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Kampf den Datenkraken

Big Brother Award an Telekom und Rat der Europäischen Union verliehen

Bielefeld. Seit 2000 stehen in Bielefeld die größten Datenfrevler am Pranger – bei der Verleihung der "Big Brother Awards" an jene, die am sorglosesten mit der Privatsphäre der Bürger umgehen. Nun war es wieder so weit.

Erschreckend sind nicht so sehr die Einzelfälle. Erschreckend ist die schiere Masse. Millionen und Abermillionen von Informationen aus allen Lebensbereichen lagern in den Datenbanken der Firmen und Institutionen, die gestern als "Datenkraken" vorgeführt wurden.

Allen voran die Telekom. Nicht nur, dass dem Unternehmen gigantische Datensätze mit Informationen über Mobilfunkkunden schlicht gestohlen wurden und 30 Millionen Bankverbindungen nahezu ungesichert im Internet zugänglich waren. Die Firma hat sich auch selbst an den Daten vergriffen. Hunderttausende Telefon- und Handy-Daten von Aufsichtsräten und Journalisten wurden ausgewertet, um herauszufinden, wer aus dem Konzern Informationen an Medien weitergab.

Aus "purem Eigeninteresse" habe die Firma das Telekommunikationsgeheimnis gebrochen, kritisierte Jurymitglied Fredrik Roggan bei der Preisverleihung – "ein beispielloser Vertrauensbruch". Um ein wenig Vertrauen zurückzugewinnen, schicke der Konzern seinen Datenschutzbeauftragten Claus Ulmer nach Bielefeld. Er wolle sich "der Kritik stellen" und zeigen, "dass wir zahlreiche Maßnahmen ergriffen haben, um missbräuchliche Datennutzung zu verhindern".

Harte Eingriffe in die Bürgerrechte

Wenig vertrauenerweckend war auch das Verhalten der DAK, meint die Jury. Die Krankenkasse habe ohne Rückfrage Patientendaten an eine Privatfirma weitergereicht, die dann bei den chronisch Kranken zu Hause angerufen habe, um Werbung für ein Programm zur "Gesundheitsberatung" zu machen.

Die Politik war gleich dreimal vertreten – für Rena Tangens vom Datenschutzverein Foebud, der den Preis vergibt, Indiz dafür, dass der Staat genauso datenhungrig ist wie die Wirtschaft. Ausgezeichnet wurden das Wirtschaftsministerium, der Rat der Europäischen Union und der Bundestag.

Die härtesten Eingriffe in Bürgerrechte hat dabei die EU zu verantworten. Seit 2001 führt sie eine "Terrorliste" mit Verdächtigen. Wer einmal auf der Liste steht, verliert einen Großteil der Bürgerrechte: Sozialleistungen werden gestrichen, Konten eingefroren, Pässe gesperrt. Erstellt wird die Liste von einem geheimen Gremium des Ministerrats. Mehrfach hat der Europäische Gerichtshof Einträge für rechtswidrig erklärt, geändert aber habe sich wenig, meint die Jury und zitiert EU-Sonderermittler Marty Dick: Ein Eintrag sei ein "ziviles Todesurteil". Der Anti-Terror-Kampf dient auch zur Rechtfertigung der Gesetze, für die der Bundestag "ausgezeichnet" wurde. Das Gesetz zum Seeverkehr etwa, das regelt, dass Daten sämtlicher Fährpassagiere gespeichert werden; oder das Gesetz, das vorschreibt, Daten über Flugreisende an die USA weiterzuleiten.

Überwachung aus der Steckdose

Noch weiter ins Privatleben eingreifen könnte eine Technik, die vom Stromanbieter Yello unter dem Namen "Digitalstrom" auf den Markt gebracht wird, glaubt die Jury: Jedes Haushaltsgerät solle einen Chip bekommen, der den Stromverbrauch kontrolliere. Die Geräte könnten Strom dann ziehen, wenn er am billigsten ist, und bei den Kraftwerken dafür sorgen, dass das Stromnetz gleichmäßig ausgelastet wird. Klingt vernünftig, hat aus Sicht der Datenschützer aber einen Haken: Die Überwachung könne so ins Detail gehen, dass Stromanbieter nicht nur genau über die Ausstattung eines Haushalts informiert würden, sondern auch darüber, wann jemand kocht, staubsaugt, duscht. Das erinnert dann in der Tat an den alles überwachenden "Big Brother", den "Großen Bruder" aus George Orwells düsterer Zukunftsvision in "1984".

Sigrun Mueller-Gerbes

Neue Westfälische, Bielefeld, 25. Oktober 2008
Original: http://www.nw-news.de/nw/news/kultur/?cnt=2650063&

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