"Big Brother Awards" - nein, da gibt es keine Preise für die Container-Sendung. Hier werden Firmen und Institutionen ausgezeichnet, die den Datenschutz oder die Privatsphäre verletzt haben. Bereits zum vierten Mal wird der "Negativ-Preis für Datenkraken" auf Initiative des Bielefelder FoeBUD (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs) an diesem Freitag verliehen. Rena Tangens, Organisatorin und Mitglied der Jury, sieht den Einfluss des Preises wachsen.
von Katrin Meyer, 24.10.2003
heute.online: Nach welchen Kriterien suchen Sie die "Gewinner" des "Big Brother Award" aus?
Rena Tangens: Es soll schon ein recht schwerwiegender Fall sein. Wir wählen sozusagen ein "Worst-Practice-Beispiel" aus von dem, was im vergangenen Jahr in Sachen Verletzung von Datenschutz und Verletzung der Privatsphäre von Bürgern passiert ist. Ein weiteres Kriterium ist, dass uns ein einzelner konkreter Missbrauchsfall weniger interessiert - wenn es sich um einen Einzelfall handelt - als der Aufbau von Strukturen, die wir für potenziell gefährlich halten. Zum einen weil dieses dann sehr viele Leute betrifft, zum anderen weil wir hier die Möglichkeit sehen, Einfluss auf die zukünftige Entwicklung zu nehmen. Denn wir wollen keine Leute oder Firmen anprangern, sondern wir möchten tatsächlich etwas erreichen - zum Beispiel, dass Firmen ihren Umgang mit persönlichen Daten von Bürgern ändern.
Wir haben eine sehr kompetente Jury, wo Mitglieder aus verschiedenen Organisationen dabei sind. Das geht von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz über Chaos Computer Club bis zur Humanistischen Union und der Internationalen Liga für Menschenrechte. Insofern haben wir unterschiedlichste Kompetenzen und Erfahrungen bei uns versammelt.
heute.online: Vergangenes Jahr beispielsweise bekam Bayer den "Oscar für Datenkraken" in der Kategorie Arbeitswelt, weil die Firma Auszubildende einem Drogentest unterzog. Wie kamen Sie an diese Information?
Tangens: Zum einen verfolgen wir das ganze Jahr über die Presse und alle Meldungen im Internet. Zum anderen ist die Aufmerksamkeit in der Bevölkerung recht groß und wir bekommen sehr viele Zusendungen - per E-Mail, Post, Fax, auf Postkarte und Hinweise per Telefon. Hin und wieder erhalten wir auch interne Unterlagen aus Firmen. Da sagen Mitarbeiter, das ist nicht in Ordnung, aber innerhalb der Firma kann ich dagegen nichts tun. Insofern haben wir eine recht interessante Sammlung von Vorfällen, wo wir uns nur die erheblichsten Fälle als "Kandidaten" raussuchen. Weil es mittlerweile so viele geworden sind, haben wir noch die "tadelnden Erwähnungen" eingeführt. Für die, die es nicht ganz zu einem "Big Brother Award" geschafft haben.
heute.online: Überprüfen Sie die Hinweise? Oder verlassen Sie sich auf die mitgelieferten Informationen?
Tangens: Das können wir auf gar keinen Fall tun. Für uns ist es sehr wichtig, eine fundierte Recherche zu machen. Wir prüfen die Angaben in jedem Fall nach und bemühen uns, sie von allen Seiten abzuklopfen. Wir arbeiten wegen der Recherche das ganze Jahr über an den "Big Brother Awards". Aber wir stehen auch Bürgern zur Verfügung, die bei uns sich melden, weil sie irgendwelche Beschwerden haben.
heute.online: Im vergangenen Jahr beispielsweise wurde Microsoft "ausgezeichnet". Wie sehr beeinflusst ihr Preis die "betroffenen" Firmen? Oder wollen Sie gar nicht das Verhalten der Firmen ändern, sondern viel mehr der Nutzer?
Tangens: Die Strategie ist durchaus auf beide Ziele hingerichtet. Wir möchten zum einen natürlich die Bürger informieren. Die dann zum Teil ihr Verhalten ändern und gewisse Produkte meiden, aber zumindest schon mal aufmerksamer werden.
