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sie hat innerhalb des letzten Jahres ein System zur Inhaltskontrolle im Internet vorangetrieben, das zu einer Technik von orwellschen Ausmaßen heranwachsen kann. Dazu und für ihren persönlichen Wahlkampf benutzte sie sexuell missbrauchte Kinder, ohne tatsächlich irgendetwas gegen Missbrauch zu unternehmen.
Arbeitswelt: Der Big Brother Award 2009 in der Kategorie „Arbeitswelt“ geht an die versammelte Gesellschaft derer, die dem Wahn erlegen sind, man erhielte produktive und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch umfassende Überwachung und Abbildung von Leistung in Zahlen. Stellvertretend für diese Gesellschaft und als Punktsieger in der Kategorie „Kuriosität“ wird die Claas GmbH für ihren Mähdrescher mit Wanze ausgezeichnet. Genannt werden folgende Firmen: Deutsche Bahn, Deutsche Post, Lidl, Deutsche Telekom, Drogeriekette Müller, Kreisverwaltung Schleswig-Flensburg, Uni Kassel, HDI Gerling, Bäckerei Sehne, Kik Textilien, Helmut Naujoks, Claas Landmaschinen.
Lebenswerk: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble erhält den Big Brother Award in der Kategorie „Lifetime“ für den Umbau des BKA in ein zentrales deutsches FBI mit geheimpolizeilichen Befugnissen zur präventiven Vorfeldausforschung, für die Legalisierung der heimlichen Online-Durchsuchung von Computern, für die Errichtung einer gemeinsamen Anti-Terror-Datei sowie einer neuen Abhörzentrale für alle Sicherheitsbehörden. Besonders „preiswürdig“ sind Schäubles obsessive Bestrebungen, den demokratischen Rechtsstaat in einen präventiv-autoritären Sicherheitsstaat umzubauen. Dies führte zu einer gefährlichen Entgrenzung von Polizei, Geheimdiensten und Militär und damit zu einer Gefährdung von Bürgerrechten, Datenschutz und Demokratie.
Behörden: Preisträger in dieser Kategorie ist das Berliner Organisationskomitee der Leichtathletik-WM. Es wird ausgezeichnet für sein Verlangen gegenüber Journalisten, dass diese Zustimmung geben zu einer umfassenden Überprüfung ihrer persönlichen Daten durch die Sicherheitsbehörden. Damit hat es unter einem nur schlecht getarnten Deckmäntelchen namens Sicherheit ein erhebliches Vergehen an einem Grundwert eines freiheitlichen Staatswesens, nämlich der Pressefreiheit, begangen.
Claudia Frickel
Focus Online, München, 16. Oktober 2009
Original: http://www.focus.de/digital/multimedia/tid-15849/big-brother-awards-anti-preis-fuer-schaeuble-und-von-der-leyen_aid_444731.html