Dieses Wochenende wurden nach den Big Brother Awards in Österreich die unbeliebten Antipreise auch in Deutschland und in der Schweiz vergeben. Herausragend: Otto Schily, dessen Lebenswerk als Datenkrake ausgezeichnet wurde. Schily hatte sich nicht nur in bemerkenswerter Weise für europäische Überwachungssysteme eingesetzt, sondern konnte auch die Einführung biometrischer Reisepässe in Deutschland durchsetzen, obgleich die Technik bislang durchaus unsicher und der Nutzen der Maßnahmen völlig zweifelhaft ist.
Weitere Prominenz auch in der Kategorie "Verbraucherschutz", in der Franz Beckenbauers Bemühungen um die Totalkontrolle der Fussbalfans zur WM 2006 geehrt wurden. Wer ein Ticket zu einem der Spiele will, bekommt dies erst nach dem Ausfüllen eines Fragebogens mit zahlreichen Angaben zur Person. Die Tickets werden mit RFID - Chips personalisiert, die Adressen der Fans sollen an die FIFA und ihre Sponsoren weitergegeben werden.
Der Apple - Händler Gravis wurde für die Praxis geehrt, Streams von Überwachungskameras aus ihren Shops im Netz verfügbar zu machen und selbsternannten Kaufhausdetektiven einen iPod zu schenken, wenn sie denn einen Ladendiebstahl aufklären konnten. Die Saatgut Treuhand Verwaltungs GmbH wurde für ihre Kontrolle von tausenden von Landwirten geehrt: Teile der Ernte zur Aussaat im nächsten Jahr zu behalten, ist verboten, falls man nicht eine entsprechende Lizenzgebühr an die Saatguthersteller abführt oder dieses jedes Jahr frisch kauft.
Geehrt wurden auch der Leiter der Staatsanwaltschaften Kiel und Lübeck für großflächige Zeugenermittlung per Handy - Ortung. In der Kategorie "Regional" wurde das Vorgehen einer Grundschule und zweier Banken gewürdigt, welche die Adressdaten von Schulanfängern ohne Einwilligung der Eltern austauschten. In der Politik wurde Christian Wulff für die Zerschlagung der niedersächsischen Datenschutzaufsicht gewürdigt, die er dem Innenminister unterstellte, obgleich seitens der EU die völlige Unabhängigkeit solcher Institutionen gefördert wird. Für die Aushöhlung des hessischen Polizeigesetzes, welches nun noch umfassender das Fernmeldegeheimnis demontiert und den öffentlichen Raum zur überwachbaren Zone deklariert, wurde der hessische Innenminister Volker Bouffier geehrt.
In der Schweiz gab es zumindest eine gute Nachricht: wie auch in Österreich konnte dort ein Positivpreis vergeben werden. Die Initiative augenauf läßt Telefonnummern auf Namen ihrer Mitglieder registrieren, die anschließend Personen zur Verfügung gestellt werden, welche aus rechtlichen Gründen vom Abschluß eines Handyvertrags ausgeschlossen sind, wie beispielsweise Asylbewerbern.
Ein Lebenswerk - Award konnte der Bieler Polizeidirektor Jürg Scherrer einheimsen, der sich für umfassende Kameraüberwachung starkmacht. Den Business Award konnte die Postfinance eringen, nachdem sie illegalerweise Transaktionsdaten an us-amerikanische Finanzbehörden weitergegeben hat. Die kostenintensive und weitgehend nutzlose Überwachung ihrer Sozialhilfeempfänger ergab den Staats-Award für die Gemeinde Emmen, den Arbeitsplatz-Award konnte Bundesanwalt Valentin Roschacher erringen, mittels einer Durchsuchungsaktin der Papierkörbe seiner Mitarbeiter, die indessen nach Angaben seines Pressesprechers "Routine" seien.
Die Big Brother Awards werden in einer steigenden Zahl von Ländern jährlich an Institutionen und Personen vergeben, die sich für die Abschaffung von Privatsphäre, die Aushöhlung des Datenschutzes und die immer intensivere Überwachung von Bürgern einsetzen. Eine Übersicht über die teilnehmenden Länder und Verleihungen der unbeliebten Antipreise findet sich unter bigbrotherawards.org.
Richard Joos
Gulli, Bochum, 31. Oktober 2005
Original: http://www.gulli.com/news/big-brother-awards-in-2005-10-31/