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Big Brother Awards 2007

Die unglücklichen Gewinner

Im Verlauf des gestrigen Abends wurden ab 18 Uhr die unglückseligen Preisträger der deutschen BigBrotherAwards (BBA) bekannt gegeben. Es dürfte sich tatsächlich um einer der ganz wenigen Auszeichnungen handeln, die wirklich keine Firma, kein Politiker oder Privatperson freiwillig in Empfang nehmen möchte. Dementsprechend tauchte auch gestern keine der auserkorenen Datenkraken in Bielefeld in der Ravensberger Spinnerei auf.

Die Jury bestehend aus Mitgliedern von insgesamt sieben unabhängigen Organisationen hat in monatelanger Arbeit die Schwemme der eingereichten Hinweise für jede einzelne Kategorie überprüft. Eigenen Angaben nach hatte man es dieses Jahr bei über fünfhundert Benennungen sehr schwer, die richtigen Überwacher, Bespitzeler und Datensammler herauszufiltern. Beunruhigend ist in jedem Fall, die Zahl der Nominierungen wächst von Jahr zu Jahr stetig an.

Arbeitswelt - Keine Gefangenen machen!

In der Kategorie Arbeitswelt räumt die Novartis Pharma GmbH den Preis für die systematische Bespitzelung ihrer Außendienstmitarbeiter durch Detektive und einer vorsätzlichen Verletzung der zugesicherten Anonymität bei internen Erhebungen ab. Das Pharmaunternehmen hat ihren Außendienstmitarbeitern im großen Stil Detektive hinterher geschickt. Man wollte überprüfen, ob diese die bilanzierten Arzt- und Apothekenbesuche auch wirklich durchgeführt haben. In diesem Arbeitsbereich scheint tatsächlich der Kriegszustand ausgebrochen zu sein. So gab der Geschäftsführer der Konzernmutter die kernige Parole aus: "Kill To Win - No Prisoners". Stellt sich die Frage, ob Personen Höchstleistungen erbringen nur weil sie das Gefühl nicht loswerden können, überwacht zu werden. Qualifiziert für den BBA hat sich die Novartis Pharma GmbH auch durch die Rückgabe "anonymer" Umfragen im Kollegenkreis. Diese sind, nachdem sie nachträglich personalisiert wurden, direkt bei der Personalabteilung gelandet. Später wurden den überraschten Mitarbeitern die eigenen Umfrageergebnisse mit samt ihrem Namen zurückgegeben.

Die für die Umfrage beauftragte Agentur kommentierte die Angelegenheit mit den Worten "So naiv kann man doch nicht sein!" Warum Anonymität aufrechterhalten, die man zuvor ausdrücklich zusicherte? Fast erscheint es, der Zweifrontenkrieg in diesem Sektor wird gegen die eigenen Reihen und nicht gegen die Konkurrenz geführt. Der Betriebsrat sah sich immerhin genötigt, die Bespitzelung durch die Detektive offen zu legen. Es gab leider keine sichtbaren Anzeichen für Bemühungen die eigenen Mitarbeiter davor zu beschützen. Es scheint fast so, als wenn Herr Dr. Maag, der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens alles und jeden gut im Griff hat. Wie auch immer: Unser herzliches Beileid zum BigBrotherAward 2007!

Behörden und Verwaltung - Der Duft des Terrors

In der Kategorie Behörden und Verwaltung hat sich die Generalbundesanwältin Monika Harms durch ihre Maßnahmen gegen die Gegner des G-8 Gipfels in Heiligendamm im Mai dieses Jahres hervorgetan. Zum einen hat sie beim Ermittlungsrichter beantragt, trotz des Briefgeheimnisses auf der Suche nach Bekennerschreiben in Hamburg systematische Kontrollen von tausenden von Briefen durchzuführen. Andererseits ordnete sie an, von Gipfelgegnern Geruchsproben zu nehmen und diese zu konservieren. Die Ermittlungen haben bislang keinen einzigen Terroristen zutage gebracht. Die Geruchsproben sollten bestimmen, ob sich ein Verdächtigter an einem bestimmten Ort aufgehalten hat, oder ein Tatwerkzeug bzw. ein Bekennerschreiben berührt hat. "Stinknormal" kann man das nicht mehr nennen.

