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Der Spion in der Jackentasche

Neuer AOL-Dienst spürt Handynutzer auf / Datenschützer warnen vor Missbrauch

Bielefeld. Wer sein Handy eingeschaltet hat, ist jederzeit erreichbar – in Zukunft ist durch das kleine Telefon auch jedermann im Handumdrehen aufzuspüren. AOL testet derzeit einen neuen Dienst für seine Internet-Kunden, mit dem kinderleicht die Handys anderer Menschen, theoretisch auch ohne deren Wissen, per Mausklick geortet werden können. Datenschützer bezweifeln den Nutzwert und warnen vor Missbrauch.

Unter dem Namen "Friendsfinder" (engl.: Freundefinder) bietet AOL Testkunden das Produkt des Münchner Herstellers Mecomo seit Dezember an. Auf der Mecomo-Homepage ist es unter dem Namen "Friends.nextome" erhältlich. Die Tester nehmen es laut AOL-Sprecher Tobias Riepe sehr gut an. Der exakte Starttermin steht noch nicht fest. In Kooperation mit dem Mobilfunkanbieter Vodafone – E-Plus und O2 sollen folgen – offeriert der "Friendsfinder" für jeweils 20 Cent eine Ortungsmöglichkeit.

Internetnutzer geben Handynummern von Menschen ein, über deren Standort sie informiert werden möchten. Wer in diese Liste eingetragen ist, bekommt eine SMS mit der Frage nach dem Einverständnis für zukünftige Abfragen. Schickt der Angepeilte an seinen Mobilfunkanbieter eine SMS, die Ortungen generell erlaubt, kann der AOL-Kunde in James-Bond-Manier die Zielperson im Stadtplan aufspüren.

Die Technik basiert auf den Funkzellen der Mobilfunknetze. Das Ergebnis der Abfrage besagt, in welcher Zelle sich das gesuchte Handy gerade befindet. In Städten haben die Zellen einen Radius von einigen hundert Metern, auf dem Land sind die Radien größer. "Das Angebot richtet sich an Menschen, die wissen wollen, wo ihre Freunde gerade sind und auch an Eltern, die über den Aufenthaltsort ihrer Kinder informiert sein wollen", erklärt AOL-Sprecher Riepe.

Vor dem Einsatz als Kontrollmittel warnen Datenschützer. Die Bielefelderin Rena Tangens vergibt seit 2000 den Negativpreis Big-Brother-Award an Unternehmen und Institutionen, die es mit Privatsphäre und Datenschutz nicht allzu genau nehmen. Ein Preis ging im vergangenen Jahr deshalb auch an "Track your kid", einen SMS-Dienst zur Kinderkontrolle.

Sie ist empört über den neuen AOL-Service: "Bei Kindern führt so etwas zu Angst vor Kontrolle. Sie lernen nicht aus Einsicht, sondern aus Furcht." Tangens weist darauf hin, dass Kinder das Handy auch abschalten oder einfach bei Freunden liegen lassen könnten und so für die Eltern unsichtbar bleiben.

Über die einfache Missbrauchsmöglichkeit des "Friendsfinders" ist Franz-Josef Wesener, Referatsleiter bei der NRW-Landesdatenschutzbeauftragten, erschüttert: "Die Authentifizierung ist schwach. Wer Zugang zum Handy anderer Personen, wie dem des Ehepartners, hat, kann den Dienst ohne dessen Wissen einrichten und die Person überwachen." Das Handy in der Jackentasche kann damit zum Spion werden.

Beim "Friendsfinder"-Entwickler Mecomo heißt es, dass zur Sicherheit innerhalb von 24 Stunden nach Anmeldung auch noch eine Bestätigungs-SMS an das zu ortende Handy geschickt wird. Ist ein misstrauischer Kontrolleur aber einen Tag lang im Besitz des Gerätes, kann er diese löschen und mehrere Wochen unentdeckt den Aufenthaltsort des Handys aufspüren lassen.

AOL hat trotzdem keine Bedenken und beruhigt: "Der Datenschutz hat für uns oberste Priorität."

MEINUNGS-BÖRSE: Handy-Ortung per Internet Das Netz wird enger VON JENS REDDEKER

Überwachung ist überall. Kameras beobachten uns nicht mehr nur in Banken und an Tankstellen. Wir werden im Fußballstadion, im Supermarkt und in Parkhäusern unablässig gefilmt. Irgend jemand weiß immer, wo wir uns gerade befinden. AOL zieht mit seinem Handy-Ortungssystem das Überwachungsnetzwerk noch enger. Das größte Problem an der Internet-Neuheit ist der einfache Missbrauch des in Ansätzen gut gemeinten Produkts. Wer wissen möchte, wo sich seine Kinder aufhalten, kann sich auch mit AOL nicht auf der sicheren Seite fühlen. Sollte es zum schlimmsten Fall kommen, wissen auch Verbrecher, dass sie über Mobiltelefone aufzuspüren sind und entledigen sich der Geräte. So einfach ist es für Angestellte nicht, die ein von der Firma präpariertes Handy bekommen, das ihre Wege nachzeichnet. Derartiges Vorgehen ist von Unternehmen bekannt und fördert keinesfalls die Sicherheit, sondern das Misstrauen.

Jens Reddeker

Neue Westfälische, Bielefeld , 11. Januar 2004
Original: http://www.nw-news.de/nw/news/wirtschaft/regionale_wirtschaft/?sid=9a30a0ef816fd21b9adf26cb5d1a23fe&cnt=339820/

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