Lebenslange Schüler-IDs, verdachtsunabhängige Tonaufzeichnungen, Anti-Terror-Datei, Seriennummern auf gebrannten CDs, Warn- und Hinweisdateien der Versicherungswirtschaft und die Übermittlung von Überweisungsdaten an US-Behörden durch SWIFT wurden in diesem Jahr mit dem Negativpreis Big Brother Award ausgezeichnet. Der Preis wird jährlich an Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen.
In der Rubrik "Behörden und Verwaltung" geht der Big Brother Award an das Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland für das Vorhaben, lebenslange Schüler-IDs einzuführen, ohne die individuellen Bildungsdaten an feste Zwecke zu binden und vor Missbrauch und unberechtigtem Zugriff zu schützen.
Einen regelrechten Rundumschlag gibt es in der Kategorie "Politik". Die Mitglieder des 4. Landtags von Mecklenburg-Vorpommern wurden für die gesetzliche Erlaubnis zur verdachtsunabhängigen Tonaufzeichnung in öffentlichen Gebäuden und auf öffentlichen Plätzen in ihrer Umgebung sowie in öffentlichen Verkehrsmitteln ausgezeichnet. Sie machten den Weg dafür frei, dass Ordnungsbehörden entsprechende Überwachungsmaßnahmen anordnen können, sobald "Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Straftaten begangen werden sollen" - praktisch keine Hürde und keine Definition für eine solche Anordnung, meint Laudator Alvar Freude. Ein wiederholter Taschendiebstahl reiche womöglich als Begründung aus, um Menschen zu belauschen und damit in der Ausübung ihrer demokratischen Grundrechte Meinungsfreiheit und Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu behindern, heißt es zur Begründung.
Zweiter Preisträger in der Kategorie "Politik" ist die Innenministerkonferenz für ihren Beschluss, eine zentrale Anti-Terror-Datei zu errichten. Dies sei eine "sicherheitspolitische Wiedervereinigung" von Polizei und Geheimdiensten auf elektronischem Weg. Fast 40 Sicherheitsbehörden von BND, MAD und Verfassungsschutz über Bundespolizei und Landeskriminalämter bis hin zum Zollkriminalamt sollen personenbezogene Daten von "Terrorverdächtigen" und deren Kontaktpersonen einspeichern und darauf Zugriff erhalten. Die strikte Trennung von Polizei und Geheimdiensten werde damit angetastet.
Für die Vorgabe, dass CD-Brenner ihre eindeutige Seriennummer auf den Rohling schreiben und damit eine Rückverfolgbarkeit von Datenträgern zum Brenner ermöglichen, wurde die Firma Philips in der Kategorie Technik "geehrt". Es sei in Deutschland nicht strafbar, Musik-CDs oder Filme für den privaten Gebrauch zu brennen, so dass auch keine Notwendigkeit bestehe, Raubkopierer ermitteln zu wollen.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bekommt einen Big Brother Award für die Warn- und Hinweisdateien der Versicherungswirtschaft, mit denen Versicherungen umfangreiche Daten von Bürgern austauschen - nach geheimgehaltenen Kriterien, ohne ausreichende rechtliche Grundlage und ohne Wissen der Betroffenen, so die Begründung von Laudatorin Rena Tangens zum Preis in der Kategorie Verbraucher.
Auch die "Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication", kurz SWIFT, erhält die Datenkraken-Auszeichnung für die Übermittlung von Überweisungsdaten an US-Behörden. SWIFT-Europa stellt den US- Behörden seit fast fünf Jahren über sein US-amerikanisches Operation-Center die Daten internationaler Banktransaktionen zur Verfügung. Dabei werden nicht nur die Daten weitergegeben, bei denen Konten in den USA betroffen sind, sondern SWIFT spiegelt auch seine innereuropäischen Daten zur Sicherung auf die Server von SWIFT-USA.
Verliehen wurden die Big Brother Awards Deutschland wie jedes Jahr durch den "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V.", kurz FoeBuD. (ji)
golem.de, Berlin, 20. Oktober 2006
Original: http://www.golem.de/0610/48513.html