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BigBrotherAward 2005: Otto Schily für sein Lebenswerk geehrt

Politiker Otto Schily, Christian Wulff und Volker Bouffier gewürdigt

Am heutigen 28. Oktober 2005 wurden bereits zum siebten Mal die BigBrotherAwards verliehen, um auf Missstände in den Bereichen Überwachung, Datenschutz sowie Bürgerrechte hinzuweisen. In diesem Jahr konnten "Kaiser" Franz Beckenbauer, der niedersächsische Ministerpräsident, der Innenminister von Hessen sowie der Apple-Händler Gravis einen Preis ergattern. Außerdem wurde der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily für sein Lebenswerk geehrt.

Franz Beckenbauer erhält als DFB-Mitglied im Organisationskomitee der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2006 den BigBrotherAward 2005 in der Kategorie "Verbraucherschutz" für die nach Ansicht der Jury inquisitorischen Fragebögen zur Bestellung von WM-Tickets, die geplante Weitergabe der Adressen an die FIFA sowie deren Sponsoren und für die Nutzung von RFID-Chips in den WM-Tickets. Letzteres wird als Versuch gewertet, die "Kontrolltechnik" RFID salonfähig zu machen.

Der BigBrotherAward 2005 in der Kategorie Politik geht in diesem Jahr an den hessischen Innenminister Volker Bouffier (CDU), da er das neue Hessische Polizeigesetz zu verantworten hat. Damit wurde nach Ansicht des Laudators Fredrik Roggan das Fernmeldegeheimnis weiter beschnitten, die informationelle Selbstbestimmung zunehmend ausgehöhlt und der öffentliche Raum fortschreitend zu einer komplett zu überwachenden Zone degradiert.

Auf einen BigBrotherAward 2005 kann sich auch der Ministerpräsident von Niedersachsen, Christan Wulff (CDU), freuen. Der Preis würdigt seine Leistung in der Zerschlagung der Datenschutzaufsicht in Niedersachsen. Ab dem 1. Januar 2006 soll die Aufsicht über den Datenschutz in der Wirtschaft dem niedersächsischen Innenministerium unterstellt werden. Damit werde der aktuelle Beschluss der EU konterkariert, der ausdrücklich die völlige Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht fordert.

Besondere Ehrung erhält der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), der mit dem BigBrotherAward 2005 für sein Lebenswerk in der gleich lautenden Kategorie ausgezeichnet wurde. So liegt in Schilys Verantwortung der Ausbau des deutschen und europäischen Überwachungssystems auf Kosten der Bürger- und Freiheitsrecht sowie die Aushöhlung des Datenschutzes unter dem Deckmantel von Sicherheit und Terrorbekämpfung. Aus aktuellem Anlass wird Schilys Einsatz für den biometrischen Reisepass gewürdigt, dessen Technik nach Ansicht der Jury unausgereift und unsicher ist. Es wird erwartet, dass der biometrische Ausweis langfristig zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung der gesamten Bevölkerung führt.

Den BigBrotherAward 2005 in der Kategorie "Regional" müssen sich drei Preisträger teilen, dazu gehört die Grundschule Ennigloh in Bünde, die Volksbank Herford und die Sparkasse Herford. Die Grundschule Ennigloh in Bünde habe Namen von Schulanfängern an die Geldinstitute Volksbank Bad Oeynhausen-Herford eG und die Sparkasse Herford ohne Einwilligung der Eltern weitergereicht. Diese Adressdaten wurden dann nach Angaben der BigBrother-Jury zu Werbezwecken verwendet.

In einem Antwortschreiben der Sparkasse Herford wird die Verwendung der Adressdaten zu Werbezwecken bestritten. Die Sparkasse erklärt, dass die Adressen der Schulanfänger gesammelt worden seien, um diesen zur Einschulung einen Geschenkgutschein in Höhe von 5,- Euro zukommen zu lassen. Außerdem habe die Sparkasse-Herford eine Informationsbroschüre über das Thema Einschulung verteilt. Daher betrachtet das Geldinstitut die Datensammlung als "positive Datenverwendung", mit der niemanden Schaden zugefügt worden sei. Über den Gegenwert der gesammelten Daten schweigt sich die Sparkassen aber aus.

In der Kategorie Technik wurde in diesem Jahr kein einzelner Preisträger für den BigBrotherAward 2005 auserkoren. Stattdessen wurden mehrere "Überwachungsfetischisten" für die schleichende Degradierung von Menschen zu überwachten Objekten und für die Verharmlosung der Folgen von flächendeckender Überwachung bedacht. Dazu zählt etwa die heimliche Überwachung von Umkleidekabinen per Videokamera in dem Fitness-Center "Wellness-Oase Mediterana" in Bergisch Gladbach.

