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Preise für Daten-Kraken

Big Brother Awards in Bielefeld vergeben. Post, Landesregierungen und Körting unter den Preisträgern

Reimar Paul

Vier deutsche Länderregierungen, die US-Regierung und die Deutsche Post zählen zu den Preisträgern des "Big Brother Award 2003". Die "Negativ-Preise für Daten-Kraken" wurden gestern in Bielefeld vergeben. Die Preisträger "verletzen erheblich die Privatsphäre der Bürger", erklärte die Jury, der mehrere Datenschutz-Initiativen und Bürgerrechtsgruppen angehören. Mit den Big Brother Awards wollen die Initiatoren das abstrakte Thema Datenschutz durch konkrete Beispiele anschaulich und allgemein verständlich machen".

Der Name ist George Orwells Buch 1984" entnommen, in dem der Autor bereits Ende der 40er Jahre seine Vision einer total überwachten und kontrollierten Gesellschaft entwarf. Die Preise werden mittlerweile in 14 europäischen Ländern sowie in Australien, Japan und den USA vergeben. In Deutschland fand die Aktion zum vierten Mal statt. "Big-Brother-Awards" erhielten in den vergangenen Jahren beispielsweise das LKW-Mautsystem, Microsoft, die Payback-Kundenkarte und die Videoüberwachung der Bahn. In der Kategorie Politik ging der diesjährige "Big Brother Award" an die Landesregierungen von Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Thüringen. Sie hätten im Windschatten der Terrorismusbekämpfung die Verschärfung ihrer Landespolizeigesetze betrieben und damit drastische Einschnitte in elementare Grund- und Freiheitsrechte einkalkuliert, hieß es. Den "harten Kern der Attacken auf die Intim- und Privatsphäre" bilde die vorsorgliche Telekommunikationsüberwachung ohne Vorliegen eines Straftatverdachts, erklärte die Jury.

Die Deutsche Post erhielt den Big Brother Award in der Kategorie Arbeitswelt. Grund: die Arbeitsverträge des Unternehmens mit Post-Agentur-Nehmern in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. In diesen Verträgen sollen sich die Agentur-Nehmer pauschal verpflichten, im Krankheitsfall einen von der Deutschen Post-Shop-GmbH bestimmten Arzt von seiner Schweigepflicht zu entbinden. Auch die US-Regierung kam nicht ungeschoren davon. Sie wurde in der Kategorie Behörden ausgezeichnet, weil sie europäische Fluglinien genötigt hat, diversen Diensten den Zugriff auf die Buchungsdaten aller einreisenden und Transit-Passagiere zu gewähren. Die T-Online International AG erhielt einen Big Brother Award in der Kategorie Kommunikation für das Speichern von IP-Nummern ihrer Flatrate-Kunden. Der "Lifetime-Award" ging an die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) "für ihren unermüdlichen Einsatz bei der bedingungslosen Ermittlung von Schwarzseherinnen und Schwarzhörern". Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) bekam den diesjährigen Regionalpreis für seine "mehr als fragwürdige" Rechtfertigung des Einsatzes der sogenannten "stillen SMS" durch die Berliner Polizei. Körting hatte eingeräumt, daß die Bedenken der Datenschützer gegen eine solche Praxis erheblich seien. Man müsse sich aber entscheiden, "ob man die Täter oder die Opfer schützen" wolle. Der Senator, so die Jury gestern, setzte sich damit "absichtsvoll über die geltende Rechtslage hinweg, die das Versenden solcher stiller SMS zur Ortung von Tatverdächtigen eben nicht vorsieht."

Junge Welt, 25. Oktober 2003
Original: http://www.jungewelt.de/2003/10-25/011.php

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