Dieter Wiefelpütz über Frau Harms: "Sie ist auf den Hund gekommen und sollte so schnell wie möglich davon wieder runterkommen." Da bleibt es einem nur übrig zu gratulieren.

Regional - Hamburgs Schulen als neue Abschiebebehörden?

Der BigBrotherAward (BBA) in der Kategorie "Regional" geht dieses Jahr an Frau Senatorin Alexandra Dinges-Dierig, respektive an die Behörde für Bildung und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg. Deren "Verdienst" ist die Einrichtung eines Schülerzentralregisters mit dem Nebenzweck, ausländische Familien ohne Aufenthaltserlaubnis aufzuspüren. Die Schulpflicht und das verbriefte Recht von Kindern auf Bildung sorgt für eine lückenlose Erhebung aller Schülerdaten der Schulen der Hansestadt. Es erfolgt ein automatischer Abgleich mit dem Melderegister, um den illegalen Aufenthalt von Kindern und ihren Eltern festzustellen. Offiziell wird diese Handhabe damit begründet, man will tragische Fälle verhindern, bei denen Kinder wegen der Misshandlung oder Vernachlässigung ihrer Eltern über einen längeren Zeitpunkt der Schule fern geblieben sind. Als Folge schicken viele illegale Einwanderer aus Angst ihre Kinder erst gar nicht zur Schule, weil sie dadurch ihre Aufdeckung befürchten. Ein Gesetz, welches dem Schutz der Kinder dienen sollte, sorgt als Konsequenz für weniger Schüler im Klassenzimmer und auch für weniger Bildung. Es wird viel Druck auf die Schulbehörden ausgewirkt, die Daten lückenlos und zeitnah erheben zu können. Kids ohne Anmeldung können zwar vor einer Abschiebung bewahrt werden. Sie können im Gegenzug aber auch keine Zeugnisse oder offiziellen Abschlüsse erreichen. Auch sind sie im Fall der Fälle bei Unfällen nicht versichert.

Laudator für die Kategorie Regional: Alvar Freude

Wirtschaft - Anonymes Reisen mit der Bahn unerwünscht

Die Provisionen für Reisebüros wurden systematisch gekürzt was dazu geführt hat, dass die Karten für die Deutsche Bahn nur noch vom Unternehmen selbst angeboten werden. Wer sein Ticket anonym am Schalter erwerben will, muss viel Zeit und Geduld mitbringen. Bis zu fünf Euro im Vergleich zu den Online-Angeboten kostet den Bahn-Kunden die Wartezeit am Schalter extra. Bucht man übers Internet, sind Sie dem "Unternehmen Zukunft" mit Namen, der vollen Adresse und Bankverbindung bekannt. Viele Automaten in den Bahnhöfen nehmen nur EC-Karten und kein Bargeld an, was einem erneut das anonyme Reisen unmöglich macht. Um die Preisnachlässe mitnehmen zu können wird vom Automaten das Einführen der Bahncard verlangt. Unbegreiflich ist diese Vorgehensweise weil die Rabattansprüche sowieso erst bei der Fahrkartenkontrolle im Zug überprüft werden. Dazu kommen die überflüssige Angabe des Geburtsdatums und das Foto auf der Bahncard. Was man mit den biometrischen Daten der Kunden anstellen kann, bedenkt man die flächendeckende Videoüberwachung des Bahngeländes - man mag es sich besser nicht ausmalen.

Im Fall der Bahncard 100 ging man auf absolut auf Nummer sicher. Die Bahn integrierte in jeder Bahncard 100 fast unbemerkt einen RFID-Schnüffelchip. Wären die Lesegeräte für solche Chips so flächendeckend aufgestellt wie geplant, man könnte problemlos jeden Schritt des Reisenden überwachen und protokollieren. Im Sinne der Dataminer - gut gemacht! Man kann dem Vorsitzenden des Vorstands der Deutschen Bahn AG, Herrn Mehdorn, nur zu seiner Datensammelwut und seinem Preis gratulieren.

