Bundesinnenminister Friedrich für Aufhebung des Trennungsgebotes zwischen Polizei und Geheimdiensten mit »Big Brother Award« ausgezeichnet
Ob Hans-Peter Friedrich sich über diese »Ehrung« freuen kann? Der Innenminister gehörte am Freitag abend zu den Preisträgern des diesjährigen »Big Brother Awards«. Der Negativpreis wurde im nordrhein-westfälischen Bielefeld zum zwölften Mal von Bürgerrechtlern und Datenschützern an Firmen und Behörden, die gegen die Privatsphäre von Bürgern verstoßen haben, vergeben. In diesem Jahr hat die Jury, die unter anderem aus Mitgliedern der »Deutschen Vereinigung für Datenschutz«, dem »Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung«, dem »Chaos Computer Club« und der Humanistischen Union besteht, den Award unter anderem an CSU-Politiker Friedrich und den sächsischen Innenminister Markus Ulbig (CDU) verliehen. Ins Leben gerufen wurde die Anti-Auszeichnung vom 1987 gegründeten »Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs«, um die öffentliche Diskussion um Privatsphäre und Datenschutz anzukurbeln.
Während Friedrich den Preis in der Kategorie Politik für »die Einrichtung eines Cyber-Abwehrzentrums ohne Legitimation durch den Bundestag, für die Einrichtung eines Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus (GAR), ebenfalls am Parlament vorbei, sowie für die Entscheidung, alsbald eine gemeinsame zentrale Verbunddatei ›gewaltbezogener Rechtsextremismus‹ zu errichten«, bekam, wurde sein sächsischer Amtskollege für »Funkzellenabfragen« im Raum Dresden ausgezeichnet. So hatten die dortigen Behörden bei den Protesten von über 20000 Menschen gegen einen Naziaufmarsch am 19. Februar 2011 in Dresden über eine Million Datensätze von inzwischen mehr als 55000 identifizierten Anschlußinhabern gespeichert (jW berichtete).
Die Verleihung des Negativpreises an den sächsischen Innenminister löste beim SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle Genugtuung aus. Diese Auszeichnung einer Datenkrake würdige erneut die »sächsische Demokratie« und den Rechtsstaat in Sachsen, konstatierte er. »Deutschlands konservativste Landesregierung schafft es immer wieder, ganz vorne dabei zu sein. Der Rechtsstaat steht in Sachsen auf dünnen Beinen«, kommentierte Nolle die Preisvergabe am Sonntag weiter. Harsche Kritik an der Aufhebung des Trennungsgebotes von Polizei und Geheimdiensten übte am Freitag der renommierte Bürgerrechtler Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte, der die Laudatio für Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hielt. »Die neuen Abwehrzentren und die Verbunddatei lassen die Gefahr entstehen, daß Geheimdienste tendenziell zum verlängerten nachrichtendienstlichen Arm der Polizei werden und diese zum verlängerten Exekutivarm der Geheimdienste«, so der Vorwurf Gössners.
Weitere »Big Brother Awards« wurden an die Firma »Blizzard Entertainment« für diverse Datenschutzverletzungen bei ihren Online-Spielen, die Firma Bofrost für die Ausforschung des Betriebsratscomputers sowie die Firma Brita GmbH für ihre kostenpflichtigen Wasserspender in Schulen verliehen, die nur dann Wasser abgeben, wenn ein Kind die Automaten mit einer mit einem RFID-Funkchip verwanzten Flasche abzapft.
Markus Bernhardt
Junge Welt, Berlin, 16. April 2012
Original: http://www.jungewelt.de/2012/04-16/042.php