Versteckte Kameras, verkaufte Adressen - Angriffe auf die Privatsphäre sind das tägliche Geschäft der Datenschützer. Die größten "Datenkraken" erhalten jedes Jahr den "Big-Brother-Award". Diesmal dabei sind Canon, Tchibo und zwei Bundesministerien.
Bielefeld · 1. November · Eine Kopie ist eine Kopie. So denkt man zumindest, wenn man im Copy-Shop um die Ecke einen Brief vervielfältigt. Dass dies heute nicht mehr unbedingt stimmt, war der Jury eine "Auszeichnung" wert. Denn bei Farbkopierern der Marke Canon entdeckten die Datenschützer eine bedenkliche Technik: Unsichtbar für das normale Auge wird auf jede Kopie eine Seriennummer gedruckt, mit der das Papier zu dem Gerät zurückverfolgt werden kann. Kunden und Käufer der Kopierer werden jedoch im Unklaren gelassen: In der Bedienunganleitung finden sich keine Hinweise auf die Kennzeichnung. Dafür berichten Inhaber von Copy-Shops von gezielten Anfragen der Polizei. Mit dem "Preis" für Canon wollen die Datenschützer auch gegen einen Trend protestieren: das "Regiment der Technik". Sie befürchten, dass bald Drucker und Kopierer "entscheiden", was der Kunde drucken und kopieren darf.
Videoüberwachung ist seit Jahren ein Lieblingsthema der Datenschützer. Medienkünstler padeluun berichtete bei der Verleihung von vielen "mega-abstrusen" Überwachungsaktionen. So kündigte der Bürgermeister von Montabaur an, Videobänder nachträglich daraufhin überprüfen zu lassen, "ob eventuell aus Mimik oder Gestik des Fahrers oder der Fahrerin eine Beleidigung der mit der Verkehrsüberwachung betrauten, versteckt operierenden Politesse ableitbar wäre". So könnten auch Autofahrer zur Kasse gebeten werden, die das Tempolimit eingehalten haben.
Preisträger aber wurde der Rektor der Uni Paderborn, der Diebstähle in Hörsälen und Rechnerräumen per Videokamera verhindern will. Dass er dazu "Dome-Kameras" installieren ließ, die die Blickrichtung der Kameras verbergen, gleichzeitig aber eine Rede über die "kritische Begleitung der Informationsgesellschaft" hielt, war der Jury einen "Preis" wert. Zur Demonstration montierten die Organisatoren eine solche Kamera im Saal der Preisverleihung. Sie schwenkte durch das Publikum, pickte einzelne Gesichter und Handy-Sünder heraus und zeigte sie auf einer Leinwand. Die Uni ließ nachträglich verlauten, die Regelung sei mit dem Datenschutzbeauftragten abgesprochen, die Aufnahmen seien nur von einem kleinen Personenkreis einsehbar.
Adressen im Tausenderpack
Überhaupt nicht anfreunden konnte sich die Jury auch mit einem Angebot von Armex. Eltern können mit dem Dienst "Track your Kid" per SMS abfragen, wo sich ihr Nachwuchs aufhält. Die Firma nutzt dazu die Ortsbestimmung über das Mobilfunk-Netz. Die Jury stellte den Sinn in Frage: Kinder können ihr Handy ausschalten, wenn sie nicht geortet werden wollen. Gleichzeitig sehen die Bürgerrechtler großes Missbrauchspotenzial. So könnten Lebenspartner leicht die Schutzvorkehrungen unterlaufen. Auch für Arbeitgeber sei es leicht, Angestellte per Dienst-Handy zu überwachen.
Datenschutzverstöße haben aber nicht unbedingt etwas mit moderner Technik zu tun, wie der Fall Lidl zeigt. Laudatorin Rena Tangens zitierte Berichte aus tschechischen Medien, denenzufolge Mitarbeiterinnen des Discounters während ihrer Periode Stirnbänder tragen sollten, wenn sie in der Arbeitszeit die Toilette aufsuchen wollten. Lidl dementiert die Berichte. Und Tchibo Direct wurde für den Verkauf von Kundendaten "ausgezeichnet". Tchibo sichert eine vertrauliche Behandlung persönlicher Daten zu, doch können Werbetreibende Anschriften von Kunden im Tausenderpack erwerben. Nur einen millimetergroßen Hinweis auf eine eventuelle Datenweitergabe entdeckten die Juroren in einem Prospekt.
Auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries erhielt den Award - für ihr Festhalten am Großen Lauschangriff; ebenso Gesundheitsministerin Ulla Schmidt für Gesetze, die den Datenschutz der Patienten verschlechtern, und die Bundesagentur für Arbeit für den "inquisitorischen" Fragebogen für Empfänger des Arbeitslosengeldes II.
Auch in diesem Jahr ließ sich keiner der Preisträger auf der Bühne blicken. Nur einige Briefe erreichten die Organisatoren. Tchibo sieht keine datenschutzrechtlichen Probleme beim Verkauf der Kundendaten. Armex legt Wert darauf, nicht mit diffusen Ängsten der Eltern zu werben. Lidl droht mit rechtlichen Schritten und Zypries lässt sich aus Termingründen entschuldigen.Dass es auch in Zukunft noch weitere Konflikte gibt, lässt der Brief der Ministerin vermuten: Sie sieht in Zukunft noch "Gelegenheit zu vielen interessanten Diskussionen".
www.big-brother-award.de
Zusatztext: Sponsoren Gesucht Der Big-Brother-Award wurde 1998 erstmals in England verliehen. Der Name lehnt sich an George Orwells Klassiker "1984" an. Mittlerweile werden in 14 europäischen Ländern die größten Über- wachungssünder "ausgezeichnet".
Der Verein Foebud hat es seit 2000 übernommen, den deutschen "Datenkraken" nachzuspüren. Mehrere Bürgerrechtsgruppen - vom Chaos Computer Club bis zur Internationalen Liga für Menschenrechte - unterstützen die Bielefelder dabei.
Der Aufwand für Organisation und Recherche steigt jedoch mit der Bekanntheit des Preises. Damit die Arbeit weiter- gehen kann, sind die Datenschützer auf der Suche nach Sponsoren. "Spenden sind überlebensnotwendig, damit wir unabhängig arbeiten können", sagt Initiatorin Rena Tangens vom Foebud.
Einen ersten Erfolg hatten die Organisatoren, als die Bewegungsstiftung in Verden die Entwicklung eines Gerätes zum Aufspüren von RFID-Funk-Chips finanzierte. Staatliche Stellen möchten die Arbeit bisher nicht unterstützen, auch in der Industrie gibt es dafür kaum Bereitschaft. Trotzdem sind die Initiatoren zuversichtlich: Sie haben schon die nächste Preisverleihung für Oktober 2005 angekündigt. tok
Torsten Kleinz
Frankfurter Rundschau
, 01. November 2004
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