BIELEFELD. Als der Berliner Innensenator Erhard Körting erfuhr, dass er zu den diesjährigen Preisträgern des nunmehr vierten "Big Brother Awards" gehört - lehnte Körting es dankend ab, den Preis in Bielefeld entgegen zu nehmen. "Kostengründe", hieß es in Berlin. Dabei hätten die Organisatoren des Bielefelder Datenschutz-Vereins Foebud sogar die Bahnfahrkarte zur Verleihung gestern Nachmittag gezahlt.
"Gelobt" wurde Körting dann in Abwesenheit - wie alle sieben Preisträger. Denn der "Big Brother Award" ist als Negativpreis für "Datenkraken" gedacht. Und als eine solche habe sich laut Jury auch Körting in seiner Verantwortlichkeit für die Berliner Polizei erwiesen. So brandmarkten die Datenschützer in ihrer Laudatio die Fahndungsstrategie "stille SMS", mit der die Polizei in der Bundeshauptstadt Handybesitzer "auf 50 Meter genau orten kann". Das Urteil: "Rechtsstaatlich bedenklich".
Auch die Deutsche Post AG erhielt einen Preis: für ihre Arbeitsverträge mit Post-Agentur-Nehmern in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Die Post soll die Arbeitnehmer dazu verpflichten, im Krankheitsfall einen von der Deutschen Post-Shop GmbH bestimmten Arzt von seiner Schweigepflicht zu entbinden, wie der Verein Foebud - was für "Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" steht - erklärte. Die Post AG wies die Vorwürfe zurück. Die Verträge mit den Agentur-Nehmern entsprächen den üblichen Angestelltentarifverträgen. Der Preis bleibt also in Bielefeld.
Auf der Liste der Jury, die unter anderem zusammen gesetzt ist aus Mitgliedern des Chaos Computer Clubs, der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, der Humanistischen Union und der Internationalen Liga für Menschenrechte, findet sich auch die Düsseldorfer Metro AG. Ihr Projekt eines berührungslos ablesbaren Waren-Chips birge Gefahren für die Privatsphäre der Verbraucher.
Den Ländern Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Thüringen war eine Laudatio gewidmet, weil sie "im Windschatten der Terrorismusbekämpfung" drastische Einschnitte in die Grund- und Freiheitsrechte unverdächtiger Personen einkalkuliert haben sollen. Davon betroffen seien das Brief- und Fernmeldegeheimnis und das Recht auf informelle Selbstbestimmung.
Fällig waren in diesem Jahr auch die Praktiken der GEZ. Da sich die Behörde systematisch Daten von Meldebehörden beschafft, um Menschen zu finden, die keine Rundfunkgebühr zahlen. Damit würde ein "Übermaß von Daten" gesammelt, um Bürger in deren Wohnung zu "überrumpeln". (dae/NRZ/ddp)
Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung, 25. Oktober 2003
Original: http://www.nrz.de/nrz/nrz.region.volltext.php?id=880400&zulieferer=nrz&rubrik=NRW&kategorie=NRW®ion=National