FoeBuD & Co. hatten wieder nach Bielefeld geladen, über 400 Besucher waren dem Aufruf gefolgt, zahlreiche andere Interessenten verfolgten das Geschehen online per Stream. Anwesend unter anderem auch der Datenschutzbeauftragte der Deutschen Telekom Claus Ulmer, der den Preis unter erheblichen Buhrufen des Publikums entgegennahm und der versuchte, zu diversen Datenskandalen Stellung zu beziehen. Seine Aussage, dass es ihm nicht leichtgefallen sei zu kommen, klang indes sehr authentisch.
Es bleibt unklar, ob der Historische Saal der Ravensberger Spinnerei auch nächstes Jahr von seiner Größe her noch ausreichen wird.
Dieses Jahr kam der Veranstaltungsort schon an seine Grenzen. Sollte sich der Zuwachs an Besuchern linear gestalten, platzt man nächstes Jahr aus allen Nähten. Auch der Termin an sich gestaltete sich etwas ungünstig. Wer in Arbeit und Brot steht, hätte sich den kompletten Tag freinehmen müssen, um an der Veranstaltung teilzunehmen, die bereits um 18 Uhr begann. Dazu kam wie auch in den Vorjahren ein erhebliches Verkehrschaos, durch das man sich kämpfen musste, wollte man wirklich zu dieser Stunde in die Hauptstadt des Datenschutzes reisen.
Nach einer zweieinhalbstündigen Odyssee durch die nordrheinwestfälischen Autobahnen kamen wir - wie auch im Jahr 2006 - über eine Stunde zu spät an. Wir durchquerten im Schritttempo so viele Baustellen, man konnte glauben, dass sich die Autobahn fast ausschließlich aus den Baustellen zusammensetzen müsste. Schmerzhaft in diesem Zusammenhang auch die Beobachtung bei Hin- wie auch Rückfahrt, dass über die Strecke von ca. 20 km nur an einer einzigen Stelle auch wirklich an der Verbesserung der Straße gearbeitet wurde.
Fünfhundert Nominierungen sind dieses Jahr getätigt worden, alleine 300 waren davon Wolfgang Schäuble gewidmet, das Prozedere beschäftigte die Jury in einigen Sitzungen, die zusätzlich durchgeführt werden mussten. Zwischen den Jazzeinlagen der "Forty Fingers" und jede Menge Magie des Zauberers Marc Gasser wurden die Gewinner der einzelnen Kategorien verkündet, die ihre Auszeichnung sicherlich weniger magisch empfanden.
Die Deutsche Telekom wurde von Dr. Fredrik Roggan in der Kategorie Arbeitswelt und Kommunikation als Laudator bedacht. Der Preis wurde verliehen wegen der illegalen Nutzung von Telefonverbindungen zur Bespitzelung von Telekom-Aufsichtsräten und Journalisten. Der Bruch von Pressefreiheit, gegen das Telekommunikationsgeheimnis und den Datenschutz führte letztlich zu der Auszeichnung. Zur Überraschung vieler Gäste erschien der Datenschutzbeauftragte der Deutschen Telekom und erklärte, dass man den Preis wie auch die ausgesprochene Kritik annehmen würde. Datenschutz wäre jetzt Vorstandssache, weswegen man auch einen externen Datenschutzbeirat gründen will. Betrachtet man die aktuell bekannt gewordenen Datenlecks der Telekom, erscheint ein massives Vorgehen zwingend erforderlich und insgesamt sehr verspätet. Claus Ulmer muss man an dieser Stelle aber auch viel Anerkennung und Mut aussprechen. Sich vor eine solche Menschenmenge kritischer Zeitgenossen zu stellen, um den Preis und deren Zwischenrufe einzukassieren, ist wahrlich keine leichte Aufgabe.
