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Was war. Was wird.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau[1] ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Der Mensch ist ein Pfeil, der zu seiner Geburt abgeschossen wird und zum Tod das Ziel trifft", notierte das Geburtstagskind Doris Lessing[2] in ihren Tagebüchern. Daraus lassen sich verschiedene melancholische Schlüsse ziehen. Der einfachste, der optimistische lautet: Wir fliegen. Wir fliegen schnell an den Dingen vorbei, die zurückbleiben müssen, wie Lurchi[3]. So sehr sich kampfbannernde Blogger auch bemühen und die Trolle von Troy beschwören, das Unheil aufzuhalten, der Lurch muss gehen.

*** Gut geht es heute eigentlich nur den Playmobil-Klickies[4], die Geburtstag feiern und von illiesierenden Edelfedern als das Wichtigste bezeichnet werden, was einer Generation[5] passieren konnte, gärtnern[6] inklusive. Wer jetzt fragt, ob ich senil geworden bin, der werfe den ersten Legostein. Denn ganz gräßlich geht es dem Lego[7], das gegen die Computerspiele verloren hat. Selbst das von Papst Papert[8] mitgeschaffene Mindstorms[9] soll sich als Flop bei der Anstrengung erwiesen haben, die Kinder vom Computer wegzulocken. Dabei war es einfach nur zu teuer und zu groß, ein Fressen für Diplomarbeiten mit einem Dutzend RCX unter BrickOS. Bei den Kindern täuschte man sich kräftig, dass sie nur das bauten, was die Anleitungen hergaben und nicht eben mal ein Proto-Roboterchen, das Rubik's Cube[10] richtig zusammendreht.

*** Das Älterwerden hat komische Nebeneffekte. So, wie man auf einmal nicht mehr Lurchi liest, so verschwinden Viagra, Vicodin, Cialis und rein pflanzliche Stangenmacher aus der Inbox und man wird von einer Mailwelle handgearbeiteter italienischer Rolex-Imitate geflutet, was das Zeug hält. Bleibende Werte sind offensichtlich gefragt beim Älterwerden -- doch wieso weiß das jeder Spammer von mir? Und was kommt nach der guten Rolex[11], kurz vor dem Aufschlag auf der großen Zielscheibe? Man mag es am knochenbrechenden Castro[12] sehen, für den es nur Sozialismus oder den Tod geben kann. Und man mag sich entrüsten, wenn die mächtige Maut-Kommissarin Palacio hofft, dass Castro endlich stirbt. Wie passend fällt da bei der FAZ mit "Geist im Alter" (nur auf DRM-getränkten e-Paper[13] zu lesen) die verschlüsselte Ehrung des Maximo Leader aus.

*** Auf den Münchener Medientagen[14] wurde viel über die Digitalisierung geredet. Ganz groß kam der Amerikaner Jeremy Rifkin[15] heraus, der die Digitalisierung als große Chance für Europa feiert. Die Welt steht für Rifkin am Wendepunkt ihrer Geschichte und das kleine Europa wird die Welt schon führen. Da fliegen wir gleich doppelt so weit und lassen digital die Amerikaner hinter uns, bei denen Bush und Kerry über Computer und Digitalien[16] sich einfach nur wenden und winden, nicht aber punkten können.

*** Warum ist eigentlich Europa so viel besser dran, wenn doch das Internet von Al Gore[17] erfunden wurde, als bei uns ein Helmut Kohl die Datenautobahnen noch zur Ländersache erklärte? Die einfache Antwort liegt in der Frage, wem das aufregende Spielzeug gehört und wer die Regeln bestimmt, wenn überall Digitalisierung gepredigt wird. In aller Härte hat dies ein anderer Amerikaner in der Woche formuliert. Michael Powell[18], der Chairman der Regulierungsbehörde FCC, sagte deutlich, was Bill Gates in seinem Mediencenter noch nicht so laut auszusprechen wagt. Er formulierte in seiner Rede[19], ganz in der Tradition von Richard Stallman, die vier Stadien der Freiheiten, die willfährige Konsumenten noch haben. "Freedom to Access Content, Freedom to Use Applications, Freedom to Attach Personal Devices, Freedom to Obtain Service Plan Information", das sind die Optionen, die uns allen bleiben, wenn die Digitalisierung am Ende ist. Wem der Content gehört, wer Content produzieren und kopieren darf, was die Applications alles mit den Konsumenten machen, wie Personal Devices die Inhalte absichern, all das fehlt im großen Service Plan. Dann lieber einen Haare spleißenden Stallman[20], der die vier Freiheiten[21] anders definierte.

