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Big Brother Awards Austria (nicht nur) für österreichische Datenkraken

Dienstagabend wurden zum siebten Mal die österreichischen Big Brother Awards verliehen. Damit werden jährlich jene ausgezeichnet, die sich durch besondere Gier nach Daten und Überwachung hervorgetan haben. Die neuen Preisträger sind Blizzard Entertainment, die Reinigungsfirma ASSA, die österreichische Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat, die österreichischen Richter sowie das Zentrale Melderegister. Die Volkswahl entschieden die Wiener Linien für sich, die auf deutlich gesunkene Kriminalitätsraten mit Videoüberwachung in U- und Straßenbahnwaggons reagieren. Mit dem Positivpreis Defensor Libertatis wurde das Europäische Parlament bedacht. Es habe "trotz geballter Lobbymacht geschlossen gegen den Entwurf zur Patentierbarkeit von Software und gegen die Weitergabe von Flugdaten an die USA gestimmt", erklärte die Jury. Während die ungeliebten Preisträger einen goldenen Plumbo erhalten, dürfen sich die Parlamentarier über eine aktuelle Debian-Distribution freuen.

In der Kategorie "Business und Finanzen" wurde mit der Putzfirma ASSA ein "Brancheninnovator von Spucknapfreinigung bis zu Biometrie" (Eigendefinition) bedacht. Das Unternehmen installiert Fingerabdrucksensoren, die das Reinigungspersonal benutzen muss, um in die und aus den zu reinigenden Gebäuden zu gelangen. Außerdem werden DNA-Proben aller Putzenden genommen. "Das Reinigungspersonal, das nahezu ausschließlich aus den östlichen Nachbarräumen stammt und tendenziell zu den potenziell zu überwachenden Religions- und Glaubensgruppen zählt, wird von ASSA einem besonders strengen und selektiven Auswahlverfahren unterzogen", heißt es auf der Website der Firma, die sich der Dienste Wolfgang Bachlers bedient. Der Mann war früher Chef der österreichischen Anti-Terror-Einheit Cobra.

Nominiert waren hier unter anderem die TIWAG für den Versuch, einen Kritiker mundtot zu machen, der Schlecker-Drogeriemarkt für die Bespitzelung von Mitarbeitern sowie die Uniqa-Versicherung.

Im Bereich Politik siegte Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (ÖVP), die mit ihrem Gesundheitstelematikgesetz den "gläsernen Patienten samt Alkoholikerdatenbank" schaffe. Sie wolle den umfassenden Austausch sensibler Daten zwischen Ärzten, Versicherungen, Behörden, Labors, Betriebsärzten usw. einführen. "Diese Daten umfassen auch Lebensgewohnheiten, Hobbies, Sexualpraktiken, psychiatrische Diagnosen (...)", begründet die Jury. Zudem müssen Ärzte bei der für Patienten kostenlosen Vorsorgeuntersuchung Neu "Details über die Untersuchung (z.B. Blutwerte) oder auch Alkoholkonsumverhalten (Fragebogen) personenbezogen und computerverwertbar an die Sozialversicherungen weiterleiten."

In dieser Kategorie musste die Jury besonders viele Kandidaten ausscheiden; von elektronischen Fußfesseln für Asylsuchende (FPÖ Burgenland), über die Unterstützung einer Datenspeicherpflicht (SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer), bis zu DNA-Proben von Hundehaltern und deren vierbeinigen Freunden (ÖVP Hernals) spannt sich der Bogen.

Bei "Behörden und Verwaltung" gewannen die österreichischen Richter. "Die Anzahl an Handy- und Telefonauswertungen explodierte in den letzten Jahren, mit bescheidenen Erfolgsraten. Zu leichtfertig werden solche Überwachungsverordnungen erteilt", heißt es in der Begründung. Für große Heiterkeit im Auditorium sorgte die römisch-katholische Kirche, die wegen Fingerabdrucksensoren im St. Pöltner Priesterseminar nominiert war. Diese sollen Novizen davon abhalten, unkeusche Webseiten aufzurufen.

In der Sparte Kommunikation hat sich überraschend nicht die Digital Rights Management Allianz, sondern die Vivendi-Tochter Blizzard Entertainment durchgesetzt. Mit der Installation deren Spiels World of Warcraft akzeptiert man, dass die Warden-Software künftig den Kundenrechner bespitzelt. Bereits die Nominierung hatte für ausführliche Diskussionen in der WoW-Community gesorgt.

Der Lifetime-Achievement-Award schließlich ergeht an das Zentrale Melderegister. Dort werden nicht nur alle Personen, die in Österreich Unterkunft nehmen, erfasst, sondern die Daten werden auch weiterverkauft. "Sollte es in diesem Land je wieder zu Putschen, Machtergreifungen etc. kommen -- wer kann das ausschließen -- wird die Opposition in Rekordzeit erfasst, lokalisiert, verhaftet und interniert werden", fürchtet die Jury.

Veranstalter der österreichischen Big Brother Awards sind der Verein zur Förderung Freier Software (FFS) mit der quintessenz und dem Verein für Internet-Benutzer (vibe.at). Alle Nominierungen samt Begründung sind online abrufbar. Noch diese Woche werden die deutschen, tschechischen und schweizerischen Big Brother Awards verliehen.

Daniel AJ Sokolov

Heise Online, Hannover, 26. Oktober 2005
Original: http://www.heise.de/newsticker/meldung/65374

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