Die Show mit dem Zauberer Pit Hartling ist vorüber, der Text über die Gala mit der Preisverleihung darf ins Netz und die immer wieder reizvolle Frage stellt sich, ob die Firmen aus den Negativpreisen für die schlimmsten "Datenkraken" ihre Lehre ziehen. Zumindest Apple Deutschland, einer der Gewinner des Jahrgangs 2012/2013 soll nach Angaben des Veranstalters digitalcourage reagieren können. Die Firma hatte vor der Verleihung der Awards die zu kleinen Hinweisschilder auf die Videoüberwachung in den Läden von Dackelaugenhöhe auf Hüfthöhe versetzt. Eine Installation auf Augenhöhe, wie von Datenschutzbeauftragten gefordert, verstößt gegen die bestens geschützten Designvorschriften für Apple Stores.
Die Apple Retail Germany GmbH gewann den Big Brother Award jedoch nicht in der Kategorie Schauwelten für ihre Läden, für die noch Steve Jobs den Marmor der Treppen ausgesucht hat. Der redlich erkämpfte Preis der Kategorie "Arbeitswelt" ging darum an Apple, weil eine "besonders dreiste Form der Videoüberwachung" der Mitarbeiter in den Läden installiert wurde. Wie die Jury des Big Brother Award befand, werden nicht nur die Verkaufsräume und Lagerräume überwacht, was zulässig ist, sondern auch die Personalräume, der Raum des Laden-Managers und der "Genious Room", in dem die Reparaturtechniker der Stores sitzen. Apple will alles sehen und das ist eine in Deutschland verbotene permanente Videokontrolle von Beschäftigten in allen Betriebsräumen. Zudem werden die Videobilder laut Recherchen der Süddeutschen Zeitung in London kontrolliert und 30 Tage lang gespeichert, was deutschen Datenschutzvorschriften widerspricht.
Dass Apple-Mitarbeiter zusammen mit dem Arbeitsvertrag eine Einverständniserklärung zu dieser Schnüffelpraxis vorgelegt wird, ist ein weiterer schwerer Fehler. Nach dem deutschen Arbeitsrecht muss eine solche Erklärung – die zumindest die Videokontrolle im Ausland aus der Grauzone holt – freiwillig unterschrieben werden und darf nicht an einen Arbeitsvertrag gekoppelt sein. Gleich mehrfach ein würdiger Preisträger, komplettiert nach Ansicht der Jury das Stellenportal von Apple Retail die Auszeichnung: "Werde Teil von etwas Großem", das ist eine Aussage die an George Orwells 1984 herankommt, wo es zum Schluss heißt: "Er hatte den Sieg über sich selbst errungen. Er liebte den Großen Bruder."
Apple selbst arbeitet sich mit dem Big Brother Award 2013 an den Lebenswerk-Preis heran, den bisher nur wenige wirklich große Brüder wie Wolfgang Schäuble, Microsoft und die GEZ erreichen konnten: für die "Geiselnahme" ihrer Kunden durch teure Hardware und die "zweifelhaften Datenschutzbestimmungen" erhielt die Apple GmbH vor zwei Jahren schon einen Big Brother Award.
Kaum ist die GEZ mit ihrem Lifetime-Award Geschichte, da holt sich der neue Beitragsservice der Rundfunkanstalten einen Big Brother Award in der Kategorie "Politik" – schließlich handelt es sich ja beim Rundfunkbeitrag um eine "Demokratieabgabe", wie einer sagte, der es wissen muss. Die Jury störte sich nicht nur an dem höchst problematischen Abgleich der Adressdaten mit den Meldeämtern, sondern auch an der Datenübernahme vom alten Datenkraken GEZ.
Ganz besonders perfide ist aber die rechtliche Struktur des Beitragsservices, jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes: Der Service ist als "nicht rechtsfähige Gemeinschaftseinrichtung der Rundfunkanstalten" definiert. Damit ist er keine eigene Firma, sondern ein Teil der Landesrundfunkanstalten. Mit diesem juristischen Kniff umgehen die öffentlich-rechtlichen Anstalten, die immense Datenversammlung als "Auftragsdatenverarbeitung" nach Paragraph 11 des Bundesdatenschutzgesetzes kontrollieren zu müssen, für die strengere Regeln gelten als für die hauseigene EDV.
Dank der juristischen Feinarbeit, die derzeit noch vom Verwaltungsgericht Berlin geprüft wird, ist der Beitragsservice ein alter Datenkrake im neuen Gewand. Es entbehrt nicht der Ironie, dass ausgerechnet der schleswig-holsteinische Datenschützer Thilo Weichert in seiner Laudatio zum Lifetime Award der GEZ im Jahre 2003 ein "einfaches pauschales Finanzierungsmodell ohne aufwendige Überwachung" forderte. Nun ist die Haushaltspauschale da – mit mehr Überwachungsmöglichkeiten beim Adresseneinsammeln und weniger Kontrollmöglichkeiten bei der Datenverarbeitung als zuvor. Die Datenschützer haben nicht geschlafen, aber ihr Protest ist ignoriert worden, eine bedenkliche Tendenz.
