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BigBrother Awards 2006

Für Datenkraken staatlicher und privater Natur

Mit den BigBrother Awards 2006, den inzwischen in ganz Europa bekannten Negativ-Preisen für die Verletzung der Privatsphäre, der Menschenwürde, des Arbeitsschutzes und des Datenschutzes, wurden vergangenen Freitag sechs Behörden, Verbände und Institutionen in den Feldern Politik I und II, Wirtschaft, Verwaltung und Technik ausgezeichnet. Die Preisverleihung fand, wie üblich seit der Preis verliehen wird, ohne die Preisträger statt. Eine Ausnahme gab es nur im Jahr 2002.

Damals erschien der Datenschutzbeauftragte des Weltkonzerns Microsoft, Sascha Hanke, zur Preisverleihung. Er hörte sich die Negativ-Laudatio an und versprach Änderungen. 2005 forderte Microsoft dann tatsächlich in den USA die Verabschiedung eines Datenschutzgesetzes nach deutschem Vorbild. Ein schöner Erfolg! Nachzulesen im „Schwarzbuch Datenschutz“ aus dem Nautilus Verlag,

Verleiher der BigBrother Awards

Seit 1998 wird die Auszeichnung in verschiedenen Ländern, seit dem Jahr 2000 auch in Deutschland an Firmen, Behörden, Regierungen und Personen verliehen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen. Der Name ist George Orwells negativer Utopie "1984" entnommen, in der der Autor bereits Ende der vierziger Jahre seine Vision einer totalitären Überwachungsgesellschaft entwarf. Die deutsche Preisskulptur, eine von einer Glasscheibe durchtrennte und mit Bleiband gefesselte Figur, wurde von Peter Sommer entworfen. Sie verweist auf eine Passage aus Aldous Huxleys "Schöne Neue Welt".

Die deutschen BigBrother Awards werden vom Bielefelder Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V. (FoeBuD) organisiert. Die Bielefelder Initiative setzt sich aus jüngeren Bürgern zusammen, die von Rena Tangens und padeluun, zwei Künstlern und Netzpionieren, geleitet wird. Dazu kamen bald als mitwirkende Organisationen der Chaos Computer Club, die Deutsche Vereinigung für Datenschutz e. V. (DVD), der Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft e.V. (FITUG), das Forum InfomatikerInnen für den Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V. (FifF), die Humanistische Union e.V. (HU) und die Internationale Liga für Menschenrechte (ILMR).

Etwa 350 Vorschläge wurden diesmal von Bürgern bis zur Preisverleihung 2006 der Jury vorgelegt. Am Ende wurden sechs Preisträger ausgewählt. Auch einige Nicht-Preisträger erhielten deutliche Verwarnungen oder „tadelnde Erwähnungen“. Als deutliches Zeichen dafür, dass Arbeitnehmer offenbar keinen Mut mehr haben, sich über erlittenes Unrecht zu äußern, konnte 2006 die Kategorie „Arbeitswelt“ nicht bearbeitet werden. Der mediale und tatsächliche Druck auf die „Unterschichtler“ zeigt Wirkung. Wer noch einen Job hat, nimmt Beschnüffelung am Arbeitsplatz lieber hin. Auch erniedrigende Behandlungen bei den Arbeits-Agenturen (vgl. den Beitrag in dieser NRhZ) werden aus Angst vor weiterer Benachteiligung nur selten öffentlich gemacht.

Demonstration als Auftakt zur Veranstaltung

Mit einer für Bielefelder Verhältnisse großen Demonstration von über 300 Menschen wurde am Nachmittag auf die BBA-Veranstaltung hingewiesen. Als sie an der alten Ravensberger Spinnerei eintraf, war der große Saal dort schon gut belegt. Moderator Andreas Liebold freute sich, dass diesmal auch viele junge Menschen gekommen waren und sprach von einer ständig steigenden Sensibilität der Jüngeren gegen Überwachung und Einschränkung der Bürgerrechte. Aber auch der ständig steigende Druck auf die Zivilgesellschaft und den Arbeitsmarkt trügen zum erhöhten Engagement bei. Als Beweis für die Aktualität des Preises kann auch die starke Medienpräsenz angesehen werden. So hat die Frankfurter Rundschau die Laudatio Rolf Gössners von der Internationalen Liga für Menschenrechte komplett veröffentlicht.

Die BigBrother Awards-Preisträger im Kurzprofil

Als Preisträger in der Kategorie Politik I wurden von Laudator Alvar Freude die Mitglieder des vierten Landtages von Mecklenburg-Vorpommern, vertreten durch die Landtagspräsidentin Sylvia Bretschneider vorgeführt. Sie erhielten den Preis für die gesetzliche Erlaubnis zum Abhören und zur Tonaufzeichnung von Gesprächen in öffentlichen Gebäuden, auf öffentlichen Plätzen und in öffentlichen Verkehrsmitteln. CDU, SPD und PDS hatten einem Gesetz zugestimmt, dessen Text aus dem Mielke-Ministerium der ehemaligen DDR stammen könnte. Bleibt zu hoffen, dass das Meck-Pomm-Gesetz am Ende vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird. Sonst bleibt die DDR dort - noch verschärft - weiter erhalten.

