Sitzt Marcel, 15, gerade in der Kneipe, obwohl er doch die Schulbank drücken müsste? Stimmt es wirklich, dass Katrin, 14, bei ihrer Freundin übernachtet - oder treibt sie sich sonstwo rum? Derartige Sorgen müssen sich Eltern in Zukunft nicht mehr machen, denn die Firma Armex GmbH aus Gladbeck weiß auf alle Fragen eine Antwort
Noch vor kurzem tobte in Familien zur Frage, ob der Nachwuchs ein Handy braucht, der Glaubenskrieg. Mittlerweile haben sich die Gemüter beruhigt, denn heute geht es längst nicht mehr darum, ob das Kind ein Handy bekommt, sondern es fragt sich nur noch welches.
Höchstens die Altersfrage bleibt noch strittig: ab zehn oder lieber doch schon ab acht?
Auch hartnäckig telefonfeindliche Eltern haben nämlich erkannt, dass das Handy in Kinder- und besonders in der jugendlichen Hand neben allen Nachteilen auch durchaus Vorteile bietet. „Mama, ich hab' den Bus verpasst und komme später" oder umgekehrt „Schätzchen, wo bleibst du denn, ich warte schon auf dich" - derartige Telefonate bringen schnelle Informationen und beruhigen besonders besorgte Eltern. In Bussen und Bahnen, auf dem Schulhof und während des Schulweges, überall und immer sieht man daher Kinder und Jugendliche mit dem kleinen Kommunikator hantieren. Sie simsen und säuseln permanent, das Handy ist aus ihrem Alltag gar nicht mehr wegzudenken. Die ersten 12 Stunden des Tages haben sie es griffbereit am Körper oder in der Tasche, die zweiten 12 Stunden liegt es empfangsbereit neben dem Kopfkissen.
Diese Tatsache (vor allem aber die Besorgnisse der Mütter und Väter) will sich die Firma Armex GmbH aus Gladbeck mit ihrem Produkt „Track Your Kid" nun zunutze machen und Gewinn bringend ummünzen. Der Anbieter eines sogenannten „Mehrwertdienstes" fungiert dabei quasi als Detektivbüro für Eltern, die gegen Gebühr den jeweiligen Aufenthaltsort ihres Kindes (genauer: seines Handys) deutschlandweit auf 250 Meter exakt orten lassen wollen. Das geht ganz einfach: Mutter schickt der Firma eine AnfrageSMS und erhält ebenfalls per SMS die Position des zu ortenden Handys. Durch Abstandmessungen zu umgebenden Sendemasten kann der Standort je nach Sendemastdichte im städtischen Bereich bis auf weit unter 100 Metern genau ermittelt werden. Bis zu fünf Handys sind ortbar, also ein tolles Angebot auch für die Vielkinderfamilie. Dazu muss der Mobilfunkanbieter nur beauftragt sein, die Standortdaten des betreffenden Handys an Annex weiterzuvermitteln.
Jetzt wollte es KSA genau wissen und recherchierte im Internet. Dort liest sich das Angebot „tack your kid" so: Im wahrsten Sinne ist der Name Programm und so richtet sich unser Dienst an Eltern, Erziehungsberechtigte und Alleinerziehende. Frei nach dem Motto `Ihr Kind ist gut und wohlbehalten angekommen', ermöglicht „track Your kid " eine zeitgemäße und aus pädagogischer Sicht sanfte Kontrollmöglichkeit Ihrer Kinder. ARMEX kann sich dabei offenbar gut in die Eltern hineinfühlen: Oft sind es die einfachen Sorgen, die blitzartig ein schlechtes Gefühl aufkommen lassen - egal, ob Sie in der Freizeit oder auf der Arbeit sind! Hätte Ihr Kind sich nicht melden wollen - ist irgendetwas passiert? Meistens sind Ängste unbegründet und aus kindlicher Sicht kaum nachvollziehbar. Später stellen Sie Ihr Kind zur Rede. Das Fazit: Streit kommt auf, weil ihr Kind sich zu sehr kontrolliert fühlt und mehr Freiräume für sich verlangt. Gerade bei heranwachsenden sowie schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen im Alter von 5 bis 17 fahren können Sie mittels ,, track your kid " Stück für Stück Ihrem Kind Vertrauen schenken, welches es auch verdient - denn Sie wissen, dass Ihr Kind sich in einer sicheren Umgebung aufhält. Mit Blick auf die Zukunft verspricht das Unternehmen, seinen Service analog zu den großen Mobilfunkbetreibern so weiter zu entwickeln, das „mittels Zellerkennung" schon bald eine „punktgenaue Ortung" möglich sein wird. Wir halten Sie auf dem Laufenden ..."
