Die Auszeichnung für den Datenmissbrauch geht in diesem Jahr unter anderem an den Vorsitzenden der Zensuskommission für die geplante Volkszählung in Deutschland. Facebook und Apple erhalten den Preis in der Kategorie Kommunikation.
Der FoeBuD (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs) hat zum elften Mal seine BigBrotherAwards verliehen. Der Negativpreis geht an diejenigen, die laut Jury besonders unvorsichtig mit Datenschutz und Privatsphäre umgehen. Erstmals werden die Preise nicht mehr im Herbst, sondern im Frühjahr verliehen, damit der Veranstalter "bei der Nominierung und der Preisverleihung das ganze Jahr berücksichtigen" kann.
Zu den Preisträgern gehört der Vorsitzende der Zensuskommission Gert Wagner, der den Preis stellvertretend für alle Beteiligten erhält, die an der geplanten Volkszählung in Deutschland (Zensus 2011) mitwirken. Die Begründung der Jury: "Mit der aktuellen Volkszählung werden sensible Persönlichkeitsprofile von über 80 Millionen Menschen erstellt, die bis zu vier Jahre nach dem Stichtag am 9. Mai 2011 personenbezogen verfügbar sind. Dabei werden Daten aus Melderegistern, von der Bundesagentur für Arbeit und von bundesbehördlichen Arbeitgebern zweckentfremdet, ohne dass die Betroffenen rechtzeitig und ausreichend darüber informiert werden oder dem widersprechen könnten."
Wagner, gleichzeitig Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), äußerte sich bereits im Vorfeld der Preisverleihung in einem Interview mit dem Handelsblatt zu dem Award: "Beim Zensus werden doch vergleichsweise langweilige Daten erhoben. Für Marketingzwecke etwa sind die total ungeeignet. Was Google über jemanden abspeichert, der eine Suchanfrage startet, sagt viel mehr über eine Person aus."
Preis zurückgewiesen
Bei der Preisverleihung erschien Wagner auch, um die Kritik nicht unwidersprochen hinzunehmen und "die Überwachungsunterstellung formvollendet zurückzuweisen." Die Volkszählung sei notwendig, um Steuern gerechter zu verteilen. Außerdem würden keine Persönlichkeitsprofile angelegt, sondern nur wenige statistische Daten erfasst, die zudem anonymisiert würden.
Dem widersprach Laudator Werner Hülsmann vom Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung: "Auch ohne zusätzliche Informationen sind die Daten für den Adresshandel sehr wertvoll. Im Übrigen sei niemand gezwungen, Google zu nutzen und Google kenne auch keine Namen, Adressen und Religionszugehörigkeiten."
Preise für Facebook und Apple
Das soziale Netzwerk Facebook erhält den Preis in der Rubrik Kommunikation für "die gezielte Ausforschung von Menschen und ihrer persönlichen Beziehungen." Die Daten werden auf Servern in den USA gespeichert - " Zugriff für Geheimdienste möglich, Löschen nicht vorgesehen." Die Jury begründet ihre Entscheidung zusätzlich damit, dass "der "Gefällt-mir"-Button auf fremden Webangeboten auch ohne Anklicken alle Besucher der Seite an Facebook verpetzt."
Ein Preis geht auch an Apple für die "Geiselnahme seiner Kunden mittels teurer Hardware und die darauf folgende Erpressung, den firmeneigenen zweifelhaften Datenschutzbedingungen zuzustimmen." "Insbesondere die Lokalisierungs- oder Standortdaten der Nutzer werden von App-Betreibern und Werbekunden gern genutzt, um speziell zugeschnittene Werbung zu platzieren", so die weitere Begründung der Jury.
Drohneneinsatz kritisiert
Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) erhält den Preis in der Rubrik Politik für "den ersten nachgewiesenen polizeilichen Einsatz einer Mini-Überwachungsdrohne bei politischen Versammlungen." Er hatte den Drohneneinsatz bei den Protesten gegen den Castor-Transport im November 2010 angeordnet. Laut Jury war "der Drohneneinsatz im Wendland offenbar so geheim, dass die rechtzeitige datenschutzrechtliche Überprüfung durch den Landesdatenschutzbeauftragten unterblieb und selbst der zuständige Polizeieinsatzleiter nicht rechtzeitig informiert worden war." Schünemann ist als überwachungspolitischer Hardliner bekannt, der auch mehr Onlinedurchsuchungen und Vorratsdatenspeicherung will.
In der Rubrik Arbeitswelt geht der Preis an den Autohersteller Daimler "für die Praxis, flächendeckend Bluttests von seinen Produktionsmitarbeitern zu fordern." Der Autohersteller erhalte den Preis stellvertretend für weitere Unternehmen, weil er nicht die Bluttests für problematisch halte, sondern die aus dem Datenschutz folgenden Eingriffe in ärztliche Befugnisse.
Deutscher Zoll kooperiert mit dem FSB
Der deutsche Zoll bekommt den Preis für seine Zertifizierung von deutschen Unternehmen als "Sicherer Export-Diensteanbieter" (SED). Bei der Zertifizierung werden die Unternehmen mit Antiterrorlisten des russischen Inlandsabwehr- und Sicherheitsdienstes FSB abgeglichen, auf denen sich Namen und weitere Informationen über verdächtige Personen und Firmen befinden. Ohne die SED-Zertifizierung werden Unternehmen nicht nur vom deutschen Zoll, sondern auch von ausländischen Dienststellen häufiger und genauer kontrolliert.
RFID-Chips in Modejacken
Im Bereich "Technik" erhält die italienische Modemarke Peuterey für die versteckte Integration eines RFID-Chips in ihren Jacken eine Auszeichnung. Die Chips werden unter einem Aufnäher versteckt, der mit der Aufschrift "Don’t remove this label" bedruckt ist. Der deutsche Vertreiber, die Düsseldorfer Modeagentur "Torsten Müller", erhält den Preis stellvertretend, weil laut Jury "die Agentur und der Hersteller massiv in die informationelle Selbstbestimmung der Kundinnen und Kunden eingreifen."
Der Starnberger Verlag für Wissenschaft und Innovation erhält den Preis für sein "höchst unerfreuliches Datensammlungsmodell". Er verschicke Gutscheine für Bücher angesehener Kinder- und Jugendbuchverlage an Schulkinder und Lehrer. Um dabei ein kostenloses Buch zu erhalten und an einer Verlosung teilzunehmen, sollen Kinder Name und Anschrift mitteilen – auch die von mindestens einem Elternteil. Allerdings, so die Jury, vertreibt der Verlag selbst keine eigenen Bücher, sondern kooperiere mit Anlageberatern und einem Unternehmen, welches Vitaminpillen vertreibt. Damit habe der Verlag gegen den gesetzlichen Schutz von Schülerdaten verstoßen. Die Aktion entspreche den Honeypot-Aktionen im Internet. Der Verlagsinhaber habe nach Angaben des FoeBuD aber schon vor sechs Monaten die Aktion gestoppt, weil er die Praxis selbst nicht mehr in Ordnung fand. (jt)
jt
golem.de, Berlin, 02. April 2011
Original: http://www.golem.de/1104/82499.html