Andere Unternehmen wie der Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e. V. (adm) haben ihre Teilnahme abgesagt, weil ihnen dies "wegen der extremen Kurzfristigkeit nicht möglich sei". Der adm hatte in seiner Telefon-Richtlinie empfohlen, Telefoninterviews mit Verbrauchern bei Bedarf ohne Kenntnis der Gesprächspartner heimlich aufzuzeichnen. An dieser Empfehlung änderte sich auch nichts nach Beanstandung durch die Datenschutz-Aufsichtsbehörde. Man kommentierte dies damit: "Das Mithören telefonischer Interviews zu Zwecken der Markt- und Sozialforschung erfolgt ausschließlich zur Sicherung der wissenschaftlichen Qualität". Und die könne nur aufrechterhalten werden, wenn man den Kunden belauscht, ohne dass er drüber in Kenntnis gesetzt wurde. Ob es wirklich ausreicht zu argumentieren, dass solche Telefoninterviews schon deswegen abgehört werden dürfen, weil sie kein privates Gespräch darstellen? Ob die Anonymität der Befragten so strikt gewahrt ist wie der adm dies deklariert, bleibt dahin gestellt. An den Grundregeln des Datenschutzes sollte man deswegen nicht rütteln dürfen.
Reagiert hat auch die Yello Strom GmbH. Die bekam den BBA präventiv in der Kategorie "Technik" für ihre Vorreiterrolle bei der geplanten Einführung von Schnüffelchips für stromverbrauchende Geräte für Privatkunden. Diese sollen künftig ihren Stromverbrauch selbst kontrollieren und damit Strom sparen können. Yello Strom will damit schneller auf Angebot und Nachfrage auf dem Strommarkt reagieren können, zum Beispiel über flexible Tarife und eine Fernsteuerung von Geräten. Die Stromkunden erhalten neue Zähler, die die Verbrauchsdaten sekundengenau erfassen und alle 15 Minuten über das Internet zur Zentrale übertragen. All diese Daten können dann online auf der Yello-Homepage eingesehen werden. Yello schrieb zurück, man sei sehr darüber verwundert, dass ein Produkt bewertet und derartig ausgezeichnet würde, welches überhaupt noch nicht existiert. Bekommen hat der Stromanbieter Yello den Preis im Vorfeld, weil diese ihre digitalen Stromzähler flächendeckend einführen wollen, die man auch online auslesen kann. Yello rechtfertigte sich damit, diese wären NICHT fernauslesbar und niemand außer dem Kunden selbst könne auf die Daten zugreifen. "Da unser Produkt Sparzähler online noch nicht im Markt ist, sind naturgemäß das Produkt erläuternde Kunden- Informationen - etwa auch rund das Thema Datenschutz - schon aus Wettbewerbsgründen noch nicht für die Öffentlichkeit verfügbar." Sehr schade wenn solch wichtige Hinweise fehlen, die Jury vermisste beim Internetauftritt des Unternehmens zudem jegliche Hinweise in Bezug auf den Datenschutz. Verlockend ist die Erfassung der sekundengenauen Verbrauchsdaten allemal. Wie könnte man besser feststellen, wann die Masse beziehungsweise eine Einzelperson jeweils aufsteht, ins Bett geht, zu welcher Uhrzeit sie/er das Haus verlässt, den Computer anschaltet etc. Und die zahllosen Datenverluste der letzten Wochen und Monate zeigten zudem deutlich, mit welchen Problemen Firmen wie auch staatliche Stellen damit haben, die Kontrolle über ihre Daten zu bewahren.
Frank Rosengart vom CCC "ehrte" das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, vertreten durch dessen Minister Michael Glos. Gerügt wird damit ELENA, das neue Meldeverfahren für den elektronischen Entgeltnachweis. Diese zentrale Sammelstelle ist gedacht für alle Einkommensdaten der Angestellten, die von den Arbeitgebern übermittelt werden sollen. Rosengart bemerkte, ein Schutz der Bürger durch eine scharfe juristische Abgrenzung wäre nicht gegeben. Eine Nutzung durch andere Behörden könnte demnach "auf Zuruf" geschehen.
Die Jury hat aber nicht nur die Preisverleihung vorbereitet, sie stellte auch zahlreiche datenschutzrelevante Trends fest. So soll es immer häufiger vorkommen, dass Ausweise zu Identifikationszwecken nicht nur geprüft, sondern auch kopiert werden. Unklar bleibt, was die Firmen bzw. Behörden mit den Kopien anstellen und wie lange diese Daten aufbewahrt werden. Bedrohlich auch die Aussage, dass die Hemmschwelle für die Herausgabe von Videoaufzeichnungen gesunken sein soll. Die Polizei in Brandenburg fahndete öffentlich mit Ausschnitten aus der Videoüberwachung einer Straßenbahn nach offensichtlich Minderjährigen, die einem Mitschüler den Rucksack entwendet haben sollen. Waren es früher schwere Straftaten, die für die Herausgabe der Mitschnitte nötig waren, so ist die Hemmschwelle beunruhigend gesunken.
