Reimar Paul
Bürgerrechtler und Datenschützer haben Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) am Freitag mit dem Hauptpreis des "BigBrother Award 2001" ausgezeichnet. Die Jury würdigte den Minister mit dieser Negativ-Auszeichnung, weil er Datenschutz als Täterschutz diffamiert, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung mißachtet und sich ohne Berücksichtigung der Bürgerrechte für neue Ermittlungsbefugnisse von Polizei und Geheimdienst eingesetzt habe. Außer an Schily (Bereich Politik) wurden in Bielefeld "BigBrother Awa rds" in den Bereichen Finanzen, Kommunikation, Arbeitswelt, Technik und Regionales vergeben.
Otto Schily sei derjenige Politiker in Deutschland, der seit den terroristischen Anschlägen in den USA "am intensivsten dazu beiträgt, den Datenschutz in Frage zu stellen", sagte Rechtsanwalt und Jury-Mitglied Rolf Gössner in seiner "Laudatio". Der Minister hatte unter anderem dafür plädiert, den Datenschutz neu zu "definieren" und die rhetorische Frage aufgeworfen, ob es mit dem Datenschutz in der Bundesrepublik in der Vergangenheit nicht oft übertrieben worden sei.
Nach den Terroranschlägen habe Schily mit "immer neuen Vorschlägen" fälschlich den Eindruck zu erwecken versucht, durch zusätzliche staatliche Überwachungsmaßnahmen könne mehr Sicherheit gegen den Terrorismus erreicht werden, erklärte Gössner. Der Innenminister stehe an erster Stelle jener Politiker in Deutschland, welche die Attentate zur Durchsetzung "freiheitsbeschneidender Gesetze" instrumentalisierten.
Nach Ansicht Gössners und der anderen Jury-Mitglieder ist der "sicherheitspolitische Aktionismus" Schilys aber nur die Zuspitzung der von ihm seit drei Jahren forcierten bürgerrechtsfeindlichen Sicherheitspolitik. So zeichne der Minister dafür verantwortlich, daß im Bundeskriminalamt sogenannte Gewalttäterdateien eingerichtet worden seien. Die Speicherungen in dieser Datei hätten dazu geführt, daß nicht vorbestrafte Demonstranten gegen den Weltwirtschaftsgipfel in Genua an der Ausreise aus Deutschland gehind ert oder über lange Zeit ohne Nachweis strafbaren Handelns in Italien inhaftiert worden seien.
Die meisten der von Schily vorgeschlagenen Überwachungsmaßnahmen richteten sich gegen Ausländer, die ohnehin schon zu den am meisten überwachten Bevölkerungsgruppen gehörten, kritisierte Gössner. Damit schüre der SPD-Politiker "Angst, Abwehr und Aggressionen gegen Fremde". Dabei seien die Maßnahmen gar nicht zur Bekämpfung des Terrors geeignet. "Vieles ist nichts anderes als das Wiederaufkochen von datenschutzfeindlichen Ladenhütern, die bisher selbst unter einer schwarz-gelben Regierung aus guten Gründen nicht realisiert worden sind", sagte Gössner.
Junge Welt, 27. Oktober 2001