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Heftige Kritik an präventiver Telekommunikationsüberwachung

Datenschützer und Rechtsanwälte haben heute bei einer Anhörung im Mainzer Landtag prinzipielle Einwände gegen den Entwurf für die umstrittene Novelle des Polizeigesetzes in Rheinland-Pfalz erhoben. Im Mittelpunkt der Kritik stand neben dem von den Ermittlern gewünschten Zutrittsrecht zu Wohnungen bei schweren Straftaten vor allem die geplante Einführung der "präventiven" Telefonüberwachung. Der Landesdatenschutzbeauftragte in Rheinland-Pfalz, Walter Rudolf, sah dieses Begehren der Strafverfolger als unbegründet an. Bei derartigen Einschnitten in die Grundrechte, wie sie Eingriffe ins Fernmeldegeheimnis darstellen, dürfe man nicht mit schwammigen Begriffen wie "Tatverdacht" kommen. Zudem müssten Betroffene von Abhörmaßnahmen nach Ablauf der Spitzeltätigkeiten auch dann über diese informiert werden, wenn verdeckte Ermittler beteiligt waren.

Die Mainzer Landesregierung war für ihren Vorstoß hin zum Überwachungsstaat, den beispielsweise die Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD) in dem Gesetzesentwurf sieht, erst kürzlich mit dem Big Brother Award ausgezeichnet worden. Die DVD wendet sich in einer aktuellen Erklärung dezidiert gegen die Behauptung des federführenden Innenministeriums, mit dem vermeintlichen "Anti-Terrorgesetz" Bedürfnisse des Datenschutzes sogar zu befördern. Tatsächlich erweitere der Entwurf "vor allem die Lausch-, Späh- und Abhörbefugnisse der Polizei gegen Unverdächtige". Er verlagere zudem die Bekämpfung von Straftaten von der Justiz auf die Polizei und entziehe sie damit der Kontrolle der Staatsanwaltschaften. Angesichts der Tatsache, dass Deutschland schon heute zu den Weltmeistern beim Abhören gehöre, sieht die DVD die leichtfertige Erweiterung von Überwachungsbefugnissen als schweren Rückschlag für den Datenschutz.

Scharfe Kritik kommt auch vom Deutschen Anwaltverein (DAV). Bereits nach bisher geltendem Recht sei die Telekommunikationsüberwachung in einem sehr frühen Stadium möglich, erklärte Hartmut Kilger, Präsident des DAV. Aus Sicht der Anwaltschaft seien keine Fälle denkbar, in denen die Möglichkeiten der Strafprozessordnung nicht ausreichen. Das Argument der Befürworter der präventiven Überwachung, wonach diese in Notfällen zur Rettung von vermissten Personen dienen könnte, lässt Kilger nicht gelten: Wenn dies tatsächlich erforderlich sei, "sollte man allein dafür eine spezielle gesetzliche Regelung schaffen und nicht weiter allgemein in die Rechte der Bevölkerung eingreifen."

Angesichts der Kritik will die SPD-Fraktion im Landtag noch einige Änderungsanträge einbringen, bevor das Gesetz -- voraussichtlich Anfang nächsten Jahres -- zur Verabschiedung kommen soll. Sie dürften jedoch eher kosmetischer Natur sein. So erklärte Karsten Pörksen, innenpolitischer Sprecher der Fraktion, gegenüber heise online, dass beispielsweise die Grenze für den Einsatz der präventiven Überwachung etwas höher gesetzt werden soll. Es müssten zumindest "durch Tatsachen begründete Anhaltspunkte" vorliegen. Die SPD wolle sich zudem für Ausnahmen bei Trägern von Amtsgeheimnissen wie Journalisten, Pfarrern oder Anwälten stark machen.

Das von Herbert Mertin (FDP) geleitete Justizministerium hat inzwischen keine prinzipiellen Einwände mehr gegen den weitgehenden Entwurf. "Wir haben nach einer intensiven Prüfung keine verfassungsrechtlichen Bedenken mehr", erklärte Ministeriumssprecher Fabian Scherf gegenüber heise online. Wichtig sei seinem Haus vor allem gewesen, dass die Polizei nicht -- wie zunächst gefordert -- von sich aus abhören darf. Eine Studie der Universität Bielefeld (PDF) hatte vor einem Jahr allerdings nahe gelegt, dass die nun wieder zu Ehren kommenden Ermittlungsrichter die Anträge der Staatsanwaltschaften häufig nicht exakt prüften und mehr oder weniger durchwinkten. (Stefan Krempl) / (anm/c't)

Heise Online, 13. November 2003
Original: http://www.heise.de/newsticker/data/anm-13.11.03-000/

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