Großzügig ist man nicht nur mit eigenen, sondern auch mit fremden Dingen. Dies trifft unter anderem auch auf den Konzern Apple zu. Apple schreibt in den Datenschutzbestimmungen, dass sie Daten an Dritte geben, sofern dies "für die nationale Sicherheit, den Gesetzesvollzug oder andere öffentliche Interessen notwendig" sei. Prima gemacht, irgendeinen Grund wird man im Bedarfsfall immer konstruieren können.
Für den Preis hat es nicht gereicht, aber tadelnd erwähnt wurde zum Beispiel das Bundeskriminalamt (BKA) Wiesbaden. Die hatten auf ihrer Website über die linksextreme "militante gruppe" berichtet, um im Nachhinein alle IP-Adressen der Webseitenbesucher zu speichern und in 417 Fällen die Identität der Seitenbesucher zu ermitteln. Wer sich aus der Szene dort bewegte, wird seine IP mit Sicherheit verschleiert haben. Das BKA hat aber quasi nach dem Gießkannenprinzip alle Personen verdächtigt, die sich auf deren Internetpräsenz haben sehen lassen.
Spannend auch der "Berufsnavigator" des Bildungsbüros Kreis Herford. Die nutzen dieses Programm für ihre Beratung, in dessen Verlauf Persönlichkeitsprofile von Schülern erstellt werden. Sehr interessant die Tatsache, dass die Daten vielversprechender Berufsnavigator-Teilnehmer für einen Preis von 200 Euro an Arbeitgeber und weitere "interessierte Firmen" verkauft werden. Dies wurde weder den Schülern mitgeteilt, noch wurde deren Einwilligung in die Datenweitergabe eingeholt. Manch ein Schulabgänger mag sich aber gewundert haben, auf welchem wunderlichen Weg Personalabteilungen an ihre Details kamen. Eigentlich soll das Persönlichkeitsprofil mit den Anforderungen der Berufe verglichen werden, um den Schülern bei der Wahl ihres Berufes zu helfen. Oder darf man den Damen und Herren vom Bildungsbüro im Kreis Herford rein monetäre Motive unterstellen?
Eine tadelnde Erwähnung auch für die Quelle AG. Datenschutz ist vor allem dann hinderlich, wenn man, wie die Quelle AG, mit der Weiterleitung von Adressänderungsmeldungen an die "Deutsche Post Adress" noch Geld verdienen kann. Das Einholen der Einwilligung wirkt da eher störend. Ganze vier Wochen Zeit wird den Kunden gelassen, um der Übermittlung ihrer neuen Anschrift an die Posttochter zu widersprechen. Klar definiert wird auch nicht, zu welchem Zweck die Daten an die Deutsche Post Adress gegeben werden sollen. Nicht opt out, solche Methoden sind out!
Der Publikumspreis 2008 ging an den Europäische Ministerrat, der für seine EU-Terrorliste ausgezeichnet worden war. Auch gestern hatten die Organisatoren des BBA das Publikum der Preisgala aufgefordert, den Preis auszuwählen, der sie im besonderen Maß "beeindruckt, erstaunt, verschüttert, oder empört" hat. Das Ergebnis der Auszählung wurde erst vor wenigen Minuten bekannt gegeben. Nicht gewonnen hat den Publikumspreis die DAK, die für die unzulässige Weitergabe von Patientendaten 200.000 chronisch kranker Versicherter an eine Privatfirma ausgezeichnet wurde. Die Weitergabe der Informationen geschah ohne jegliche Einholung ihrer Zustimmung.
Den restlichen Verlauf des Abends kann man ausschließlich lobend erwähnen. Die Gestaltung der Show fiel wie üblich überaus professionell und kurzweilig aus. Man darf gespannt sein, wen die Kollegen in Wien heute Abend mit ihren Negativpreisen küren werden, deren Veranstaltungen beginnt bereits in wenigen Stunden.
Sehr herzlich bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei Korrupt, der mir netterweise sowohl seine Aufzeichnungen, als auch einige Fotos zur Verfügung stellte.
Ghandy
Gulli, Bochum, 25. Oktober 2008
Original: http://www.gulli.com/news/deutsche-telekom-yello-strom-2008-10-25/