*** Mitten im aufstrebenden, von Rifkin bewunderten Europa, liegt Deutschland, von vier Großprojekten heftig geplagt und gezwickt. Da gibt es die LKW-Maut, die vorzüglich[22] generalprobt und saisonale Arbeitsmarktpolitik mit Mautberatern betreibt. Doch warum sollten diese nicht den gehetzten Truckern dauerhaft zur Seite stehen, als MautterminalentlasterInnen? Das Ganze ausgebaut zum Lehrberuf, denn es bedarf schon guter Kenntnisse, inklusive einer akademischen Grundausbildung, die richtige Route einzutüten. Die besten Explorateure haben dafür gerade den von DaimlerChrysler bezahlten Hans-Jürgen-Ewers-Preis[23] bekommen. Auf die Maut folgt die elektronische Gesundheitskarte[24], die sagenhafte Einsparungen bringen soll, wenn erst einmal ein oder zwei Milliarden Euro durch den Schornstein gefeuert sind. Dann gibt es noch eine nach wie vor nicht richtig funktionierende Software für die beschleunigte Verarmung ganz unten, A2ll[25] genannt. Auf beiden Seiten, beim Antragsteller wie bei den geschulten Antragsstellerbearbeitern wartet man gespannt auf die "Volllast". Das letzte Dickschiff -- die Bundeswehr[26] übergehe ich heute -- ist die neue Polizei[27], zunächst einmal als reine Softwarelösung zum Aushorchen[28] der Bürger konzipiert.

*** Heute vor 75 Jahren[29] verloren viele Amerikaner viel Geld und alle Amerikaner vorübergehend ihre Identität[30]. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten entdeckte man die Möglichkeit, 26 Milliarden Dollar in wenigen Tagen zu vernichten. Das Platzen der Dotcoms war nichts gegen die Erfahrung von damals, die in vor allem in Bildern fest in das kollektive Gedächtnis eingebrannt ist. Hastende Börsenmakler und hungernde Kinder, Kapitalismus pur. Der große Bix Beiderbecke[31] verlor sein Vermögen und starb im Suff.

Was ist eigentlich ein Mensch? Weiß ich, was ein Mensch ist? Weiß ich, wer das weiß! Ich weiß nicht, was ein Mensch ist Ich kenne nur seinen Preis.

schrieb Bertolt Brecht in seinem "Song von der Ware" zum Crash im Jahre 1930. Bis zur negativen Fabrik[32] Auschwitz war es da nicht mehr weit.

*** Zurück nach Amerika, die aktuelle Wochenschau hat da noch etwas zu berichten. Es geht um die Anstrengungen der Firefoxler[33], Geld für eine Anzeige in der New York Times zu sammeln, die zum Start des Browsers am 9. November erscheinen soll. Am Freitag waren über 100.000 Dollar beisammen, genug Geld, um die Anzeige[34] mehrmals erscheinen zu lassen. Ohnehin ist Firefox längst dabei, die Uralt-Rekorde von Netscape[35] zu brechen. Kommt die nächste Blase, die Jubelei, das Business 3.0[36]? Der undimmerwiedergehtdiesonneauf-Jürgens?

Was wird.

Was kommt, sind Preise[37] fast ohne Ende, bei den Kaaskoppen heute, den Almdudlern übermorgen und den Piefkes zum Wochenende hin. Es gibt Zeitgenossen, die die Verleihung im Namen Orwells einfach nur peinlich finden und andere, die über die jeweiligen Kategorien und Zuordnungen die Nase rümpfen. In Österreich wehrt sich Microsoft kräftig, ausgerechnet in der Frage der Software-Patente nominiert zu werden -- weil alle in der Branche die Patente nutzen. Die Nachricht ist insofern wichtig, weil Microsoft im Gegensatz zu anderen Firmen den Preisen wirklich Beachtung schenkt und Vertreter zu den Preisverleihungen schickt. Zu hoffen ist, dass die neu nominierten, den Datenschutz und die Privatsphäre verletzenden Software-Firmen zumindest reagieren und sich darüber Gedanken machen, welche Folgen etwa ein schnuckeliges Tool[38] hat, das einen von mehreren Personen benutzten Rechner durchsucht, ohne sich um Nutzerrechte und versteckte Verzeichnisse zu kümmern. Die Warnung vor dem Großen Bruder mag pathetisch klingen und der moralisch korrekten Schaumsprache des Gutmenschen entstammen, doch die Wirkungen der Datenschnüffelei werden immer in kleiner Münze ausgezahlt. Wer etwas wirklich Großes tun will, soll doch bitte einen Elefanten waschen.

