Interview: Der Datenschützer Thilo Weichert
Bielefeld. Heute wird in Bielefeld zum vierten Mal der „Big Brother Award" verliehen, der „Oscar für die Datenkraken". Thilo Weichert, Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, saß in der Jury, die über besonders liederlichen Umgang mit dem Datenschutz zu befinden hatte. Sigrun Mül-ler-Gerbes sprach mit ihm.
Der „Big Brother Award" wird seit dem Jahr 2000 verliehen. Wird Datenschutz heute sensibler behandelt als damals?
THILO WEICHERT: Im Gegenteil. Zwei Jahre vor der ersten Preisverleihung war ich noch guten Glaubens, dass wir einen solchen Preis in Deutschland gar nicht brauchen. Da bin ich längst eines Besseren belehrt. Insbesondere nach dem 11 .September 2001 hat sich die Situation hier massiv verschärft.
Wer sind denn die schlimmsten Datenkraken?
WEICHERT: Als wir den ersten BB-Award verliehen haben, standen Verbraucherschutz und Kundenschutz ganz oben - weil sich vor allem Privatunternehmen an Daten vergriffen haben. Die sind zwar nicht viel besser geworden, massiv zugenommen haben aber vor allem staatliche Eingriffe in die Privatsphäre. Bis 2001 mussten Menschen, die nicht polizeilich auffällig geworden waren, auch nicht befürchten, in polizeilichen Datensammlungen erfasst zu werden. Das ist massiv anders geworden - etwa durch Schleierfahndung, Rasterfahndung und die ständig ausufernde Telekommunikations-Überwachung.
Gleichzeitig hat man aber den Eindruck, vor dem Hintergrund der Terrorbekämpfung wird Datenschutz auch öffentlich nicht mehr so wichtig genommen. Bläst Datenschützern ein schärferer Wind ins Gesicht?
WEICHERT: Das schätze ich anders ein. Zwar gibt es ein gewisses Verständnis dafür, dass polizeiliche Befugnisse ausgeweitet wurden. Das hört aber ganz schnell auf, wenn Menschen persönlich betroffen sind. Videoüberwachung im privaten Umfeld, das Abhören meines Telefons, die Speicherung meiner Handy-Daten- da sind die Deutschen nach wie vor sehr sensibel. Das hat sich auch durch den 11. September nicht geändert.
Gleichwohl: Der erste BB-Award ging unter anderem an das Unternehmen Payback. Heute zahlt an der Supermarktkasse kaum noch jemand ohne eine Rabatt-Karte. Werfragt da nach Datenschutz?
WEICHERT: Das System hat sich zwar in der Tat etabliert, aber die Unternehmen gehen heute sehr viel sensibler mit den erfassten Daten um. Hier zeigt sich auch der Sinn des Preises: Die Preisträger stecken das nicht einfach weg, sondern versuchen, ihre Datenschutz-Praxis zu verbessern. Ich erhalte immer wieder Anrufe von betrieblichen Datenschutzbeauftragten, die eine Nominierung vermeiden wollen, und fragen: Was muss ich anders machen?
Welcher Typ von Daten wird denn vordringlich gesammelt?
WEICHERT: Ganz massiv zugenommen hat das Sammeln von Telekommunikations-Dateri. Früher hieß Telekommunikation einfach nur: Telefonieren. Heute fallen TK-Daten in allen Lebensbereichen an: Beim Autofahren mit elektronischen Navigationssystemen; beim E-Mail-Verkehr; beim Internet-Surfen. Und alle diese Daten sind für die Polizei interessant, beispielsweise aber auch für Arbeitgeber. Ein zweiter Trend: Es werden immer mehr biometrische Daten gesammelt - Fingerabdrücke oder Gesichts-Scans etwa. Davon verspricht man sich wahre Wunderdinge in der Verbre-chensbekämpung. Aber auch in der Privatwirtschaft nimmt das zu. In Heilbronn gibt es einen Biergarten, bei dem man sein Bier per Fingerabdruck bezahlen kann. Besonders Besorgnis erregend ist aber der Trend, dass immer mehr „Data-Warehou-ses" aufgebaut werden - riesige Datenbanken, in denen Daten aus ganz unterschiedlichen Quellen zusammengeführt werden. Schon kleine und mittlere Unternehmen bauen solche Datenbanken inzwischen über ihre Kunden auf.
Sie arbeiten seit 15 Jahren als Datenschützer - ziehen Sie eine eher nüchterneBilanz?
WEICHERT: In den 15 Jahren haben in der Tat die technischen Möglichkeiten zur Überwachung massiv zugenommen - gewachsen sind aber auch die technischen Möglichkeiten, sich vor Überwachung zu schützen, etwa durch Verschlüsselungstechnologien. Auch wenn diese Technologien noch nicht massenweise eingesetzt werden: Ich bin überzeugt, dass sich der Großteil der Bevölkerung der Risiken der Entwicklung bewusst ist und einen Eingriff in die Privatspähre nicht einfach hinnimmt.
• Big Brother Award, Murnau-Saal der Ravensberger Spinnerei Bielefeld, heute 16 Uhr
Sigrun Mueller Gerbes
Neue Westfälische, Bielefeld, 24. Oktober 2003
Original: Nicht bekannt