Verbraucherschutz - lukrative Hotelgäste von Billigurlaubern unterscheiden

Stellvertretend für viele, viele weitere Ketten erhalten Marriott, Hyatt und Intercontinental den BBA für die Kategorie Verbraucherschutz. Viele Hotelketten speichern die Vorlieben und Daten ihrer Gäste, um diese später besser differenzieren zu können. Hat der Gast Telefonate in den Mittleren Osten durchgeführt? Besteht eine Haselnussallergie? Hat er sich via Pay-TV Pornos in sein Zimmer übertragen lassen? Die Tentakel der Gastlichkeit tragen Daten zusammen wie Familienkonstellationen, Trink- und Essgewohnheiten, Allergien, Hobbys, Sonderwünsche, Beschwerden, Vorlieben, Raucher oder Nichtraucher etc. Es geht dabei primär nicht, wie man denken könnte, um eine optimale Versorgung der Gäste. Das Zauberwort lautet CRM, das "customer relationship management". Dabei sollen die sparsamen von den spendablen Gästen unterschieden werden. Die ausgabefreudigen Gäste möchte man später noch mal gesondert ansprechen, wie aber geht man nach der Auswertung der Daten mit den preisbewussten Urlaubern um?

In Frankreich werden die persönlichen Daten von der Hotelkette direkt an die Polizei übertragen. Auch Geheimdienste könnten sich für Telefonate nach Syrien, den Verzicht auf Schweinefleisch oder Gäste aus dem Iran interessieren. Viele der konzerneigenen Server europäischer Hotelketten stehen in den USA. Und spätestens seit dem "patriot act" ist es Mitgliedern der amerikanischen Geheimdienste ohne richterlichen Beschluss erlaubt, diese Daten einzusehen und auszuwerten. König Kunde indes schläft hoffentlich ruhig und sanft. Er hat von alledem keinen blassen Schimmer. Friedrich Schiller würde dies wahrscheinlich mit den Worten kommentieren: Hier wendet sich der Gast mit Grausen. "So kann ich hier nicht ferner hausen."

Technik - lückenlose Totalüberwachung im Auto

Im Bereich Technik geht der Preis dieses Jahr an die Firma PTV Planung Transport Verkehr AG für ihr so genanntes "Pay-as-you-drive"-System. Dies ist ein Gerät, welches automatisch die Fahrroute und das Fahrverhalten des Fahrers aufzeichnet und die Daten ohne Zeitverzögerung per Mobilfunk an die Versicherung übermittelt. Eingeführt werden soll das Verfahren mit der Begründung, dass vernünftig und umsichtig fahrende Personen niedrigere Versicherungsprämien zahlen müssen als andere. Über den Geldbeutel sollen vor allem Fahranfänger zu mehr Vernunft, leider auch zu mehr Kontrolle am Steuer bewegt werden. In Zeiten in denen viele Pkws über Bordcomputer verfügen, kann man Beschleunigungssensoren anzapfen, kontrollieren ob geblinkt wurde, sogar der Reifendruck und der Alkoholgehalt des Atems des Fahrers könnte überprüft werden. Wenn das selbst verordnete sanfte Fahrverhalten mit den gesammelten Daten übereinstimmt, bleibt die Prämie niedrig, ansonsten müssen die Fahrer mit höheren Versicherungspolicen rechnen. Auch das Einhalten gesetzlich angeordneter Verbote könnte überprüft, oder gar elektronische Strafzettel ausgestellt werden. Die Vorstellung Herr über diese Daten zu werden, wäre für den Gesetzgeber sicherlich sehr verlockend. Man denke nur an die schleichende Veränderung der gesetzlichen Grundlagen wenn es um die Mautdaten geht. Anfangs hat kein Politiker offen über eine Verwendung der Mautdaten zu Fahndungszwecken gesprochen. Heute sieht die Praxis ganz anders aus.

Wie also fühlen Sie sich bei der Vorstellung wenn dieses System in ein paar Jahren eingeführt wird und sich die Polizeibeamten virtuell auf ihr Gerät aufschalten dürfen? Sie könnten dann feststellen, wo sich das überwachte Auto befindet, wie schnell und in welche Richtung es fährt. Auch nach Monaten könnte noch immer ein Bewegungsprofil erstellt werden. Und selbst wenn dieser elektronische Big Brother die Kosten für die Versicherung deutlich senken könnte, werden sich so manche Fahranfänger genauer überlegen müssen, wie viel ihnen ihre Unabhängigkeit wert ist.

