Oscar-Verleihung für Überwachung: Otto Schily bekam »Big Brother Award« für sein Lebenswerk. Grundschule für Weitergabe von Daten der Erstkläßler an Banken ausgezeichnet
Am Freitag war es wieder soweit: Acht Preisträger wurden mit dem BigBrotherAward (BBA) für besondere Mißachtung von Datenschutz und Bürgerrechten ausgezeichnet. In einer Feierstunde im Historischen Saal der Ravensberger Spinnerei in Bielefeld gingen die »Oscars für Überwachung« an Unternehmen, Organisationen und Politiker. Mit ihrer Hilfe soll das abstrakte Thema Datenschutz durch konkrete Beispiele anschaulich und allgemein verständlich gemacht werden. Die Preisverleihung, die bereits zum sechsten Mal stattfindet, wird unter anderem von dem »Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V.« (FoeBuD) und dem Chaos Computer Club (CCC) organisiert.
Die Jury hatte große Auswahl: Über 300 Delinquenten waren ihr gemeldet worden. Sie vergab den »Regionalpreis« an die Grundschule Ennigloh in Bünde. Die Schule hatte die Namen von Schulanfängern an Volksbank und Sparkasse in Herford für Werbezwecke (»Startkonto«) weitergegeben. Für seine Verdienste um die weitere Beschneidung des Fernmeldegeheimnises ging der Preis in der Kategorie »Politik« an den Innenminister des Landes Hessen, Volker Bouffier. Er wurde insbesondere für seine Initiativen für das »präventive« Orten und Abhören von Mobiltelefonen gewürdigt. Hervorgehoben wurden aber auch seine Bemühungen um DNA-Analysen bei Kindern unter 14 Jahren, die eine Straftat begangen haben, und das Scannen und Speichern von Kfz-Kennzeichen auch ohne Straftatverdacht.
In der Kategorie »Verbraucherschutz« ging der Preis an Franz Beckenbauer und das Organisationskomitee der Fußballweltmeisterschaft 2006, denn die Daten der Fragebögen zur Bestellung von WM-Tickets sollen an die FIFA und deren Sponsoren zu Werbezwecken weitergegeben werden. Als besondere Tat wurde die Nutzung von sogenannten RFID-Schnüffelchips in den WM-Eintrittskarten gewürdigt. Damit werde versucht, die Chips zur Kontrolle und Überwachung von Personen zum Nutzen des WM-Sponsors und RFID-Herstellers Philips salonfähig zu machen. In der Kategorie »Technik« ging der Sammelpreis an die flächendeckende Videoüberwachung, die aus Menschen »zu überwachende Objekte« macht. Den Preis in der Kategorie »Kommunikation« erhielt der Generalstaatsanwalt in Schleswig-Holstein, Erhard Rex, für die erste großflächige Fahndung mit Handy-Ortung nach Zeugen, die wie Verdächtige behandelt wurden.
Die Landesregierung Niedersachsen erhielt den Preis in der Kategorie »Behörden« wegen der Zerschlagung der Datenschutzaufsicht in Niedersachsen. Den Preis in der Kategorie »Lebenswerk« erhielt der scheidende Bundesminister des Inneren Otto Schily. Er wurde ausgezeichnet für die Einführung des biometrischen Reisepasses, der zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung der gesamten Bevölkerung führt. Hervorgehoben wurde aber auch sein Engagement für den Ausbau des deutschen und europäischen Überwachungssystems auf Kosten der Bürger- und Freiheitsrechte einschließlich seiner hartnäckigen Bemühungen um die Aushöhlung des Datenschutzes unter dem Deckmantel von Sicherheit und Terrorbekämpfung.
Rainer Rupp
Junge Welt, Berlin, 29. Oktober 2005
Original: http://www.jungewelt.de/2005/10-29/018.php