Düsseldorf/Bielefeld - Nordrhein-Westfalens Datenschutzbeauftragte Bettina Sokol hat dem Staat "Maßlosigkeit" bei der Überwachung von Bürgern und der Sammlung von Daten vorgeworfen. Seit Jahren sei ein "überzogenes Präventionsdenken" sowohl beim Überwachen von Telefonen und Computern als auch bei der Speicherung von Daten, etwa in DNA-Dateien, zu beklagen, sagte Sokol am Dienstag bei der Vorlage ihres Jahresberichts in Düsseldorf.
Positiv hob die Landesbeauftragte hervor, dass NRW eine bundeseinheitliche Schul-Statistik mit zentraler Registrierung aller Schüler gestoppt habe. Sie betonte, dass die Video-Überwachung in den Klassenzimmern verboten bleibe. Bislang gebe es "noch nicht allzu viel" Video-Überwachung an den Schulen des Landes. In Frage komme eine solche Maßnahme allenfalls, um Klassenzimmer und Schulhöfe außerhalb der Unterrichtszeiten vor Vandalismus zu schützen, erklärte die oberste Datenschützerin des Landes.
Als unverhältnismäßig kritisierte Sokol die von der Bundesregierung geplante vorsorgliche Speicherung von Telefon- und E-Mail-Verbindungsdaten. Sie sollen künftig ohne Anlass oder Verdacht mindestens sechs Monate gespeichert werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) setzt eine EU-Richtlinie um. Dagegen protestieren Medienschaffende, Wirtschaftsverbände, Datenschützer und Juristen. Sokol empfahl der Bundesregierung, ein vor dem Europäischen Gerichtshof anhängiges Verfahren gegen diese Regelung abzuwarten.
Unterdessen setzen Datenschützer den Widerstand gegen die geplante Speicherung von Verbindungsdaten fort. Mehr als 10 000 Menschen hätten sich laut Angaben des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung zur Teilnahme an einer vom Arbeitskreis vorbereiteten Verfassungsbeschwerde gemeldet, teilte der Verein FoeBuD (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs) mit. Der Arbeitskreis sei sicher, die Gerichte würden nach der Rasterfahndung und Online-Durchsuchungen auch die Vorratsdatenspeicherung für unzulässig erklären. Eingereicht werde die Verfassungsbeschwerde, sobald der Bundestag ein entsprechendes Gesetz verabschiede.
"Es ist ein offensichtlich unverhältnismäßiger Eingriff in unsere Grundrechte, das Kommunikations- und Bewegungsverhalten der gesamten Bevölkerung zu protokollieren, um die Aufklärungsquote um mikroskopische 0,006 Prozent steigern zu können", kritisierte Jurist Patrick Breyer vom Arbeitskreis, einem Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internet-Nutzern. Der Verein FoeBuD warnte zudem, Straftäter könnten sich mit technischen Mitteln leicht der staatlichen Datenanhäufung entziehen.
Bedenken äußerte Sokol auch gegen die im vergangenen Dezember verabschiedete Novelle des Verfassungsschutzgesetzes NRW. Demnach dürfen Verfassungsschützer unter bestimmten Voraussetzungen heimlich Computer ausspionieren. "Dabei kann der Verfassungsschutz aber auf intimste Daten stoßen", kritisierte Sokol. Dies sei ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und verletze den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung. (dpa)
Kölnische Rundschau, 6. 2070
Original: http://www.rundschau-online.de/html/artikel/1170716918821.shtml