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Gala für Datenkraken

Im Herbst werden in Bielefeld zum fünften Mal die Big-Brother-Awards an schnüffelnde Behörden, Firmen und sicherheitsversessene Politiker verliehen.

Der Preis ist heiß. So heiß, daß sich die wenigsten mit ihm Ausgezeichneten daran die Finger verbrennen mögen. In den vier Jahren, in denen der Big-Brother-Award bislang verliehen wurde, war der Microsoft-Konzern der einzige Preisträger, der einen Vertreter zur Verleihungszeremonie nach Bielefeld entsandte. Was nicht verwundert, denn wer die kleine Statue ? eine längs von einer Glaswand mit eingravierten Zahlencodes zertrennte Figur, deren Füße an selbige Wand gefesselt sind ? bekommt, muß sich harsche Kritik daran anhören, daß und mit welchen Methoden seine Institution gegen den Datenschutz verstößt.

Am 29. Oktober werden die Awards zum fünften Mal vergeben. Bis zum 31. August konnte jeder, der es wollte, beim Bielefelder Verein FoeBuD e.V. (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs) Nominierungsvorschläge einreichen. Der Verein organisiert die Verleihung des »Negativpreises für Datenkraken« seit dem Jahr 2000 in der Bundesrepublik. International gibt es ähnliche Preise seit 1998, und zwar in zwölf europäischen Ländern sowie in den USA, in Kanada, Japan und Australien.

In den letzten beiden Jahren waren die zu brandmarkenden Übeltäter auf dem Gebiet des Datenschutzes schnell zu finden, die Auswahl war riesengroß. Wie die große Aufmerksamkeit, die die Preisverleihung hierzulande in den Medien erfahren hat, ist das eine von vielen Folgen der Anschläge des 11. September 2001 in den USA. Für zahlreiche Amtsträger lieferten sie einen willkommenen Anlaß, ihre Phantasien von einer umfassenden Überwachung des öffentlichen Raumes zielstrebig in die Tat umzusetzen. Die schleichende, teilweise aber auch ganz offen betriebene Aushebelung von Bürger- und Freiheitsrechten wird dabei mit der weltweit zunehmenden Terrorgefahr begründet. Erst am Wochenende warnte etwa der bayerische Innenminister Günter Beckstein (CSU) im Zusammenhang mit dem grauenhaften Ende des Geiseldramas im nordossetischen Beslan, auch Deutschland könne »in der ersten Linie terroristischer Ziele liegen«. Und der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach betonte erneut, Prävention spiele bei der Terrorgefahrenabwehr die entscheidende Rolle. Die Thüringische Landeszeitung erklärte im vergangenen Jahr, was das bedeutet: »Prävention heißt Überwachung«, so der Titel eines Berichts über die Big-Brother-Award-Verleihung des vergangenen Jahres vom 29. Oktober 2003.

Die thüringische war 2003 eine von vier Landesregierungen, die die »Auszeichnung« erhielten, die unter Politikern und Amtsträgern ungefähr so begehrt sein dürfte wie die »Goldene Himbeere« bei US-Schauspielern. Thüringen gehörte zu den »Geehrten«, weil das Land mit seinem 2002 verabschiedeten neuen Polizeiaufgabengesetz massiv in die Grundrechte der Bürger eingegriffen hatte. Das Gesetz ermöglicht die Videoüberwachung von »Brennpunkten« ohne konkreten Anlaß und die Telefonüberwachung zur »Gefahrenabwehr«. Jurymitglied Lutz Donnerhacke betonte damals: »Kameras verhindern keine Verbrechen.« In Großbritannien sei nachgewiesen worden, daß die Verbrechensrate dadurch keineswegs gesunken ist. Neben Thüringen bekamen Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz den Preis. Sie alle hätten »im Windschatten der Terrorismusbekämpfung« die Verschärfung der Landespolizeigesetze betrieben, so die Jury.

Wie von Behörden werden widerrechtlich beschaffte Daten auch bei Privatfirmen als Repressionsinstrument mißbraucht. So wurde im vergangenen Jahr die Deutsche Post dafür »ausgezeichnet«, daß sie sogenannte Post-Agentur-Nehmer in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen pauschal verpflichtet, im Krankheitsfall einen von der Deutschen Post-Shop-GmbH bestimmten Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Laut Gesetz geht es ein Unternehmen nichts an, was die Ursache der Krankschreibung eines Mitarbeiters ist.

Ein Jahr zuvor hatte die Bayer AG zu den Preisträgern gehört. Der Konzern nötigt Bewerber, die im Unternehmen eine Ausbildung beginnen wollen, eine Urinprobe für einen Drogentest abzugeben. Die Tests hätten »vor allem den Effekt, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzuschüchtern und ihnen die Macht des Unternehmens zu demonstrieren«, betonte Jurymitglied Rena Tangens vom FoeBuD e.V. Bezeichnenderweise, so Tangens, würden die Drogenscreenings vor allem bei den unteren Lohnklassen vorgenommen. Ingenieuren und Managern werde die Prozedur nicht zugemutet. Die Forderung der Preisverleiher lautete folgerichtig: entweder Abschaffung der Tests oder die Einführung eines Tests »auf Alkohol und andere Drogen vor allen wichtigen Entscheidungen auch für die Geschäftsleitung der Bayer AG«.

Zu den ersten Preisträgern gehörte im Jahre 2000 das Bundesverwaltungsamt Köln für das seit den 50er Jahren bestehende Ausländerzentralregister (AZR). Das Register diene mit mehr als zehn Millionen Datensätzen der intensiven Überwachung von Ausländern, so Jurymitglied Rolf Gössner im jW-Interview (Ausgabe vom 28.10.2000). Diese »Totalerfassung« sei ein »eklatanter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung«, betonte der bekannte Anwalt und Autor. Die Betroffenen würden pauschal als »gesellschaftliches Risiko und potentielle Rechtsbrecher behandelt«.

Ein Anwärter auf den Big-Brother-Award 2004 könnte das Amt für Verfassungsschutz des Landes Baden-Württemberg sein, das den Lehrer Michael Czaszkóczy über zehn Jahre lang bespitzelte und Kultusministerin Annette Schavan (CDU) mehr als fadenscheinige Gründe lieferte, dem linken Friedensaktivisten und Antifaschisten die Übernahme in den Schuldienst zu verweigern.

* Verleihung der Big-Brother-Awards: 29. Oktober, Bielefeld, 16 Uhr, Ravensberger Spinnerei, Murnaus Saal. Weitere Informationen: www.bigbrother awards.de. Kontakt zu den Initiatoren: Big-Brother-Awards, Marktstr. 18, 33602 Bielefeld, Tel.: 05 21/17 52 54, Fax: 05 21/6 11 72, E-Mail: bba@foebud.org

Jana Frielinghaus

Junge Welt, Berlin
Original: http://www.jungewelt.de/beilage/index.php?id=613

© WWW-Administration, 08 Mar 06