Als einziger Preisträger der aktuellen Big Brother Awards hat Gert G. Wagner, Vorsitzender der Zensuskommission den "Überwachungsoscar" entgegengenommen. In seiner "Dankesrede" monierte Wagner, dass die Jury in Bielefeld offenbar in einem Paralleluniversum lebe und völlig verkenne, dass es beim Zensus 2011 darum gehe, Gerechtigkeit beim nationalen und europäischen Zahlungsausgleich herzustellen. Mit der Betonung auf die gesetzgeberisch vorgeschriebene Pflicht zum Zensus erntete Wagner wenig Beifall, fand aber doch Anerkennung für sein Kommen.
Wagner kritisierte zunächst, dass er relativ spät von der Auszeichnung erfahren und die Laudatio auf den Zensus nur eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung bekommen habe. Dies entspräche nicht den demokratischen Gepflogenheiten. Das vom Gesetzgeber nach EU-Vorgaben beschlossene Verfahren des Zensus sei eine kulturelle Leistung, die in einer Demokratie für mehr Verteilungsgerechtigkeit sorge. Zum Unmut des Publikums verglich Wagner den Zensus mit der allgemeinen Schulpflicht, die für die Grundausbildung des Bürgers zuständig ist. Überdies würden von den Statistikern nur wenige Variablen des Zensus in eine Datenbank kopiert, die dann über vier Jahre hinweg vollständig anonymisierte Daten zur Verfügung stelle. Diese Daten seien auf sicheren Computern gespeichert und nicht über das normale Internet erreichbar.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, dessen Vorsitzender Gert G. Wagner ist, veröffentlichte eine Pressemitteilung zum Preis (PDF-Datei). Darin heißt es in einer abgewandelten Definition der Neusprech von Big Brother: "Außerdem leben wir nicht in Orwells totalitärem Ozeanien, sondern in einer demokratischen Republik mit für diesen Fall sehr genauen und vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Gesetzen. Wenn wir unbedingt bei Orwells Sprache bleiben wollen, gilt also: Unser Big Brother, der Zensus, ist kein Diktator, sondern schafft Gerechtigkeit." (Detlef Borchers) / (ad)
Detlef Borchers
Heise Online, Hannover, 03. April 2011
Original: http://www.heise.de/newsticker/meldung/Zensus-2011-Wir-sind-kein-Big-Brother-sondern-Gerechtigkeitsdienstleister-1220732.html