Wirtschaft - Laudator Werner Hülsmann

Die Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (SWIFT) erhielt den Preis in der Kategorie Wirtschaft und für sie stellvertretend die deutschen SWIFT-Aufsichtsratsmitglieder Roland Böff (Senior Vice President, Bayrische Hypo- und Vereinsbank) und Wolfgang Gaertner (CIO, Deutsche Bank). Der Grund: Durchbrechung des Bankgeheimnisses und die Übermittlung von Überweisungsdaten von SWIFT an die US-Behörden. Wie erst am 23. Juni 2006 durch Berichte in US-Tageszeitungen bekannt wurde, wertet die CIA weltweit Daten über internationale Banktransaktionen aus, die sie sich seit 2001 vor allem von der in Belgien sitzenden SWIFT beschafft. Begründung: Man wolle so Geldströme von Terroristen ausfindig machen. Der Zugriff auf diese Daten erfolgt vom CIA nicht direkt, sondern sie werden mit Hilfe des US-Finanzministeriums beschlagnahmt. Die deutschen Banken und Sparkassen müssen sich fragen lassen, wieso sie ihren datenschutzrechtlichen Verpflichtungen bei der Beauftragung von externen Dienstleistern wie SWIFT für die Verarbeitung so sensibler Daten wie Banküberweisungen nicht nachkommen.

Politik II - Laudator: Dr. Rolf Gössner

Der Preis in der Kategorie „Politik II“ ging an die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, vertreten durch deren Vorsitzenden Günther Beckstein (CSU) aus Bayern. Sie erhielt ihn für ihren Beschluss vom 4. September 2006, eine gemeinsame Anti-Terror-Datei einzurichten, die von allen bundesdeutschen Polizeien und allen 19 Geheimdiensten des Bundes und der Länder bestückt und genutzt werden soll. Diese Vernetzung führt zu einer verstärkten Verzahnung von Polizei und Geheimdiensten - unter Missachtung des Grundgesetzgebots einer strikten Trennung der beiden Staatsschutzbehörden. Diese Bestimmung war von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes aufgrund der Erfahrung mit der Gestapo ausdrücklich festgelegt worden. Die Innenministerkonferenz begründet ihre Präventivdatei nicht zuletzt mit den Anschlagsversuchen in Koblenz und Dortmund, wohlwissend, dass die beiden mutmaßlichen Täter vorher in keiner Weise auffällig geworden waren. Sie nimmt neben Terror-Verdächtigen auch alle Personen ihres Umfelds auf. Als nächstes hat nun der Bundestag das Wort, bevor auch hier das Bundesverfassungsgericht in die Innenpolitik der BRD eingrefen muß.

Technik - Laudator: Frank Rosengart

Für die Kategorie „Technik“ erhielt die Philips GmbH, Abteilung Unterhaltungselektronik, vertreten durch deren Geschäftsführer Roland de Jong den Preis. Begründung: CD-Brenner schreiben eine eindeutige Seriennummer auf den Rohling und machen so eine Rückverfolgbarkeit von Datenträgern zum Brenner möglich. Mit dieser Seriennummer hofft die Unterhaltungsindustrie, „Raubkopien“, also unlizensierte Vervielfältigungen von Datenträgern, aufspüren zu können, um gegen Schwarzkopierer vorzugehen. Regelmäßige Kinogänger kennen die Spots der ZKM-Kinomarketing: „Raubkopierer gehen für fünf Jahre ins Gefängnis“. Verschwiegen wird dabei von Philips, dass von Osteuropa oder Asien aus professionell Kopien von Musik, Filmen und Software verkauft werden. Diese CDs werden allerdings in richtigen Presswerken in Massenproduktion hergestellt, selbstverständlich ohne Seriennummer des Geräts. Die Herstellung mit CD-Brennern wäre viel zu zeitaufwendig. Das Verfahren von Philips trifft also private Nutzer.

Behörden und Verwaltung - Laudatorin: Karin Schuler

Der Award für Behörden und Verwaltung ging an die Kultusministerkonferenz der Länder für das vollständige Ignorieren von Datenschutzanforderungen beim Versuch, bundeseinheitliche lebenslange Schüler-Ids einzuführen. Seit 2000 bemüht sich die KMK, schulstatistische Daten länderübergreifend einheitlich zu gestalten, zentral zusammenzufassen und personenbezogen auf Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer zu erheben.

