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Big Brother Awards: Deutschland, einig Datenland

In diesen Minuten am heutigen Freitagnachmittag beginnt in Bielefeld die feierliche Bekanntgabe der Preisträger des deutschen Big Brother Awards 2005. Zum sechsten Mal werden Personen, Verbände und Firmen mit dem Negativpreis ausgezeichnet, weil sie das informationelle Selbstbestimmungsrecht der in Deutschland lebenden Menschen missachteten. Die feierliche Veranstaltung im Stil der Oscar-Verleihung, bei der die Laudationen mit Musik und Kabarett aufgelockert präsentiert werden, sollte auch als Live-Stream zu sehen sein. Für Leser, die gleich ins Wochenende starten wollen, folgt hier eine erste Zusammenfassung zu den Preisträgern.

Mit einem neuen Rekord bei den Nominierungen, die den Juroren jeweils sechs dicke Aktenordner für das Heimstudium bescherte, zeichnete sich frühzeitig ab, dass es keinen Mangel an Preiskandidaten gibt, die fragwürdigen Datenschutz praktizieren. Die allgemeine Stimmung im Deutschland des Jahres 2005 brachte der scheidende Superminister Wolfgang Clement, mit Hartz IV selbst ein preisverdächtiger Datensammler, auf den Punkt, als er sich zu seinen Zukunftsplänen im WDR äußerte: "Ich bin ein freier Mensch und werde jetzt von meinen Freiheitsrechten Gebrauch machen – und zwar ausgiebig –, natürlich nur in dem Rahmen, den Otto Schily mir noch zur Verfügung stellt ..."

So verwundert es nicht, dass der ebenfalls aus dem Amt scheidende Innenminister Otto Schily in diesem Jahr den Preis für sein Lebenswerk bekommt. Für die von ihm eilig durchgesetzten biometrischen Reisepässe, für seine Mitarbeit am Großen Lauschangriff, für die europaweite Verschärfung der Antiterror-Gesetze und nicht zuletzt für seine Kritik am Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar dankt ihm die Jury mit dem "Lifetime Award".

Otto Schily ist nicht der einzige Politiker unter den Preisträgern des Jahres 2005. Für die Auflösung der Datenschutzaufsicht in Niedersachen bekommt der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff den Preis in der Kategorie "Behörden und Verwaltung". Mit der Verschärfung des hessischen Polizeigesetzes, das unter anderem die automatische Nummernschild-Erfassung, den Einsatz der Videoüberwachung bei Personenkontrollen und die Forderung nach einer DNA-Analyse bei straffällig gewordenen Kindern unter 14 Jahren enthält, sichert sich der hessische Innenminister Volker Bouffier zum zweiten Male nach 2002 den Preis in der Kategorie "Politik". Mit dem schleswig-holsteinischen Generalstaatsanwalt Erhard Rex ist ein weiterer Staatsvertreter dabei. Als Leiter der Staatsanwaltschaften in Kiel und Lübeck bekommt Rex den Preis in der Kategorie "Kommunikation" für den Einsatz der Funkzellen-Massenabfrage bei der Verfolgung von Straftaten im Juni und Juli 2005. Bei der Aufklärung einer Brandstiftung in Bad Segeberg mussten alle Mobilfunkanbieter die Daten aller Kunden in einer Funkzelle der Staatsanwaltschaft überlassen, die daraufhin 3000 Personen einen Verhör-Fragebogen schickte.

In der Kategorie "Wirtschaft" geht der Preis überraschenderweise nicht an eine Firma der Computerbranche oder ein datensammelndes Unternehmen der Konsumgüterindustrie, sondern an die Saatgut-Treuhand-Verwaltungsgesellschaft. Sie hatte dem Gentechnik-Unternehmen Europlant die Daten von 2500 Bauern übergeben, die mutmaßlich die Kartoffelsorte Linda anbauten. Die Daten der Bauern hatte die Saatgut-Treuhand als bundesweite Inkasso-Stelle für Saatzucht-Lizenzen nach eigenen Angaben von verschiedenen Telefon-CDs zusammengesucht. Wie andererseits die Daten der Schulanfänger der Grundschule Ennigloh an die Volksbank Bad Oeynhausen und die Sparkasse Herford gelangten, ist nicht vollständig geklärt. So müssen sich Schule und Banken den Big Brother Award in der Kategorie "Regionals" dafür teilen, dass die Adressdaten von Schulanfängern beim Vermarkten von "Schülerkonten" missbraucht wurden.

Eine Art Sammelpreis ist im Jahre 2005 auch in der Kategorie "Technik" fällig, der an alle Firmen, Behörden und Verwaltungen verliehen wird, die unbedenklich die Videoüberwachung ausweiten. Eine besondere Erwähnung geht dabei an den Computerhändler Gravis, der heimlich aufgenommene Videoaufnahmen von Kunden im Internet veröffentlicht haben soll, um Ladendiebe zu enttarnen – komplett mit iPod-Gewinnspiel für sachdienliche Hinweise. Zu guter Letzt ist der Vorschlag zu nennen, der am häufigsten nominiert wurde und damit zu einem ungefährdeten Heimspiel-Sieg führte: Die mit RFID-Technik ausgestatteten Eintrittskarten der Fussball-WM 2006 bringen dem Organisationskommittee unter Franz Beckenbauer den Big Brother Award in der Kategorie "Verbraucherschutz".

Nach den deutschen und den bereits vergebenen österreichischen Big Brother Awards stehen noch die Schweizer Preisträger aus, die am morgigen Samstag ausgezeichnet werden. Unter Big Brother Awards International hält der deutsche Veranstalter FoeBuD eine Liste aller Länder bereit, die den zunehmend unbeliebteren Preis verleihen.

Detlef Borchers

Heise Online, Hannover, 28. Oktober 2005
Original: http://www.heise.de/newsticker/meldung/65518

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