Von Robert Meyer
Wie trennt man gute von schlechten Kunden? Das Pforzheimer Unternehmen Informa weiß hier weiter _ und Informa weiß eine ganze Menge über die Menschen im Lande. Zum Beispiel, ob sie einen Handyvertrag bekommen sollten, ihr Auto in Raten abzahlen dürfen oder geeignete Kunden für eine Versicherung sind. Darüber entscheidet möglicherweise auch der Zustand ihrer Hausfassade.
Scoring heißt das Zauberwort, mit dem potenziell zahlungskräftige von weniger begüterten Bürgern unterschieden werden. Ein Score (Punktzahl) bringt eine Vielzahl an Informationen in eine einfach zu handhabende Form: eine Zahl. Anhand dieser kann in Sekundenbruchteilen entschieden werden, ob ich ein wünschenswerter Kunde bin oder nicht _ ob ich ein Produkt kaufe, Dienstleistungen nutze oder Mahnungen bezahle. De jure darf zwar nicht ausschließlich auf Grund des Scorewertes entschieden werden _ das Bundesdatenschutzgesetz nennt so etwas eine "automatisierte Einzelentscheidung" _, de facto ist aber schlicht nicht nachzuweisen, wenn es passiert. Der Score errechnet sich aus Kreditinformationen, der Adresse und dem Alter des Bürgers, Haushaltsgröße, Gebäudeeinschätzung und anderen Daten, die im Einzelnen meist nicht offen gelegt werden.
Dem Bielefelder "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V." (FoeBuD) geht das zu weit. Seit Jahren verleiht man dort Datensündern den BigBrotherAward. Ende vergangenen Jahres bekam Informa diesen Antipreis, weil ein Score in der Praxis nichts weiter ist als eine Bonitätsbewertung der Menschen und die Verbraucher in der Regel weder davon noch um dessen Zustandekommen wissen.
Scoring ist ein ursprünglich für den Versandhandel entwickeltes Ausleseverfahren, bei dem für jede Anschrift in Deutschland ein Score zwischen 350 (sehr unattraktiver Kunde) und 750 (sehr attraktiver Kunde) ermittelt wird. Vor allem im zunehmend bargeldlosen Verkehr spielen solche Verfahren eine immer größer werdende Rolle. Traditionelles Beispiel ist die Schufa (Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung), die sich des Scorings bedient, um Banken und Unternehmen Auskunft zur Kreditwürdigkeit ihrer Kunden geben zu können.
Informa preist Scoring als dynamisches Verfahren an, ein Score sei eben nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage, die erst auf Anfrage erstellt und danach ausgerichtet werde. Jeder Bürger könne seinen Scorewert bei Informa abfragen. Laut Produktmanagerin Sonja Liebig ist es Informa-Kunden "unter Androhung empfindlicher Vertragsstrafen verboten, einem Geschäftspartner alleine auf Basis des Scores einen Vertrag zu verweigern oder gar zu kündigen". In der Praxis kann das allerdings ganz anders aussehen, betont Rena Tangens von FoeBuD: Man bekomme möglicherweise keinen Kredit, könne kein Auto kaufen oder hänge in einer Unternehmens-Servicenummer fest, weil man dort als schlechter Kunde eingestuft wird. Gründe, warum ein Vertrag nicht alleine wegen des Scorewertes gekündigt wird, ließen sich immer finden.
Gegenüber dem ND behauptet die Pforzheimer Firma, dass keine Daten über die äußerliche Bewertung von Häusern oder Adressen in den Score einfließen. Warum werden dann aber auch solche Daten erfasst? "Zielgenaue Steuerung von Marketingaktivitäten mit dem INFORMA-Score" nennt sich eine Präsentation des Unternehmens, in der zu erfahren ist, dass die Klaus Schober Holding, ein führendes Unternehmen im Direktmarketing, zu den Gesellschaftern der Informa Unternehmensberatung GmbH gehört. Eine Grafik schlüsselt auf, welche Daten die Schober Holding sammelt. Und dazu gehören auch Gebäudemerkmale wie Hausalter, Bauweise, Zustand des Anwesens und Gartengröße. Solche Informationen verkauft auch die Post: Deren Risikoindex beschreibt die statistische Wahrscheinlichkeit von Zahlungsausfällen für jedes Haus in Deutschland.
Viele Daten geben Betroffene den Scoring-Firmen mehr oder minder freiwillig, etwa über Kundenkarten. Im Versandhandel heißt es oft im Kleingedruckten: "Ergänzend beziehen wir über Sie Bonitätsinformationen von der Informa Unternehmensberatung GmbH". Rena Tangens: "Die Bürger wissen nicht, was sich dahinter verbirgt, wie sollen sie dagegen protestieren und Fehler richtig stellen?"
Neues Deutschland 4. Juli 2002
Original: http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=20007&IDC=2