Laudator Frank Rosengart vom CCC. Bild: Lars Sobiraj

Politik - Dank Steinbrück Steuer-ID ab Geburt bis 20 Jahre nach dem Tod

Der BBA in der Kategorie Politik geht an den Bundesminister der Finanzen, Herrn Peer Steinbrück für die Einführung der lebenslangen Steuer-Identifikationsnummer (Steuer-ID) für alle Einwohnerinnen und Einwohner der Bundesrepublik- Deutschland. Die Steuer-ID wird ab Geburt vergeben und ist bis 20 Jahre nach dem Tod des katalogisierten Steuerzahlers hinaus gültig. Erreicht werden soll dadurch eine eindeutige Identifizierung des Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren. Wenn in nicht allzu ferner Zukunft diese Nummer mit den von Überwachungskameras erhobenen Daten und der damit einhergehenden Identifikation der gefilmten Personen per Biometrie kombiniert werden kann, ist es bis zur Fiktion von George Orwell nicht mehr allzu weit entfernt. Die staatliche Schlinge um den Hals der beäugten Bürgerinnen und Bürger scheint sich immer mehr zuzuziehen.

Kommunikation - Das ewige Thema Vorratsdatenspeicherung

Frau Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries wird ausgezeichnet für ihren Gesetzesentwurf, mit dem in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verbindungsdaten für 6 Monate bis 2 Jahre durchgeführt werden soll. Sie ignorierte damit bewusst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das bereits 1983 im Volkszählungsurteil festgelegt hatte, dass die Sammlung von nicht anonymisierten Daten zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Auch die Nichtigkeitsklage von Irland vor dem Europäischen Gerichtshof hat die Ministerin nicht von ihrem Vorhaben abhalten können. Abschließend sollte man noch kurz erwähnen, Frau Zypries wurde wegen dem Großen Lauschangriff schon vor drei Jahren mit einem BBA ausgezeichnet.

"Aber Grossmutter, wozu willst du meinen Telefon-Nachweis, mein Root-Passwort und meine Fingerabdrücke? Damit ich dich besser beschützen kann!"

Schäuble: Trotz enorm viel Fleiß: Kein Preis!

Außer Konkurrenz lief dieses Jahr der absolute Traumkandidat der Awards: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Nach Ansicht der Jury wäre es falsch, sich zu sehr auf diesen überqualifizierten Bewerber einzuschießen. Andererseits befürchtet man, Schäuble könnte seine Auszeichnung als besonderen Ansporn verstehen und seinen Sicherheitsextremismus und Terrorwahn noch weiter ausdehnen. Auch musste man ihm dankbar zu Gute halten, dass er im September für eine erfolgreiche Demonstration in Berlin gesorgt hat. Schäuble hat wie kein anderer Politiker für ein vermehrtes Bewusstsein dieser Problematik in der Bevölkerung gesorgt und hat die Menschen wie kein Zweiter auf die Barrikaden gehen lassen.

Fazit

Die Awards waren in manche Kategorien von ihrem Ausgang her absehbar, andere wurden zur allgemeinen Überraschung verliehen. Insgesamt war es wie auch letztes Jahr eine Veranstaltung, die in sich rund wirkte. Den 300-400 Zuschauern wurde erneut eine zweistündige Gala geboten, die viele interessante Informationen und einiges an kurzweiligem Entertainment im Angebot hatte. Der Anteil zwischen Presse und Zuschauern schien sich in Richtung Kameramänner, Kabelträger und Journalisten verschoben zu haben. Wichtig ist der mahnende Zeigefinger der BBA-Jury allemal. Wer sonst erinnert einen jährlich daran, wie viel Missbrauch mit unseren höchst privaten Daten betrieben wird. Und für die Organisatoren gilt: Nach der Veranstaltung ist vor der Veranstaltung. Eine lange Verschnaufpause werden sich die Verantwortlichen nicht leisten können. In diesen Tagen dürfte die Zahl der Interviewanfragen am höchsten sein. Außerdem stehen die ersten Vorbereitungen für die Preisverleihungen der Datenkraken in 2008 vor der Tür.

Lars Sobiraj

Gulli, Bochum, 13. Oktober 2007
Original: http://www.gulli.com/news/bigbrotherawards-2007-die-ungl-2007-10-13/

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