Hannover. Die Zukunft könnte so aussehen: Der Kunde nimmt im Supermarkt eine Tafel Schokolade aus dem Regal und sofort startet auf einem Bildschirm neben ihm ein Spot über eben jene Schokoladen-Marke. Ausgelöst durch einen winzigen Chip auf der Schokolade, der mittels Radio-frequenz-Technologie (RFID, siehe Kasten) seine Daten überträgt.
„Das nennt man intelligentes Bewerben", erklärt Axel Bretthauer, Solution Manager RFID beim Paderborner Unternehmen Wincor Nixdorf, auf dem CeBIT-Stand der Metro-Gruppe. „Das ist natürlich viel effektiver als eine permanente Werbung, die für jeden Kunden gleich ist." Solche Vorhaben lassen Datenschützer aufmerken. Denn die Szenarios gehen noch viel weiter: Theoretisch könnte eine mit RFID markierte Ware, zum Beispiel eine Banane, eindeutig einem bestimm-' ten Kunden zugeordnet werden, sich möglicherweise sogar bis in dessen Wohnung nachverfolgen lassen und das Erstellen unerwünschter Kundenprofile ermöglichen. Die Verbraucherzentralen warnen vor dem „gläsernen Kunden" und fordern, dass der Kunde die volle Kontrolle über seine Daten haben müsse. Auch auf der CeBIT wurde protestiert: Mitglieder des Bielefelder Vereins zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs, kurz Foe-BuD, bezogen mit einem an Luftballons schwebenden „Stop RFID"-Transparent Stellung. Der Geschäftsführer für Informationstechnologie bei der Metro, Gerd Wolfram, wehrte sich in einem Vortrag: „RFID ist eine Chance. Man sollte sie nicht schon am Anfang zerreden."
Noch ist der Handel weit davon entfernt, einzelne Artikel mit RFID-Chips zu versehen. „Das ist eine Frage der Standardisierung", sagt Axel Bretthauer. Und natürlich der Kosten. Im Moment kosten RFID-Chips zwischen 14 Cent und einem Euro. „So lange ein Joghurt 40 Cent und der Chip 14 Cent kostet, wird das niemand machen", erläutert Gerd Wolfram. In fünf bis zehn Jahren will Wincor Nixdorf bei einem Preis von einem Cent pro Chip sein.
Abgesehen von den Schreckenszenarios des „gläsernen Kunden" gibt es auch positive Verbraucheraspekte. Sei es der Einkaufswagen, den man nur noch an der Kasse vorbeischieben muss und den Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der CeBIT begeistert testete. Oder die Geschichte mit der roten Socke.
Verirrt sie sich in eine Waschmaschine mit weißer Wäsche, wird das angezeigt. Vorausgesetzt natürlich, in die Socke ist ein RFID-Chip eingenäht. Eine CeBIT-Besucherin hat Bedenken. Es gebe doch mittlerweile nahtlose Kleidung und darin dann ein unbequemer Chip? Die Wincor-Nixdorf-Experten können beruhigen: „Der RFID-Chip wird dann so klein sein, dass man ihn sogar einer Biene unbeschadet auf den Rücken pflanzen könnte."
Echtinstallationen gibt es bislang selten. Nur in der Automobilindustrie wird RFID laut Axel Bretthauer schon angewendet. Bei flächendeckender Einführung versprechen sich vor allem der Handel und der Logistiksektor beträchtliche Kostensenkungen. Der Handelskonzern Metro schätzt sein Einsparpotenzial deutschlandweit auf 8,5 Millionen Euro. Die Schattenseite: Kassierinnen könnten überflüssigwerden.
RFID (Radio Frequency Identification)-Chips bestehen aus einem Mikrochip und einer hauchdünnen Antenne, die sich um den Chip windet. Über die Antenne kann der Chip berührungslos und ohne Sichtkontakt von einem RFID-Lesegerät angefunkt werden. Im Moment beträgt der Lese-Abstand wenige Zentimeter bis einige Meter.
Langfristig soll RFID den Strichcode ersetzen. Jedes Produkt, zum Beispiel jeder Joghurtbecher, ist dann weltweit eindeutig identifizierbar. Auf dem Chip lassen sich Produktions-, Logistik-und Verkaufsinformationen (Verfallsdatum, Herkunft) speichern. Auf der CeBIT gibt es in diesem Jahr ein eigenes Informationsforum zum Thema RFID.
Mareike Potjans
Neue Westfälische, Bielefeld, 14. März 2006
Original: Nicht bekannt