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Gegen den gläsernen Landwirt

Datenschützer vergaben in Bielefeld den Big Brother Award

Der „Oscar für Datenkraken" geht in diesem Jahr unter anderem an ein Unternehmen der Saatgut-Industrie: Weil die „Saatgut-Treuhand" versuche, die Arbeit von Bauern flächendeckend zu erfassen und zu kontrollieren, bekam sie gestern in Bielefeld den „Big Brother Award".

Bielefeld. Kartoffeln entstehen aus? Kartoffeln. Soviel wissen sogar Stadtkinder: Wenn Bauern Kartoffeln ernten, behalten sie einen Teil zurück, der wieder in die Erde kommt. Nur: Kartoffeln sind in der modernen Landwirtschaft nicht einfach nur Kartoffeln, sondern: wertvolles Saatgut. Und der Kreislauf der Natur ist vor allem ein Wirtschaftskreislauf.

„Nur ums Geld" geht es dabei vor allem der Saatgut-Industrie, meint die Jury des „Big Brother Awards", der gestern in Bielefeld vergeben worden ist. Die Negativauszeichnung, die in zahlreichen europäischen Ländern regelmäßig an die „größten Datenkraken" vergeben wird, geht in diesem Jahr an die „Saatgut-Treuhand". Sie treibt im Auftrag von Zuchtbetrieben bei den Bauern Gebühren ein - und nutzt dafür aus Sicht der Datenschützer unlautere Methoden.

Bauern haben in Europa seit einigen Jahren nicht mehr das Recht, einmal gekaufte Saatkartoffeln beliebig zu vermehren und anzubauen. Jedes Jahr müssen sie an die Züchter „Nachbau-Lizenzgebühren" abführen. Um sicherzustellen, das kein Betrieb „schwarz" anbaut, bemüht sich die Saatgut-Treuhand um den Aufbau einer flächendeckenden Datenbank mit „detaillierten Angaben, wer, was, wo, wie viel anbaut". Rena Tangens vom Bielefelder Datenschutzverein Foebud, der den deutschen Preis seit dem Jahr 2000 ausrichtet, nennt das Ziel: „der gläserne Landwirt", über den gesteuert werden könne, „was hierzulande in Zukunft angebaut - und gegessen - wird".

Um dieses Ziel durchzusetzen, gehe die Saatgut-Treuhand rüde gegen Bauern vor. Es sei nicht nur zweifelhaft, ob die Treuhand auf legalem Weg an die Adressen der Höfe komme. Überdies traktiere das Unternehmen Landwirte mit „Drohbriefen" und verklage Tausende auf Herausgabe von Daten, obwohl oberste Gerichte entschieden hätten, dass es keine generelle Auskunftspflicht der Bauern über ihre Anbaugepflogenheiten gebe. Anonyme Testkäufer der Treuhand tauchten regelmäßig auf Höfen auf, um mit Fangfragen Verstöße gegen die Lizenz-Pflicht festzustellen.

Die Saatgut-Industrie^ hierzulande noch weitgehend mittelständisch organisiert, konzentriere sich international immer stärker, so die Jury, Chemiekonzerne kauften sich ein. Die Sorge: In Zukunft werde die Chemiebranche „die gesamte Nahrungsmittelkette kontrollieren, vom Saatgut über Ernte und Verarbeitung bis zum normierten Nahrungsmittel". Die Arbeit der Saatgut-Treuhand sei in diesem Prozess ein „Mosaikstein".

Wohin die Abhängigkeit der Landwirte von Saatgut-Unternehmen führen kann, illustrierte Rena Tangens am Beispiel der bei Verbrauchern beliebten Speisekartoffel „Linda", der bis vor kurzem das Aus drohte: Das Saatgutunternehmen Europlant zog die Zulassung für die Sorte zurück, weil die 30-jährige „Lizenzschutzzeit" ausgelaufen war und Bauern die Kartoffel fortan ohne Lizenzgebühr hätten anbauen dürfen. Verbraucher und Bio-Bauern protestierten läutstark, auch das Verbraucherschutzministerium schaltete sich ein. Vorerst ist „Linda" nun gerettet.

Schüler-Daten an Banken

„Regionalpreis" des „Big Brother Award" geht in I diesem Jahr an die Grundschule Ennigloh bei Bünde und an zwei Banken. Begründüng: Die Schule habe „gedankenlos" die Namen von Erstklässlern an die Volksbank in Herford und die Sparkasse Herford weitergeleitet. Beide Geld-! Institute verwendeten die Daten, um den Eltern der Kinder zur Einschulung ein „Startkonto" anzubieten. Die Eltern hätten nicht in die Weitergabe der Daten eingewilltigt.

Der Datenschutzverein Foebud will den Preis für die Grundschule als „Mahnung für alle Schulen" verstanden wissen, mit Daten ihrer Schüler sensibel umzugehen: „Einer Instrumentalisierung durch Schulen von Wirtschaftsunternehmen sollten wir gemeinsam entgegenwirken", heißt es in der Jury-Begründung.

Die Banken sehen Foebud zufolge keine Fehler bei sich: Bei der Volksbank habe man angeblich die Einwilligung der Eltern vorliegen - eine Aussage, die die Datenschützer vehement bezweifeln, bei der Sparkasse berufe man sich auf die „guten Beziehungen" zur Schule und darauf, dass angeb1lieh nur Namen und keine Adressen weitergegeben worden seien

Sigrun Mueller Gerbes

Neue Westfälische, Bielefeld, 29. Oktober 2005
Original: Nicht bekannt

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