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BigBrotherAwards - Terrorbekämpfung höhlt Grundrechte aus

Deutsche Bahn und Hotelketten für Sammlung persönlicher Daten gerügt

Anlässlich der BigBrotherAwards 2007 gab es eine Überraschung: Der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble wurde nicht mit einem Preis bedacht, obwohl er als "Traumkandidat" eingestuft wurde, denn er stelle ein Symbol für die Missachtung von Bürgerrechten dar. Der alljährlich zu vergebende BigBrotherAward soll auf Missstände in den Bereichen Überwachung, Datenschutz sowie Bürgerrechte hinweisen und wird an Firmen, Organisationen und Politiker verteilt.

In einer nur schriftlich vorliegenden Laudatio von Dr. Rolf Gößner wird die Nicht-Vergabe des BigBrotherAwards an Wolfgang Schäuble erläutert. So verstehe es kaum ein anderer so gut, "mit seiner Panikmache und Drohpolitik die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen". "Als 'Gegenterrorist' ist er mit seinen grundrechtssprengenden Denkanschlägen, die er fast täglich verübt, längst zum Gefährder von Demokratie, Menschenrechten und Datenschutz geworden", meint Gößner weiter.

Gleichwohl ist Schäuble nach Ansicht Gößners nicht preiswürdig, denn er sei nur eine Metapher "für die verhängnisvolle Tendenz einer 'Terrorismus-Bekämpfung' auf Kosten der Bürgerrechte und für eine Systemveränderung zu Lasten des demokratischen und sozialen Rechtsstaats". Zudem befürchtet er, dass sich der Innenminister von der Verleihung des BigBrotherAwards angespornt fühlt, "seinen Sicherheitsextremismus noch zu verstärken, um seiner Vision vom präventiv-autoritären Sicherheits- und Überwachungsstaat näher zu kommen".

Der diesjährige BigBrotherAward in der Rubrik "Arbeitswelt" geht an die Novartis Pharma GmbH. Der Pharma-Konzern soll Außendienstmitarbeiter durch Detektive überwacht haben. Im großem Stil wurde demnach minutiös protokolliert, wie lange welcher Außendienstmitarbeiter während der Arbeitszeit in einer Arztpaxis oder einer Apotheke verweilte, um Geschäfte abzuwickeln.

Außerdem hat Novartis Pharma Erhebungen bei den Angestellten vorgenommen und dafür Anonymität versprochen. Tatsächlich erhielten einzelne Mitarbeiter ihre Antworten zurück, die von der Personalabteilung mit Kommentaren versehen waren. Die zugesicherte Anonymität wurde also nicht eingehalten. Beschwerden darüber habe die zuständige Agentur mit "So naiv kann man doch nicht sein!" erwidert. Außerdem soll es zu Behinderungen beim Besuch von Betriebsversammlungen gekommen sein und datenschutzwidrig seien Krankentagelisten herumgereicht worden. Außerdem habe der Konzern Post an den Betriebsrat in der Poststelle widerrechtlich geöffnet.

In der Kategorie "Verbraucherschutz" teilt sich eine ganze Unternehmensgruppe den BigBrotherAward 2007. Und zwar haben sich mehrere internationale Hotelketten dafür qualifiziert, weil sie persönliche Daten zu den Lebensgewohnheiten ihrer Gäste sammeln - ohne deren Wissen. Stellvertretend für die Branche wurden die Hotels Hyatt, Mariott und Intercontinental mit dem Preis bedacht. Sie hätten Trink- und Essgewohnheiten protokolliert, die Art der Pay-TV-Nutzung beobachtet, Allergien abgefragt und alle privaten und beruflichen Kontaktadressen gespeichert. Außerdem seien Kreditkartendaten, Sonderwünsche und Beschwerden zentral gesammelt worden.

Das Hotelpersonal werde dazu angehalten, möglichst viele Daten über ihre Kunden zu speichern, um deren Wünsche zwar nicht von den Augen, aber immerhin vom PC-Bildschirm ablesen zu können. Allerdings würden diese Daten auch mit dem Ziel gespeichert, die lukrativen Gäste von den weniger finanzstarken Kunden zu trennen. All diese Daten würden auf unbestimmte Zeit und ohne Wissen der Gäste gespeichert. Laudatorin Rena Tangens ist der Meinung, dass sich die Hotels damit "am Rande und zum Teil auch schon jenseits der Legalität" befinden.

Die Deutsche Bahn AG bekommt in diesem Jahr den BigBrotherAward im Bereich "Wirtschaft". Das Unternehmen mache anonymes Reisen immer schwieriger. So gebe es immer weniger Fahrkartenschalter und Automaten würden oftmals kein Bargeld annehmen. Im Internet seien Tickets nur personalisierbar zu bekommen und bei Bestellung einer BahnCard müsse neben der Nennung des Geburtsdatums auch ein Passfoto vorgelegt werden. In der BahnCard 100 integriert der Bahnbetrieb sogar einen RFID-Chip, ohne den Kunden darauf hinzuweisen. Zudem wird die flächendeckende Videoüberwachung an Bahnhöfen kritisiert. Kunden würden durch lange Schlangen sowie Preisaufschläge am Fahrkartenschalter dazu gebracht, Vertriebswege zu wählen, auf denen die Bahn mehr Daten sammeln kann.

