Manche nennen ihn scherzhaft den »Oscar für Überwachung«. Die Rede ist vom »Big Brother Award«, einer Negativ-Auszeichnung für besonders dreiste Datendiebe, Schnüffler und Überwachungsfanatiker. In diesem Jahr erhalten gleich zwei CDU-Politiker diese »Auszeichnung«: Neben Wolfgang Schäuble auch Familienministerin Ursula von der Leyen.
Am Freitag war es wieder einmal so weit: Im westfälischen Bielefeld wurden die »Big Brother Awards 2009« verliehen. Doch die Freude der Preisträger in den Kategorien Wirtschaft, Politik, Arbeitswelt und Sport dürfte sich in Grenzen halten. Denn der Negativ-Preis wird an Firmen, Personen und Organisationen verliehen, die »in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aushöhlen«, wie die Preis-Jury betont. Dort sitzen neben dem FoeBuD e.V. auch der Chaos Computer Club, die Humanistische Union und die Internationale Liga für Menschenrechte. In diesem Jahr konnten die Stifter des »Oscars für Überwachung« bereits das 10-jährige Jubiläum ihres Preises feiern. Anlässlich dieses runden Geburtstages wurde Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble eine ganz besondere Ehrung zuteil. Der ehemalige CDU-Vorsitzende bekam den Preis für sein Lebenswerk verliehen. Allerdings verzichtete Schäuble darauf, persönlich in Bielefeld zu erscheinen. Schade eigentlich, denn die Preisskulptur, eine von einer Glasscheibe durchtrennte und mit Bleiband gefesselte Figur, hätte eigentlich einen Ehrenplatz auf Schäubles Schreibtisch verdient.
Doch Laudator Rolf Gössner ließ sich vom Fernbleiben des Ministers nicht beirren. Wie der Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte betonte, habe vor allem Schäubles unermüdlicher Einsatz für den »radikalen Umbau des demokratischen Rechtsstaates« den Ausschlag für die Nominierung gegeben. Mit seinen Vorschlägen, sogenannte islamistische »Gefährder« zu internieren oder auch erfolterte Aussagen durch deutsche Sicherheitsbehörden zu nutzen, habe sich Schäuble den Juroren förmlich aufgedrängt. Seine Versuche, die deutschen Geheimdienste und Polizeibehörden zu vernetzen, sei »ein Verstoß gegen das Gebot der Trennung von Geheimdiensten und Polizei«, so Gössner in seiner Rede. Dieser »Verschmelzungsprozess« ignoriere nicht nur die »bitteren Erfahrungen mit der Gestapo in der Nazizeit«, sondern lasse auch die staatliche Machtfülle wachsen und deren Kontrollierbarkeit schwinden«, fürchtet Gössner, der auch als stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof Bremen tätig ist.
In der Kategorie Politik gab es ebenfalls einen Preisträger mit CDU-Parteibuch. Die bisherige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, von Datenschützern auch »Zensursula« genannt, erhielt den Award für ihre Bemühungen, die Zensur des Internets voranzutreiben. Auch auf Zensursula wartete man vergebens. Doch es ist längst nicht mehr nur Vater Staat, der sich für die Daten seiner Bürger interessiert und dabei fundamentale Grundrechte verletzt. In den vergangenen Jahren waren es vor allem die großen Konzerne, die immer wieder mit Datenaffären von sich reden machten.
Während staatliche Behörden oftmals noch demokratisch überwacht werden können, agieren die Privaten in einer Grauzone, die sich jeder öffentlichen Kontrolle entzieht. Konzernbosse verfügen heutzutage über eigene »Sicherheitsabteilungen« oder beauftragen externe Detekteien. Dort arbeiten nicht selten ehemalige Geheimdienstler, die ihr Wissen nutzen, um Gewerkschafter oder aufmüpfige Angestellte auszuspionieren. Diese Schnüffelei reicht von der Überwachung des privaten E- Mail-Verkehrs bis zu Hausbesuchen und geheimen Kontoüberprüfungen. Und so kann es kaum verwundern, dass die meisten Big- Brother-Preisträger aus der Privatwirtschaft kommen. Darunter etwa die Textilkette KiK, die in rund 49 000 Fällen Informationen über die Bonität ihrer Angestellten angefordert hatte. Selbst Stellenbewerber wurden dabei systematisch durchleuchtet. Somit erweist sich KiK als würdiger Preisträger. Den gleichen Elan bei der Überwachung ihrer Mitarbeiter legten auch Deutsche Post, Lidl oder die Telekom an den Tag.
Dass die Überwachungsmanie selbst vorm Sport nicht halt macht, bewies das Organisationskomitee der diesjährigen Leichtathletik-WM in Berlin. Journalisten, die über das an sich harmlose Ereignis berichten wollten, mussten »Zuverlässigkeitsprüfungen« über sich ergehen lassen. Dabei wurden die Reporter von Polizeibehören, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst durchleuchtet. Klare Sache: Damit qualifizierte man sich für den Award in der Kategorie Sport.
Benannt sind die Big Brother Awards nach dem »Großen Bruder«. Jenem unheimlichen Diktator aus George Orwells düsterem Zukunftsroman »1984«. Wie Orwell und sein Großer Bruder stammt auch die Idee eines »Big Brother Awards« ursprünglich aus Großbritannien. Kein Wunder, denn in keinem anderen Staat der Welt ist die elektronische Überwachung selbst unbescholtener Bürger so weit fortgeschritten wie auf der Insel. Mehr als vier Millionen Kameras überwachen dort den öffentlichen und privaten Raum. Der britische Rechtsanwalt Simon Davies von der renommierten London School of Economics nahm den Sicherheitswahn seiner Landsleute zum Anlass, den »Big Brother Award« im Jahre 1998 erstmals zu stiften. Mittlerweile werden die Awards bereits in 18 Staaten verliehen.
Fabian Lambeck
Neues Deutschland, Berlin, 17. Oktober 2009
Original: http://www.neues-deutschland.de/artikel/157590.ein-oscar-fuer-wolfgang-schaeuble.html