Der Apple-Händler Gravis wurde dafür kritisiert, dass er Fotos von Besuchern der Ladengeschäfte ins Internet stellte und diese privat zur Fahndung ausrief, weil er annahm, dass die Gesuchten zu einer Hehlerbande gehören würden, die mehrfach bei ihm eingebrochen hätten. Wer bei der Identifizierung der Gesuchten half, wurde mit einem iPod belohnt. Insgesamt konstatierte die Laudatorin Karin Schuler, dass die Videoüberwachung inzwischen so zu unserem Alltag gehöre, dass es keine moralischen Hemmschwellen mehr zu geben scheint.

Erhard Rex, der Generalstaatsanwalt Schleswig-Holstein, bekommt als Leiter der Staatsanwaltschaften Kiel und Lübeck den BigBrotherAward 2005 für die großflächige Suche nach Zeugen mittels Handy-Ortung ohne fundierte Begründung, womit die Zeugen wie Verdächtige behandelt wurden. Außerdem hat die Jury berücksichtigt, dass den Datenschützern des Landes Schleswig-Holstein ein Einsicht in die dazugehörigen Unterlagen verweigert wurde.

Als im Juni 2005 ein Restpostenmarkt in Bad Segeberg durch Brandstiftung in Flammen aufging, beantragte die Staatsanwaltschaft, dass die Polizei eine so genannte Funkzellenabfrage durchführen darf, erklärte der Laudator Alvar Freude. Die Mobilfunkanbieter T-Mobile, Vodafone, E-Plus und O2 wurden daher aufgefordert, jeden ihrer Kunden zu ermitteln, der in der Nacht der Brandstiftung zur Tatzeit in der Nähe des Tatortes telefoniert hatte. 700 Handy-Besitzer wurden daraufhin von der Polizei aufgefordert, anzugeben, wo sie in der fraglichen Nacht waren, wer bei ihnen war und ob ihnen etwas aufgefallen sei. In einem Schreiben an die Ausrichter des BigBrotherAwards gibt der Generalstaatsanwalt aus Schleswig-Holstein an, dass die Schilderungen nicht stimmen würden, ohne dies weiter zu erläutern.

Eine solche Handyortung wurde auch nach einem Mord in dem in der Nähe von Hamburg befindlichen Oedendorf vorgenommen. Aber auf Grund des öffentlichen Drucks wurde die Aktion abgebrochen, bei der per Handyortung 3.000 Personen ermittelt wurden, da der Tatort in der Nähe einer viel befahrenen Landstraße und einer Autobahn liegt. In beiden Fällen wurden nach Ansicht der Jury die Grundrechte der Betroffenen durch das berechtigte Interesse des Staates zur Strafverfolgung in nicht hinnehmbarer Weise verletzt.

Schließlich wird die in der Landwirtschaft tätige "Saatgut-Treuhand Verwaltungs GmbH" in der Kategorie Wirtschaft mit dem BigBrotherAward 2005 geehrt. Das Unternehmen kontrollierte Tausende Landwirte, ob diese möglicherweise Feldfrüchte aus eigenem Anbau aufbewahren und die Aussaat im nächsten Jahr verwenden - also ihre eigene Ernte aussäen. Seit den 90er Jahren existiert nach Angaben der Jury eine internationale Vereinbarung, die besagt, dass für von einer Saatgurfirma angemeldetes Saatgut eine Lizenzgebühr an die Firma zu entrichten ist - jedes Jahr.

Für das Eintreiben solcher Lizenzgebühren wurde die oben genannte "Saatgut-Treuhand Verwaltungs GmbH" gegründet, die eine zentrale Datensammlung von Landwirten vorgenommen habe und bereits mehr als 2.500 Bauern verklagt habe, wenn diese nicht zu einer Auskunft bereit waren und diese von der Saatgut Treuhand verdächtigt wurden, Kartoffeln oder andere Feldfrüchte aus ihrer eigenen Ernte zur Aussaat im nächsten Jahr zu verwenden. Zudem habe sich die "Saatgut-Treuhand Verwaltungs GmbH" Kundendaten von Genossenschaften verschafft und verdeckte Testeinkäufe bei Bauern vorgenommen. Die "Saatgut-Treuhand Verwaltungs GmbH" betont in einer Antwort an die Preisverleiher, dass man die gesetzlichen Anforderungen des Datenschutzes erfülle.

golem.de, Berlin, 28. Oktober 2005
Original: http://www.golem.de/0510/41303.html

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