Der BigBrotherAward 2007 für die Rubrik "Behörden und Verwaltung" geht an die Generalbundesanwältin Monika Harms für ihre Antiterror-Maßnahmen gegen Gegner des G8-Gipfels im Mai 2007. Hierbei wird kritisiert, dass von ihr angeordnet wurde, systematisch Briefkontrollen in Hamburg vorzunehmen und von Gipfelteilnehmern Körpergeruchsproben aufzunehmen und zu konservieren. Als Reaktion auf einen Brandanschlag seien alle Postsendungen überprüft worden, die in Hamburg vom 22. Mai bis zum 24. Mai 2007 aufgegeben wurden, um Briefe an eine bestimmte Redaktion zu finden. Diese Überprüfung sei von Ermittlern des Hamburger Landeskriminalamts und des Bundeskriminalamts vorgenommen worden, die damit gegen das grundgesetzlich festgeschriebene Briefgeheimnis verstoßen hätten.

Die "PTV Planung Transport Verkehr AG" konnte die Jury des BigBrotherAwards überzeugen und heimste den Preis in der Kategorie "Technik" ein. Die Firma stellt ein System für Anbieter von Kfz-Versicherungen bereit, mit dem Fahrtrouten und auch das Fahrverhalten überwacht und an die Versicherung gemeldet werden. Dieses als "Pay as you drive"-System bezeichnete Verfahren nutzt zur Datenübermittlung und -sammlung Satellitennavigation und Mobilfunk.

Durch das System können Versicherungen spezielle und günstigere Tarife anbieten, wenn das Fahrverhalten den Vorstellungen der Versicherung entspricht, indem die Klienten überwacht werden. Deutsche Versicherungen sollen bereits Interesse an dem System bekundet und versichert haben, dass der Einsatz auf rein freiwilliger Basis erfolge. Es wird befürchtet, dass sich vor allem Fahranfänger von solchen Angeboten locken lassen, um Geld zu sparen und sich so frühzeitig an eine Rundum-Überwachung gewöhnen.

Das System ließe sich zudem mit den Daten füttern, die das Fahrzeug anlegt. Damit könnte das System in die Lage versetzt werden, automatisch Strafzettel auszustellen, falls gegen Verkehrsregeln verstoßen wird. Der Laudator Frank Rosengart erwartet, dass der Staat schon bald all diese Daten zentral sammeln werde - das habe die Datensammelwut im Zuge der Lkw-Maut gezeigt.

Peer Steinbrück, seines Zeichens Bundesminister der Finanzen, gewinnt in diesem Jahr den BigBrotherAward in der Rubrik "Politik", weil er eine lebenslange Steuer-Identifikationsnummer (Steuer-ID) für alle Einwohner der Bundesrepublik Deutschland durchgesetzt hat. Für die Erstellung dieser Steuer-ID würden alle Meldebehörden dem Bundeszentralamt für Steuern Daten aller registrierten Einwohner übermitteln. Das Bundeszentralamt für Steuern würde wiederum der zuständigen Meldebehörde die dem Steuerpflichtigen zugeteilte Identifikationsnummer zur Speicherung im Melderegister mitteilen. Zukünftig müssten die Meldebehörden dann jede registrierte Geburt sowie Änderungen der bereits übermittelten Daten mitteilen.

Der Laudator Werner Hülsmann zitiert aus einem Bundesverfassungsgerichtsurteil, das anlässlich des Mikrozensusurteils bereits 1969 gefällt wurde: "Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren". Damit sei die Steuer-ID als verfassungswidriges Personenkennzeichen einzustufen.

Die Jury des BigBrotherAwards würdigte für den Bereich "Regional" die Behörde für Bildung und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg für die Einrichtung eines Schülerzentralregisters, um darüber auch ausländische Familien ohne Aufenthaltserlaubnis aufzuspüren. Die Hamburger Ausländerbehörde würde diese Daten laufend mit dem Melderegister abgleichen, um herauszubekommen, ob Kinder zur Schule gehen, die nicht in Hamburg gemeldet sind, befürchtet Laudator Alvar Freude. Familien ohne gültige Aufenthaltserlaubnis würden somit davor zurückschrecken, ihre Kinder überhaupt zur Schule zu schicken, um nicht entdeckt zu werden.

Schließlich erhält Bundesjustizministerin Brigitte Zypries den BigBrotherAward 2007 in der Kategorie "Kommunikation" für den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung. Mit diesem Gesetzentwurf soll in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verbindungsdaten eingeführt werden. Laudator Dr. Fredrik Roggan wirft der Bundesjustizministerin vor, sie ignoriere damit die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das bereits 1983 im Volkszählungsurteil festgelegt habe, dass die Sammlung von nicht anonymisierten Daten zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken mit dem Grundgesetz unvereinbar ist.

Die BigBrotherAwards sollen die öffentliche Diskussion um Privatsphäre und Datenschutz fördern und auf den missbräuchlichen Gebrauch von Technik und Informationen hinweisen. Dieser Negativ-Preis wird an Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aushöhlen. Der Name entstammt George Orwells negativer Utopie "1984", in der der Autor seine Vision einer zukünftigen Gesellschaft entwarf, die unter totaler Überwachung steht. In Deutschland werden die BigBrotherAwards vom "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V.", kurz FoeBuD, verliehen.

golem.de, Berlin, 12. Oktober 2007
Original: http://www.golem.de/0710/55351.html

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