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Big Brother bei Lidl

Dem Lebensmitteldiscounter Lidl steht Ärger mit dem Datenschutz ins Haus: Es werde geprüft, ob die Beschäftigten in zahlreichen Filialen systematisch überwacht wurden, sagte Alice Loyson-Siemering, Sprecherin des baden-württembergischen Innenministeriums, der FR. Die Aufsichtsbehörde für den nicht-öffentlichen Bereich werde den Fall unter die Lupe nehmen. "Der Sachverhalt muss aufgeklärt werden", betonte Loyson-Siemering.

Besagten Sachverhalt hatte zuvor das Nachrichtenmagazin Stern publik gemacht. Nach dessen Informationen hatte Lidl im vergangenen Jahr seine Beschäftigten mit versteckten Kameras ausspionieren lassen. Auf mehreren hundert Seiten hatten von Lidl beauftrage Ermittler intime Details aus dem Privatleben der Angestellten protokolliert. So sei etwa notiert worden, wann und wie häufig Arbeitnehmer auf die Toilette gehen, wer mit wem ein Liebesverhältnis hat, wer nach Ansicht der Überwacher unfähig ist oder einfach nur "introvertiert und naiv wirkt". Die Einsatzberichte stammten aus Lidl-Filialen in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Berlin und Schleswig-Holstein.

Lidl räumte die Existenz der Protokolle ein. Laut Discounter dienten die Berichte aber "nicht der Mitarbeiterüberwachung, sondern der Feststellung eventuellen Fehlverhaltens", so der Stern. Von der Überwachung der Privatsphäre der Beschäftigten habe sich Lidl distanziert und erklärt, die "Hinweise und Beobachtungen entsprechen weder im Umgangston noch in der Diktion unserem Verständnis vom Umgang miteinander".

Gegen diese Darstellung spricht jedoch eine Notiz aus einem der Protokolle. Darin heißt es: "Gemäß Auftrag sollte während des Einsatzes speziell auf folgende Besonderheiten geachtet werden: Informationen zur Mitarbeiterin ..., da diese Privatinsolvenz angemeldet hat". Daraufhin notierten die Ermittler am Freitag, 29. Juli um 15 Uhr folgendes: Auch heute holt sich Frau ... in ihrer Pause ein belegtes Brötchen vom benachbarten Bäcker. Von einer Privatinsolvenz und die damit verbundene 'Enthaltsamkeit' keine Spur". Die Schlussfolgerung der Ermittler: Die Privatinsolvenz sei nur vorgeschoben.

"Das widerspricht jedem rechtstaatlichen Verhalten. Das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht wird von Lidl gewollt mit Füßen getreten", sagte Achim Neumann, Handelsexperte der Gewerkschaft Verdi, der FR. Er forderte den Konzern auf, "endlich eine Interessenvertretung der Belegschaft zuzulassen". Nur mit Hilfe von Betriebsräten könnten solche "Schweinereien" künftig unterbunden werden.

Nun will Verdi den Druck auf Lidl erhöhen, einen Betriebsrat einzusetzen - und ruft bespitzelte Lidl-Mitarbeiter zu Schadenersatzklagen gegen den Discounter auf. "Ich kann den betroffenen Lidl-Mitarbeitern raten, sich untereinander zu verabreden und gemeinsam zu Verdi zu kommen. Möglicherweise könnte man dann Musterklagen gegen Lidl anstrengen", sagte die stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft, Margret Mönig-Raane, dem Online-Magazin "Stern.de".

Das Lidl-Geschäftsleitungsmitglied Jürgen Kisseberth bestritt gegenüber N24, dass es sich um ein System der Überwachung handelte. "Heute stellt es sich so dar, dass wir sehen, dass offensichtlich übereifrige Detektive über ihren Auftrag hinaus uns mit Informationen versorgt haben, die wir so nicht wollten", sagte er. "Wenn dann solche Protokolle geschrieben wurden, dann lag dazu keine Erwartung und kein Auftrag von uns vor, sondern dann war das eine Initiative von Seiten des Detektivs und hat bei uns keine weitere Berücksichtigung in der weiteren Vorgehensweise gefunden", machte er deutlich.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, forderte indes einen verbesserten Arbeitnehmerdatenschutz. "Die Überwachung von Mitarbeitern ist alles andere als ein Einzelfall", sagte der Datenschützer. In vielen anderen Bereichen würden Arbeitnehmer heute bereits über Zugangskontrollsysteme oder Ortungssysteme überwacht. Schaar mahnte daher die Bundesregierung an, endlich Abhilfe zu schaffen.

So groß die Aufregung über die Verletzung der Mitarbeiterechte bei Lidl sind, so wenig neu sind sie. Bereits 2004 erhielt der Discounter den deutschen "Big Brother Award", eine Negativauszeichnung, die eine international vernetzte Organisation von Datenschützern jährlich verleiht. Damals erschien der Jury "besonders auszeichnungswürdig" die heimliche Videoüberwachung in einigen deutschen Filialen und dass menstruierende Mitarbeiterinnen in Filialen in Tschechien zum Tragen eines Stirnbands verpflicht wurden, wenn sie die Toilette außerhalb der Pausen aufsuchen wollten.

Antje Schueddemage

Frankfurter Rundschau Online, Frankfurt, 26. März 2008
Original: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wirtschaft/aktuell/?sid=874ae34f8a9591192d66585ec014bbc8&em_cnt=1309186

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