Frage des Laudators: Wen wird wohl diese nationale Bildungsdatenbank interessieren, wenn sie denn erst einmal besteht? Haben wir nicht von TollCollect gelernt, dass eine dazu heute noch versprochene deutliche gesetzliche Zweckbegrenzung und ein aufwendiges Datenschutzkonzept nicht vor einer beliebigen „Umwidmung“ schützen - wenn erst einmal entsprechender politischer Druck entwickelt wird? Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass sich nicht nur Polizei und Sicherheitsdienste für eine solch schöne Zusammenstellung interessieren, sondern auch Arbeitgeber, Hausbank und Versicherungen. Die KMK hat offenbar nicht wahrgenommen, dass sie mit ihrem Projekt in erheblicher Weise in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen eingreift.

Verbraucherschutz - Laudatorin: Rena Tangens

Der Preis in der Kategorie „Verbraucherschutz“ ging an den „Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., vertreten durch dessen Präsidenten Dr. Bernhard Schareck, für Warn- und Hinweisdateien der Versicherungswirtschaft, mit denen Versicherungen umfangreiche Daten von Millionen Bürgerinnen und Bürgern austauschen - nach geheimgehaltenen Kriterien, ohne ausreichende rechtliche Grundlage und ohne Wissen der Betroffenen. Bei den privaten Krankenversicherungen gibt es weitere Dateien, wo weitere Millionen Bürger gespeichert sind.

Wie gerät jemand in diese Liste? Ein Beispiel: Sie verunglücken mit einem von der Mutter geliehenen Auto. Dann landen in dieser Datei: Sie, Ihre Mutter, der oder die Zeugen, der Unfallgegner, der Gutachter und der Rechtsanwalt. Sie finden nichts Verwerfliches darin, einen Unfall erlitten zu haben, aber für jedes Detail erhalten Sie Negativpunkte auf einer geheimen Skala des versicherungseigenen Scorning-Systems. Sobald Sie 60 Punkte überschritten haben – egal aus welchen Gründen – gelten Sie bei Ihrer Kfz-Versicherung als verdächtige/r Kunde/Kundin und landen in der Warndatei der GDV.

Alle zwei bis drei Wochen erhält jede Versicherung über den GDV den Gesamtbestand aller gemeldeten Daten zu mehreren Millionen Personen. Diese Datenübermittlung geschieht völlig unabhängig davon, ob die Versicherung tatsächlich ein berechtigtes Interesse hat. Es findet also eine so genannte Vorratsübermittlung statt – und die ist nach Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) schlicht illegal. Jede oder jeder, die/der an die Warndatei gemeldet wird, müsste eigentlich zuvor von der Versicherung benachrichtigt werden und Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Das geschieht nicht, und so wird fleißig geheim gespeichert, ohne jede Transparenz.

Die Warn- und Hinweisdateien dienen nicht – wie immer behauptet – nur zum Dingfestmachen von Versicherungsbetrügern, sondern ermöglichen letzten Endes ein Preiskartell der Versicherungen. Es geht den Versicherern erkennbar darum, „schlechte Risiken“ herauszufiltern und entweder gar nicht oder nur gegen Beitragsaufschlag zu versichern. Versicherer verwenden also Warn- und Hinweisdateien als Marktinformationsverfahren und beschränken damit illegal den Wettbewerb - zum Nachteil der Verbraucher/innen. Fazit: Das ist nicht nur ein Fall für den Datenschutz, sondern auch für das Bundeskartellamt. Dies wiederum kann aber kaum einschreiten, weil die Lobby der Versicherungswirtschaft und damit der Einfluss auf die Politik so groß ist, dass manche Bundestagsrede oder mancher Gesetzentwurf direkt vom GDV stammt.

Tadelnde Erwähnungen - Laudator: Fredrik Roggan

Manche Institution, die als Datenkrake ohne Hauptpreis davon kam, erhielt immerhin eine tadelnde Erwähnung. Erwähnt seien aus Platzmangel

- die Studierenden der FH des Mittelstandes in Bielefeld, weil sie von Besuchern ihrer Veranstaltungen ein komplettes berufliches Profil mit allen Erreichbarkeiten verlangen. Man müsse doch ordentliche Namensschilder drucken können, ist die Begründung. - Beim Fußball-Bundesligisten Energie Cottbus wurden im Mai 2006 die Personalausweise der Kartenkäufer erfasst, wobei maximal vier Karten erstanden werden konnten. - Geradezu dreist gebärdet sich der Deutsche Segler-Verband: Wer seine Veröffentlichung als Ranglistenregatta-Teilnehmer im Internet verhindern will, muss 10 Euro als „Bearbeitungsgebühr“ bezahlen.

Die Beispiele ließen sich noch lange fortsetzen. Man sieht aber auch so: im Sinne der Big Brother Awards treiben die Datenkraken staatlicher und privater Natur fast überall ihr Unwesen. Deshalb ist die Aufmerksamkeit Aller gefragt, die sich mit einer gläsernen Gesellschaft nicht abfinden mögen. Vorschläge für die nächsten Big Brother Awards kann man ab sofort an eine der oben genannten Initiativen einreichen.

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