Die Kunden von „track your kid" haben übrigens die Qual der Wahl zwischen zwei Leistungstarifen: Modell 1, das „Premium Paket", beinhaltet einen Einjahresvertrag mit 9,90 Euro Einrichtungsgebühr und 36 Euro Jahresbeitrag. 20 Ortungen gibt es bei Abschluss gratis, jede weitere kostet 50 Cent. Modell 2, das ..By call Paket", fordert keine Vertragsbindung, dafür 19,90 Euro Einrichtungsgebühr und 1 Euro pro Ortung. Kunden, die einen neuen Kunden werben, dürfen auf weitere 20 kostenfreie Ortungen bauen. Ist das was?, fragt Armex selbstsicher.
Das ist ein dicker Hund, meint dazu die Jury des BigBrotherAwards Deutschland und verpasste ARMEX 2004 den gleichnamigen „Preis" in der Kategorie Kommunikation - und das stellvertretend für andere Anbieter, die Überwachungsdienste und damit vermeintliche Sicherheit für Eltern verkaufen. „Niemand käme auf die Idee, sein Kind an die Leine zu nehmen. Ein elektronisches Gängelband allerdings scheint keine Hemmschwelle zu sein, sonst könnten Firmen wie Armex GmbH kein Geld mit den Ängsten von Eltern machen", empört sich Karin Schuler von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e.V. Sie saß zusammen mit Rena Tangens/Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs, Frank Rosengart/Chaos Computer Club, Alvar C.H. Freude/Förderverein Informatik und Gesellschaft, Werner Hülsmann/Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung, Dr. Fredrik Roggan/ Humanistische Union und Dr. Rolf Gössner/Internationale Liga für Menschenrechte in der Jury des BigBrotherAwards 2004. Seit vier Jahren wird er auch in Deutschland an Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die mit fragwürdigen Praktiken und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen. Der Name der „Auszeichnung" ist George Orwells negativer Utopie „1984" entliehen, in der der Autor bereits Ende der vierziger Jahre seine Vision einer totalitären Überwachungsgesellschaft entwarf.
In ihrer Begründung fragte die Jury kritisch, was Eltern sich konkret von der Nachricht erhoffen würden, dass sich ihr „aufgestöberter Rumtreiber" (BILD) in „unerwünschten" Stadtteilen aufhalte. Strafpredigten? Polizeieinsatz? Oder schnell weg von der Arbeit und gleich die Standpauke am Ort des Geschehens halten? Mit „Track your Kid" haben Sie alles im Griff, verspricht der Anbieter. „Dies genau aber ist ein Irrtum", kontert Karin Schuler. „Die vorgebliche Sicherung ist weniger Gewinn für das Kind als erkaufte Selbstberuhigung für überforderte Eltern!" Datenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung seien keine „Rechte der Erwachsenen", die man Kindern, auch wenn man deren Erziehungsberechtigter sei, beliebig vorenthalten könne. „Juristisch gesehen müssen Kinder ab 14 Jahre ohnehin in eine Ortung ihres Handys einwilligen."
Aber Missbrauch ist möglich, so die Jury weiter, und führt zahlreiche Beispiele an, wie nicht nur die eigenen Kinder, sondern auch Lebenspartner, Mitarbeiter, fremde Handybesitzer und potenzielle Opfer krimineller Energie kinderleicht auszuspionieren sind.
Aber auch wenn es „nur" den eigenen Nachwuchs trifft, bringt Karin Schuler es auf den Punkt: „Bei allem Verständnis für besorgte Eltern um das Wohl ihres Kindes: Zur Erziehung gehört auch die Vorbereitung auf ein selbstbestimmtes Leben und die Vermittlung der Werte einer freiheitlichen Gesellschaft. Ob diese Gesellschaft noch in der Lage sein wird, persönliche Freiheitsrechte als wertvolles Gut zu begreifen und zu verteidigen, wenn ein Großteil ihrer Mitglieder von Kindesbeinen an eine ständige Überwachung gewöhnt, also entsprechend „überwachungssozialisiert" ist, wie es die TAZ nennt? Wie soll ein derart geprägter Mensch überhaupt begreifen, dass soziales, menschliches und gesellschaftsverträgliches Verhalten in erster Linie auf eigener Einsicht basiert - und nicht auf der Angst vor Entdeckung möglichen Fehlverhaltens durch ständige Überwachung? Durch Angebote wie „Track Your Kid" lernen Menschen, die man auf diese Art entmündigt, Verantwortung dauerhaft abzugeben. Das sollten sich Eltern gut überlegen."
Roland Schaefer und Swaantje Duesenberg
Kinderschutz aktuell, Hannover, 01. April 2005
Original: Nicht bekannt