Preisträger(in): Deutsche und internationale Hotellerie
"Zweites Kissen genehm? Essen auf dem Zimmer gewünscht? Champagner geordert? Zweites Frühstück bestellt?" Sie glauben, das Hotelpersonal liest Ihnen die Wünsche von den Augen ab? Falsch: Das Personal kennt all Ihre Details, Eigenheiten und Sonderwünsche zumeist nicht aus Intuition, sondern weil Sie im Computersystem des Hotels gespeichert sind. Richtig staunen würden Sie, wenn Sie sähen,was da alles registriert wird.
Gespeichert werden unter anderem private und berufliche Kontaktadressen, Telefonnummern, Kreditkartendaten, Geburtsdatum, Nationalität, Passnummer, komplette Rechnungen, Pay-TV-Benutzung und Telefonate. Das Hotelpersonal wird dazu angehalten, weitere Details über ihre Gäste im System zu notieren wie Familienkonstellation, Trink- und Essgewohnheiten, Allergien, Hobbys, Sonderwünsche, Beschwerden, Vorlieben und so weiter. Einmal erfasst, bleiben all diese Informationen auch nach der Abreise des Gastes gespeichert - und zwar auf unbestimmte Zeit. (…)
Die Informationen werden doch zum Besten der Gäste gesammelt, um ihnen den bestmöglichen Service bieten zu können!
Nicht so ganz. Jeden Gast wertzuschätzen und ihm oder ihr den bestmöglichen Service zu bieten, das ist die große alte Tradition der Gastlichkeit. Doch diese Tradition ist - zumindest bei den großen Hotelketten - passé. Hier gibt es statt des Gastlichkeitsversprechens nun "customer relationship management" , kurz CRM - das effi-ziente Kundenbeziehungsmanagement.
Wichtigster Punkt dabei: "Ranking and Discrimination". Es geht eben nicht darum, den besten Service für alle Gäste zu bieten. Denn einige Gäste sind mehr wert für das Business als andere, und in die muss investiert werden. Und um die lukrativen Gäste von den anderen unterscheiden und ihnen bessere Angebote machen zu können, müssen möglichst viele Daten ge-sammelt werden.
Nahezu jede Hotelkette hat mittlerweile ein eigenes "Kundenbindungsprogramm", in dem all diese Daten zentralisiert gespeichert werden - eine echte Goldgrube für Data-Miner.
Und wo all diese Informationen schon einmal vorhanden sind, könnten sich schnell weitere Interessenten dafür finden. Wer auf dem Zimmer Pay-TV schaut, findet später natürlich nicht "Der Angriff der Killertomaten", "Blasmusik im Lederdirndl" oder ähnlich Peinliches auf seiner Rechnung, sondern die Pay-TV-Nutzung wird diskret als "Hoteldienstleistungen" oder etwas ähnlich Unverfängliches deklariert. Das Hotelsystem aber registriert den Kanal durchaus und weiß genau, ob die romantische Komödie, der Thriller oder ein Porno konsumiert wurde. Viele Hotels sind direkt an externe Online-Buchungssysteme wie Amadeus oder Sabre angeschlossen. Auch dort werden Daten der Kunden gespeichert. Das Buchungssystem Amadeus wirbt mit einem extra zu zahlenden Service für Reisebüros, der es ermöglicht, die komplette Buchungshistorie samt Kundendetails und Hobbys mit einem Klick zu übernehmen. "Bereits existierende Kundeninformationen aus Amadeus Customer Profiles (Air/Car/Hotel) stehen jederzeit aktuell zur Verfügung. (…) Außerdem sind die Kundendaten lange Zeit aktiv - egal wie alt die letzte Buchung ist."
In Deutschland gibt es Meldezettel, die von jedem Gast ausgefüllt werden, aber beim Hotel verbleiben und nur im Bedarfsfall von den Behörden überprüft werden. In einigen europäischen Ländern, beispielsweise Frankreich, werden Daten aber schon aus den Hotels direkt an die Polizei übertragen. In der Hotelverwaltungssoftware Opera des Marktführers Micros Fidelio gibt es dafür ein automatisiertes "Police Interface".
Die Daten der Gäste werden keineswegs nur bei dem besuchten Hotel in Deutschland, sondern konzernweit auf zentralen Servern gespeichert. Und die wiederum befinden sich bei den größten Hotelketten - in den USA.
Laudatorin: Rena Tangens
Der Nicht-Preisträger des Jahres 2007: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU)
Manche werden von der Entscheidung enttäuscht sein, hätte er den Preis doch wie (k)ein anderer verdient - als zwanghafter Schrafmacher in Sachen "Sicherheit & Terror", überqualifiziert wie seinerzeit nur sein Vorgänger im Amt, Otto Schily (SPD).
Und in der Tat: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble versteht es wie kaum ein anderer, mit seiner Panikmache und Drohpolitik die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen - womit er einen klassischen Wesenszug des Terrors erfüllt; mit dem Ziel, Bevölkerung und Parlamentarier so lange weich zu klopfen, bis sie seine umstrittenen Pläne geradezu herbeisehnen und absegnen. (…)
Und dennoch: Zum einen wäre es falsch, sich zu sehr auf Schäuble zu konzentrieren, ihn zu dämonisieren und die Terrordebatte auf diese Weise zu verengen. Denn Schäuble ist nur eine Metapher für die verhängnisvolle Tendenz einer "Terrorismusbekämpfung" auf Kosten der Bürgerrechte und für eine Systemveränderung zulasten des demokratischen und sozialen Rechtsstaats. (…)
Auf der anderen Seite müssen wir jedoch dankbar konstatieren, dass der Innenminister sich durchaus beachtliche Verdienste um das Datenschutzbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger erworben hat, die inzwischen zu Tausenden auf die Straße gehen, Internet-Demos organisieren und Massenbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht ankündigen, um sich gegen seine Horrorpläne zur Wehr zu setzen. Wegen dieser verdienstvollen, wenn auch unfreiwilligen Mobilisierung oppositioneller Kräfte ist ihm gar die Ehrenmitgliedschaft in der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD) angetragen worden.
Laudator: Rolf Gössner
Frankfurter Rundschau Online, Frankfurt, 12. Oktober 2007
Original: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/dokumentation/?em_cnt=1225108&sid=40e7ac9d7f968498f60e9775cb86f217