An zweiter Stelle möchten wir natürlich Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen, dass bestimmte Dinge nicht erlaubt werden. Denn ansonsten muss eine Firma, die sich korrekt und fair verhält, damit rechnen, dass eine Konkurrenzfirma es vielleicht anders macht und dadurch Wettbewerbsvorteile hat. Deshalb sind Gesetze wichtig.
Zum dritten wollen wir Einfluss auf Firmen nehmen, damit diese ihr Geschäftsgebahren ändern. Da hat der Fall Microsoft bei mir für Freude gesorgt. Die Firma hat 2002 ihren Konzern-Datenschutzbeauftragten zur Preisverleihung einfliegen lassen. Er sagte, dass er die Ansicht der Jury nicht teilt, aber dass er das Urteil anerkennt und den Preis entgegennimmt. Aber auch, dass Microsoft sicherlich einige Fehler gemacht hätte und dass die Firma den Preis zum Anlass nehme, mehr darüber nachzudenken, wie die Privatsphäre im Konzern und seinen Produkten verwirklicht werden kann. Ich muss sagen, das ist ein großer Schritt.
heute.online: Was bedeutet für den "Big Brother Award" die Unterstützung durch ver.di und den DGB? Hat der Preis so größeres "politisches" Gewicht?
Tangens: An erster Stelle bedeutet diese Unterstützung mehr Aufmerksamkeit für die Tatsache, dass der Datenschutz ein zunehmend wichtigeres Problem in der Arbeitswelt wird. Weil immer mehr neue Verträge ausgehandelt werden und neue Arbeitsbedingungen auf Leute zukommen.
Politisches Gewicht, ich weiß nicht. Wir sind an keine Organisation gebunden. Es ist auch ein Prinzip von uns, dass wir unabhängig sind. Aber wir freuen uns sehr, dass ver.di und der DGB unsere Arbeit anerkennen und schätzen.
heute.online: Wie sieht das mit dem "Big Brother Award" außerhalb Deutschlands aus?
Tangens: Wir haben mittlerweile in 17 Ländern Mitstreiter. In Deutschland gehörten wir mit zu den ersten Organisatoren und verleihen jetzt schon im vierten Jahr die "Big Brother Awards". International arbeiten wir außerordentlich gut zusammen, was über Internet wunderbar funktioniert. Mit den Schweizern und Österreichern haben wir mehrere Jahre am selben Tag die Preise verliehen. Zudem diskutieren wir auf einer gemeinsamen Mailingliste einzelne Themen und organisieren uns darüber. Manchmal schreiben wir uns auch "Überweisungen": Für eine "böse" Firma, die vielleicht in Österreich tätig ist, aber aus Deutschland kommt, bekommen wir dann beispielsweise eine "Überweisung geschrieben" - ein Hinweis, da passiert etwas, da solltet ihr euch mal drum kümmern.
"Big Brother Award"
Mit den BigBrotherAwards soll das abstrakte Thema Datenschutz durch konkrete Beispiele anschaulich und allgemein verständlich werden. Der "Oscar für Datenkraken" wird seit 2000 verliehen. In den vergangenen Jahren erhielten beispielsweise das LKW-Mautsystem, Microsoft, die Payback-Kundenkarte und die Videoüberwachung der Bahn den Negativ-Preis.
Jury des "Big Brother Award"
Acht Juroren entscheiden darüber, wer den Negativ-Preis erhält. Neben dem FoeBUD (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs) gehörden sechs unabhängige Organisationen dazu: Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD), Chaos Computer Club (CCC), Förderverein Informatik und Gesellschaft (Fitug), Forum für InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF), die Humanistische Union (HU) und erstmals in diesem Jahr die Internationale Liga für Menschenrechte (ILMR).
FoeBUD
Der Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten
Datenverkehrs wurde 1987 in Bielefeld gegründet. Der Verein
veranstaltet dort regelmäßige Treffen, wo über Themen aus den
Bereichen Zukunft und Technik, Politik und Wissenschaft, Kunst und
Kultur diskutiert wird. Dem FoeBuD geht es um die Förderung eines
"schöpferisch-kritischen" Umgangs mit Wissenschaft und Technik. Der
Verein finanziert sich über Mitgliederbeiträge und Spenden.
Heute Online, 24. Oktober 2003
Original: http://www.heute.t-online.de/ZDFheute/artikel/20/0,1367,COMP-0-2074676,00.html