Auch das Arbeitsamt ist dieses Jahr dran: Wegen Hartz IV gibt es einen BigBrotherAward. Zwei deutsche Ministerinnen haben ebenfalls zu schlucken, auch sie bekommen den Daten-Negativ-Preis verliehen.
Jedes Jahr vergibt der Bielefelder Verein für bewegten und unbewegten Datenverkehr (FoeBud) den BigBrotherAward (BBA). Der inzwischen berühmte Anti-Preis, der dieses Jahr zum 5. Mal verliehen wird, geht an Firmen, Ministerien, Agenturen und an alle anderen Organisationen, die allzu leger mit Daten und Datenschutzbestimmungen umgehen. Die acht Überwachungs-Oscars werden in den Kategorien Politik, Gesundheit und Soziales, Behörden und Verwaltung, Technik, Arbeitswelt, Kommunikation, Verbraucherschutz und Regionales vergeben. Seit 1998 wird der BBA in verschiedenen Ländern auf vier Kontinenten und seit 2000 auch in Deutschland verliehen.
Die Bundesagentur für Arbeit, oder wie es in der Preis-Laudatio heißt, »Frank Jürgen Weise von der so genannten Bundesagentur für Arbeit« erhält den BigBrotherAward in der Kategorie Behörden und Verwaltung. Und zwar »wegen der inquisitorischen Fragebögen zum Arbeitslosengeld (ALG) II, der Unwilligkeit, die Fragebögen vor 2005 datenschutzgerecht zu überarbeiten, sowie wegen der vermuteten Zugriffsmöglichkeit auf die Daten der Arbeitssuchenden von bundesweit sämtlichen Arbeitsagenturen aus«. Hartz IV, heißt es, stelle einen Generalangriff auf den Sozialstaat dar, aber alleine schon die datenschutzrechtlichen Probleme seien einen BigBrohterAward wert. Auf dem 16-seitigen Antragsformular würden höchst sensible Daten abgefragt, die auch unbefugten Stellen zugänglich werden könnten. Damit verstoße das Arbeitsamt massiv gegen den Sozialdatenschutz.
Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) erhält den BigBrotherAward in der Kategorie Politik. Anstatt auf den Großen Lauschangriff zu verzichten, halte sie auch nach dem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 3.März diesen Jahres weiterhin daran fest. Der Große Lauschangriff aber diene weniger der realen Verbrechensbekämpfung, als vielmehr der Einschüchterung von Menschen. Kollegin Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) bekommt den BBA in der Kategorie Gesundheit und Soziales für die so genannte Gesundheitsreform verliehen. Das Gesetz führe zu einer massiven Verschlechterung des Datenschutzes für Patienten: Die Krankenkassen rechnen Krankheitskosten seither nicht mehr anonymisiert und fallbezogen ab, sondern erhalten neben den Rechnungen von Apotheken und Krankenhäusern auch die von sämtlichen ambulanten Behandlungen übermittelt und zwar personenbezogen. Damit entstehe ein lückenloses Krankheitsprofil von sämtlichen Mitgliedern. »Für das neue Vergütungssystem werden künftig auch die Abrechnungen der ambulanten Behandlungen mit versichertenbezogener Diagnose an die Kassen übermittelt. Mit der vorgesehenen Neuregelung könnten die Krankenkassen intime Kenntnisse über 60 Millionen Versicherte erhalten.«
In der Kategorie Technik geht der Award an Canon: Eine im Kopierer gespeicherte Kennnummer wird unsichtbar auf allen Kopien mitausgegeben. Da aber jeder Kopierer eine individuelle Barcode-Kennung hat, lasse sich die Herkunft einer Kopie ermitteln. Die Firma Lidl wird »geehrt« in der Kategorie Arbeitswelt für die heimliche Videoüberwachungen in deutschen Filialen. Und dafür, dass menstruierende Mitarbeiterinnen in Tschechien zum Tragen eines Stirnbands verpflichtet worden sind, damit sie die Toilette auch außerhalb der Pausen aufsuchen durften.
In der Kategorie Kommunikation erhält Dirk Teubner von der Armex GmbH den BBA. Um sein Produkt »Track Your Kid« zu verkaufen, habe er diffuse Elternängste ausgenutzt und ihnen ein »elektronisches Gängelband«, das die genaue Positionsortung von Handys erlaubt, in die Hand gegeben. Kinder würden damit nicht zu mündigen Bürgern, sondern zu willigen Untertanen einer Kontrollgesellschaft erzogen werden. Die Tschibo direct GmbH erhält den BBA in der Kategorie Verbraucherschutz. Tschibo beteuere in Prospekten und im Internet, dass alle persönlichen Daten vertraulich behandelt werden.
»Tatsächlich aber werden angereicherte Adressen der Tchibo-direct-Kunden über die Arvarto AZ direct auf dem Adressenmarkt angeboten.« Und der Rektor der Universität Paderborn, Professor Nikolaus Risch, erhält den Regionalpreis, weil Hörsäle und Rechnerräume mit Videokameras überwacht werden.
(ND 30.10.04)
Robert Meyer
Neues Deutschland, Berlin
Original: http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=62085&IDC=2