Bedenklich auch die Praxis der Bundespolizei, verdachtsunabhängig verstärkt Personen zu kontrollieren, die die "falsche" Hautfarbe haben. Dieses Racial Profiling ist vom Oberverwaltungsgericht Koblenz für unzulässig erklärt worden, wird von Beamten aber immer wieder ignoriert. Aus diesem Grunde ist der Preis des Jahres 2013 in der Kategorie "Behörden und Verwaltung" mehr als verdient und sollte von der Bundespolizei mit Freuden als Wink aus der Vergangenheit entgegengenommen werden. Schließlich versucht man ja, mit der Image-Kampagne Respekt! das Bild zurechtzurücken.
Auch die Deutsche Post Adress GmbH & Co. KG kann sich über den Big Brother Award 2013 freuen, den sie in der Kategorie "Wirtschaft" erhält. Mit dem Preis "würdigt" die Jury die "wohl mächtigste Adressdatenbankfamilie", die Dank des Umzugs- und Umleitungsservice der deutschen Post im Laufe der Jahre aufgebaut wurde. Das, was Bundesbürger als einfachen Nachsendeauftrag an Daten freigeben, wird von der Adress-Tochter der Deutschen Post unter so sinnigen Namen wie Postaddress Move oder MoversPlus und, besonders hübsch PostAdress Clean für die Suche nach Verstorbenen vermarktet. Das mit dem neuesten, zur CeBIT vorgestellten Service ePostscan ein weiteres Datenbrünnlein angebohrt wurde, könnte der Deutschen Post noch Folgepreise bescheren.
In der neuen Kategorie "Globales Datensammlen" wurde in diesem Jahr der wohl spektakulärste Big Brother Award verliehen. Ihn bekommt Google, weil es längst keine harmlose Suchmaschine mehr ist, sondern der größte private Datensammler der Welt, der die Daten missbraucht, um mit ihnen als größte Werbeagentur Geld zu scheffeln. Google verwende mindestens 57 Kriterien, um jeden Menschen zuverlässig identifizieren zu können, angefangen bei der IP-Adresse, dem Browser und Betriebssystem, der Bildschirmauflösung und den installierten Schriften bis hin zu dem Merkmal, wie oft sich jemand bei der Eingabe von Suchnamen vertippt.
"Google weiß, wer wir sind, wo wir gerade sind und was uns wichtig ist." Für die Jury ist Google weder der freundliche Türsteher noch gar der Vorkämpfer für Internetfreiheit, sondern ein ganz besonderes trojanisches Pferd, bei dem die Menschen aus der Erfahrung lernen müssten. Auf den Datenkraken Google gibt es nach Aussage der Jury nur eine Antwort: "Google zerschlagen". Besonders eindringlich ist der Appell der Jury an die Politik und Bürger geraten, denn beim Kampf gegen Google gehe es "es um Grundrechte, die nicht verhandelbar sind. Es geht um Gemeinwohl und Demokratie."
Als netzpolitische Bewegung, für die Digitalcourage, der neue Name des Veranstalters, ja Programm ist, ergeht der Appell auch an die "eigenen Reihen". So heißt es: "Und wir? Uns trifft zumindest Mitschuld, dass wir uns so einfach einwickeln lassen. Für unsere Blauäugigkeit, für unseren kleingeistigen Geiz, für unsere Haltung 'Ist mir doch egal, was da passiert, solange es mir nicht direkt schadet'. Wir verhalten uns wie Peter Schlemihl aus dem gleichnamigen Märchen."
Auf die Suchmaschine Google, auf Google und seine schein-schönen Engagements beim Leistungsschutzrecht oder der Finanzierung von universitärer Forschung zum Internet müsse man verzichten, weil Google eine einzige Grundrechtsverletzung darstelle, die die Demokratie bedrohe. Die Jury des Big Brother Awards hält sich in ihrer Begründung eng an das informationelle Selbstbestimmungsrecht, das seit den Protesten gegen die Volkszählung fester Bestandteil der deutschen demokratischen Kultur ist: "Wer sich ständig beobachtet fühlt und annimmt, dass die gespeicherten Informationen ihm oder ihr irgendwann schaden könnten, wird zögern, Grundrechte wie freie Meinungsäußerung oder Versammlungsfreiheit wahrzunehmen. Wenn das passiert, ist das keine Privatsache mehr, sondern das schadet der Allgemeinheit und einer lebendigen Demokratie."
Neben den mit einer Laudatio geehrten Preisträgern gingen viele Vorschläge ein, die zu einer tadelnden Erwähnung führten. Die Spannbreite der Datenschutzverletzungen reicht von der Finanzaufsicht BaFin, deren Beraterregister ein veritabler Bankerpranger ist, über die Telekommunikationsbestandsdatenauskunft bis hin zum WebOS, das in Smartphones von LG eingesetzt werden soll. Die allgemeinen Nutzungsbedingen, bei denen der Kunde zustimmen muss, alle persönlichen an den Hersteller abzuführen, gehören zum Alptraum aller Datenschützer. Erstmals wurde im Rahmen der Gala auch ein Wort mit einem Preis bedacht. In der Kategorie "Neusprech" gewann die wunderbar harmlose Übersichtsaufnahme, mit der die Berliner Polizei nach dem Versammlungsgesetz auch dann Demonstrationen filmen kann, wenn eigentlich ein Aufnahmeverbot herrscht.
Detlef Borchers
Heise Online, Hannover, 12. April 2013
Original: http://www.heise.de/newsticker/meldung/Big-Brother-Awards-2013-Zerschlagt-Google-1841162.html