Viele haben den Preis verdient, aber keiner will ihn haben: Freitagabend wurden in Bielefeld die diesjährigen Big Brother Awards vergeben. Unter den Preisträgern sind Bundestag, Telekom und DAK.
Über alle Reisenden müssen seit Neuestem detaillierte Daten gespeichert und gegebenenfalls weitergegeben werden. Zum Dank bekam der Bundestag dafür am Freitagabend in Bielefeld einen Big Brother Award. Denn er habe die Gesetze einfach „durchgewinkt“. Auch der EU-Ministerrat hat sich den Augen der siebenköpfigen Jury aus Datenschützern und Bürger-rechtlern für einen Preis qualifiziert. Wer als Organisation oder Einzelperson auf seiner geheim erstellten „Terrorliste“ auftaucht, wird drakonisch bestraft, ohne Gesetz und Urteil. Das gesamte Vermögen wird eingefroren, Arbeitsund Geschäftsverträge aufgehoben, die Betroffenen erhalten weder Löhne noch Sozialleistungen, sie werden ständig überwacht. Der Europäische Gerichtshof hat das alles zwar als rechtswidrig verworfen, doch der Ministerrat bleibe „stur bei seinem undemokratischen Listungsverfahren“, begründete Rechtsanwalt Rolf Gössner die fragwürdige Auszeichnung. Insgesamt wurde der „Oscar für Datenkraken“ in sieben Kategorien verliehen.
Big Brother Awards gibt es in verschiedenen Ländern für Firmen, Organisationen und Personen, die in besonderer Weise die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten missbrauchen. Seit acht Jahren organisiert der Datenschutzverein FoeBuD die Gala in Deutschland.
Den Preis erhielt dieses Jahr auch das Bundeswirtschaftsministerium für die Einführung des ELENA- Verfahrens. Dieses Verfahren setzt eine zentrale Sammlung der Einkommensdaten aller Arbeitnehmer voraus und ist verbunden mit der elektronischen Signatur. Gratuliert wurde zudem der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) für die Weitergabe der Daten von 200.000 chronisch kranken Versicherten an eine Privatfirma. Und natürlich durfte die Telekom mit ihrer Bespitzelung von Aufsichtsräten und Journalisten nicht fehlen.
Mit der Preisverleihung werden aber jedes Mal auch weniger bekannte Verstöße gegen den Datenschutz ins Scheinwerferlicht gerückt. So bekam das Unternehmen Yellow Strom den Negativ- Preis als Vorreiter bei der Einführung einer Technik, die sekundengenau die Nutzung von Geräten im Haushalt erfasst. Und der Verband Deutscher Marktund Sozialforschungsinstitute hat sich verdient gemacht mit der Empfehlung an seine Mitglieder, Telefoninterviews auch ohne Kenntnis der Gesprächspartner heimlich mitzuhören.
Einzelpersonen gingen dieses Jahr leer aus. Das zeigt ganz treffend, dass Datenmissbrauch und Überwachungswahn eben nicht die Fehlleistung Einzelner sind, sondern ein allgemeiner Trend.
Ines Wallrodt
Neues Deutschland, Berlin, 25. Oktober 2008
Original: Nicht bekannt