Und wer jetzt hier an dieser Stelle meint, sich über Bielefeld, wo der deutsche Big Brother Award verliehen wird, auslassen zu müssen, der hat noch nicht Radevormwald[39] besucht, wo SIE[40], ja SIE eingefallen[41] sind und ihr Unwesen treiben[42].

Eine wahnnsinnige Woche wünscht der fliegende Pfeil Hal Faber[43].

(jk[44]/c't) (jk/c't)

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[1] http://www.heise.de/newsticker/meldung/7887

[2] http://www.feministische-sf.de/einzelne_autorinnen/fsf_doris-lessing.html

[3] http://www.blognroll.com/entry.php?id=01168

[4] http://www.faz.net/s/RubCD175863466D41BB9A6A93D460B81174/Doc~e2FD763A3CD824AEFB9D3CE8B6D8EB253~aTpl~ecommon~scontent.html

[5] http://www.playmobil.de/is-bin/INTERSHOP.enfinity/eCS/Store/de/-/DEM/PM_ViewAbout-Start;?PM_Template=Static%2fpresse%2fgeburtstagstour_presse%2eisml&PHL=Geburtstagstour&PLS=0

[6] http://www.suedkurier.de/nachrichten/bawue/art1070,1197293.html

[7] http://www.taz.de/pt/2004/10/23/a0141.nf/text

[8] http://www.papert.org/

[9] http://mindstorms.lego.com/eng/default.asp

[10] http://www.heise.de/newsticker/meldung/21868/

[11] http://www.rolex.com/

[12] http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?channel=p&ressort=a&id=448720

[13] http://www.heise.de/newsticker/meldung/52465/

[14] http://www.heise.de/newsticker/meldung/52353/

[15] http://www.szon.de/news/multimedia/aktuell/200410220745.html

[16] http://www.comptia.org/pressroom/election_2004.aspx

[17] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/1390/1.html

[18] http://www.heise.de/newsticker/meldung/52343/

[19] http://hraunfoss.fcc.gov/edocs_public/attachmatch/DOC-253325A1.txt

[20] http://www.sti-ev.de/

[21] http://www.linuxwiki.de/FreieSoftware

[22] http://www.heise.de/newsticker/meldung/52323/

[23] http://idw-online.de/public/zeige_pm.html?pmid=87592

[24] http://www.heise.de/newsticker/meldung/52459/

[25] http://www.heise.de/newsticker/meldung/52454/

[26] http://www.geopowers.com/index.html

[27] http://www.freitag.de/2004/44/04440402.php

[28] http://www.freitag.de/2004/44/04440401.php

[29] http://www.boersendschungel.de/htdocs/crash3.php

[30] http://www.freitag.de/2004/44/04441701.php

[31] http://de.wikipedia.org/wiki/Bix_Beiderbecke

[32] http://titus-stahl.ecommunics.org/texte/antisemitismusdeutschearbeit.php

[33] http://www.heise.de/newsticker/meldung/52355/

[34] http://www.prweb.com/releases/2004/10/prweb169813.php

[35] http://www.heise.de/newsticker/meldung/52148/

[36] http://business2.texterity.com/business2/200410/

[37] http://www.heise.de/newsticker/meldung/52463

[38] http://www.heise.de/newsticker/meldung/52236

[39] http://de.wikipedia.org/w/wiki.phtml?title=Radevormwald&diff=0&oldid=2974854

[40] http://de.wikipedia.org/w/wiki.phtml?title=Benutzer_Diskussion:J%C3%B6rg_Kopp&diff=2980558&oldid=2980414

[41] http://de.wikipedia.org/w/wiki.phtml?title=Benutzer_Diskussion:J%C3%B6rg_Kopp&diff=2980972&oldid=2980830

[42] http://www.radenet.de/index.php?option=content&task=view&id=338&Itemid=2

[43] mailto:hal@heise.de

[44] mailto:jk@ct.heise.de

Hal Faber

Heise Online, Hannover , 24. Oktober 2004
Original: http://www.heise.de/newsticker/meldung/52467

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